Beschäftigte des Einzelhandels demonstrieren in der Hamburger City. Die Gewerkschaft Ver.di will dadurch den Druck vor den dritten Tarifverhandlungen erhöhen. Die gehen kommende Woche weiter.

Hamburg. Wer den Worten von Arno Peukes Glauben schenkt, sollte dem Mann am kommenden Donnerstag aus dem Weg gehen. Peukes ist Verhandlungsführer der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und vertritt die rund 70.000 Beschäftigten im Hamburger Einzelhandel, wenn an diesem Tag die Tarifgespräche fortgesetzt werden. „Ich bin ein freundlicher und netter Mensch“, sagte Peukes am Freitag bei einer Kundgebung vor zahlreichen Einzelhandelsbeschäftigten am Gerhard-Hauptmann-Platz. „Aber am Donnerstag ist es mit der Freundlichkeit vorbei.“

Zuvor hatte Ver.di die Mitarbeiter in zahlreichen Einzelhandelshäusern wie Zara, Karstadt, Real, Marktkauf, Rewe und Thalia zu einem erneuten Streik aufgerufen, weil in der aktuellen Tarifauseinandersetzung nach zwei Verhandlungstagen keinerlei Annäherung der Arbeitgeberseite absehbar ist. Ver.di fordert 150 Euro monatlich mehr Einkommen und 90 Euro mehr bei den Auszubildenden. Die Arbeitgeber wollen zunächst einmal die Bedingungen des Tarifvertrags überarbeiten und gewisse Umgruppierungen vornehmen.

Mit Trillerpfeifen und roten Schirmen bewaffnet zogen knapp 700 Beschäftigte am Freitag durch die Hamburger Innenstadt, um den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns Tarife klaut“, skandierten sie und zeigten sich alles in allem kampfeslustig. Tatsächlich ist auch Ver.di zu Gesprächen über die Tarifbestimmungen bereit, will aber eine andere Reihenfolge als die Arbeitgeber: „Unsere Untersuchung zur Arbeitssituation der Beschäftigten im Hamburger Handel zeigt, dass es viele Themen gibt, die die Tarifparteien perspektivisch lösen müssen. Deswegen fordern wir von den Arbeitgebern jetzt die Tarifrunde mit einem vernünftigen Abschluss zu beenden und danach mit uns die weiteren Themen ziel- und lösungsorientiert anzugehen“, sagt Peukes.

Daran glaubt der Einzelhandelsverband nicht, wie dessen Geschäftsführer Wolfgang Linnekogel erläutert. „Wir reden seit zwölf Jahren, dass wir an die Tarifinhalte ranmüssen, doch jedes Mal, wenn die Gegenseite einen Abschluss in der Tasche hatte, wurden die weiteren Gespräche darüber vertagt. Deshalb gibt es diesmal einen Abschluss nur in Verbindung mit Änderungen beim Tarifvertrag.“ Unter anderem wollen die Arbeitgeber die Löhne für neu eingestellte Kassierer senken.

An eine rasche Einigung glaubt indes niemand mehr. Denn bei dem aktuellen Arbeitskampf geht es längst nicht nur um eine Erhöhung der Löhne. Der Gewerkschaft macht nämlich auch Sorge, dass die Tarifverhandlungen an Bedeutung verlieren. Denn der Einzelhandelsverband gestattet immer mehr Unternehmen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung. Vereinbarungen, die in einem allgemeinen Tarifvertrag geschlossen werden, gelten für diese nicht. Angeheizt wird die Auseinandersetzung durch die Ankündigung von Karstadt, die Tarifbindung für insgesamt zwei Jahre auszusetzen – das Großunternehmen war bisher eine tragende Säule des Flächentarifvertrags. „Die Tarifflucht von Karstadt ist eine Frechheit“, ruft Peukes den Beschäftigten zu, als der Demonstrationszug den Eingang des Warenhauses an der Mönckebergstraße passiert.

Dann macht er deutlich, was ihn richtig verärgert: Dass offenbar auch der Rewe-Konzern die Verhandlungsführerschaft der Tarifparteien nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert. „Geradezu unglaublich ist, dass Rewe seinen Beschäftigten jetzt in einem Schreiben hinten herum 2,5 Prozent mehr Lohn anbietet“, sagt Peukes. „Uns haben die Arbeitgeber nach zwei Verhandlungstagen immer noch kein Angebot gemacht.“ Dabei könnten immer weniger Einzelhandelsbeschäftigten von ihren Löhnen leben. Immer mehr von ihnen seien dazu gezwungen, ihr Einkommen durch Staatsmittel aufzustocken. Jeder sechste Aufstocker in Hamburg arbeite im Einzelhandel, sagt Peukes.

Auch Arbeitgebersprecher Linnekogel zweifelt an einer raschen Einigung: „Nachdem bereits in sechs weiteren Bundesländern die Tarifverhandlungen in der vierten Runde ohne Ergebnis blieben, muss man schon sehr optimistisch sein, wenn man eine Einigung am kommenden Donnerstag erwartet.“