88 Prozent der Deutschen haben nach einer aktuellen IW-Studie Freude an ihrer Arbeit

Berlin. Stress, Burn-out und Millionen Menschen, die von „Dumpinglöhnen“ leben müssen. „Gute Arbeit“ in Deutschland ist rar, klagen Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände immer wieder. Dem widerspricht nun das arbeitgebernahe Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW): Der deutsche Arbeitsmarkt sei besser als sein Ruf. Denn neun von zehn Arbeitnehmern seien mit ihrem Job zufrieden.

Für die Arbeitszufriedenheit spielt demnach der Chef eine wichtige Rolle. „Auf die Führungskräfte kommt es an“, sagte IW-Direktor Michael Hüther. Wenn Führungskräfte ihre Mitarbeiter auch nur gelegentlich unterstützten, steigt der Anteil Zufriedener auf über 93 Prozent. Diese Unterstützung erfahren in Deutschland jedoch nur 69 Prozent – gegenüber 81 Prozent im EU-Durchschnitt. Chefs, die einen respektvollen Umgang pflegen, Konflikte lösen können, gute organisatorische Fähigkeiten besitzen und ihre Mitarbeiter einbinden, erhöhen die Arbeitszufriedenheit und damit die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten. Die Unternehmen hätten den Nachholbedarf indes erkannt. In jeder zweiten Firma seien spezielle Trainings für Führungskräfte inzwischen fester Bestandteil der Personalpolitik, ergab eine IW-Umfrage.

Aspekte wie Arbeitsplatzsicherheit, höheres Gehalt, wenig Stress oder nette Kollegen seien für viele Befragte weniger wichtig, als es in der öffentlichen Diskussion häufig den Anschein habe, stellt das Institut fest. So liegt der Anteil der Zufriedenen selbst unter denjenigen, die sich nicht angemessen entlohnt fühlen, mit 82 Prozent sehr hoch. Auch bei Arbeitnehmern, die unter Stress leiden, sind 85 Prozent zufrieden. „Es gibt Menschen, denen ihre Arbeit zum Beispiel auch dann, oder gerade dann, Spaß macht, wenn sie mit hohem Zeitdruck verbunden ist“, meinte Hüther.

In der Diskussion um gute Arbeit werde ein wichtiger Punkt fast immer ausgeklammert, kritisierte der IW-Direktor: „Wer hohe Ansprüche an die Qualität seiner Arbeit stellt, wer also viel verdienen will und gute Karrierechancen einfordert, der muss natürlich selbst auch ein gerüttelt Maß an Kompetenzen und Leistungsbereitschaft mitbringen.“ Wer weder einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung habe und sich deshalb nur als Hilfsarbeiter anbieten könne, der werde schwerlich eine Arbeit ausüben, die beste Verdienst- und Entwicklungsperspektiven biete. „Was dann manche externen Beobachter als prekär einstufen, ist für die Betroffenen gleichwohl eine gute Arbeit, wie die Daten zeigen.“

Dass laut Krankenkassen mehr Beschäftigte wegen psychischer Erkrankungen in Frührente gehen, führt das Institut darauf zurück, dass Depressionen und andere psychische Leiden häufiger diagnostiziert würden als früher. Laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fühlen sich viele dadurch belastet, dass sie sich um mehrere Aufgaben zugleich kümmern müssen. Termin- und Leistungsdruck sowie ständige Unterbrechungen stressen einen großen Teil der Beschäftigten.

Die Befragungen belegten auch, dass die Arbeitszufriedenheit in Deutschland über die Jahre fast konstant geblieben sei, betonte IW-Direktor Hüther. „Von einem Verfall der Arbeitsbedingungen kann keine Rede sein.“ So sind zwischen 2006 und 2011 Arbeitsplatzsicherheit, Anerkennung durch den Chef und Zufriedenheit mit dem Lohn gestiegen.

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit 88 Prozent auf Platz neun, die Abstände zur Spitze sind jedoch gering. Vorne liegen Dänemark, Großbritannien, die Niederlande und Norwegen. In 21 anderen europäischen Ländern ist die Zufriedenheit mit der Arbeit dagegen schlechter, Schlusslichter seien Albanien, die Türkei und Mazedonien. Das IW beruft sich dabei auf Erhebungen der EU-Stiftung Eurofound, die im Jahr 2010 rund 44.000 Erwerbstätige in 34 europäischen Ländern befragte.

Die Bedeutung des Lohnes nimmt von Nord nach Süd in Europa zu. Die IW-Experten erklären dies mit gespaltenen Arbeitsmärkten in Südeuropa, bei denen auf der einen Seite Geringverdiener mit schlechten Arbeitsbedingungen Hochverdienern mit guten Bedingungen gegenüberstünden. In anderen Ländern steigt auch die Zufriedenheit der Beschäftigten mit den Karrierechancen. Dies sei in Deutschland schwächer ausgeprägt, was darin liege, dass hierzulande mehr Ältere befragt wurden. Gute Karrierechancen sei vor allem jungen Arbeitnehmern wichtig. Dagegen sind die europäischen Nachbarn stressanfälliger: Bei Hektik und Zeitdruck sind nur noch 68 Prozent der Franzosen zufrieden, bei den Griechen sind es 57 Prozent.