Der neue Bahnchef will nicht nur weitere 2500 Beschäftigte in Kurzarbeit schicken, sondern hat auch große Pläne für den Hamburger Hauptbahnhof.

Hamburg. Abendblatt: Altkanzler Gerhard Schröder bezeichnete das Amt des Bahnchefs als "zweitverrücktesten Job der Republik". Empfinden Sie dies so?

Rüdiger Grube: Ich glaube, er hatte nicht ganz unrecht. Denn die Bahn ist ein sehr komplexes Unternehmen. Neben der Personenbeförderung ist sie bei der Landfracht der größte Anbieter in Europa, in der Luftfracht weltweit die Nummer zwei und in der Seefracht die Nummer drei. Außerdem haben wir mehr als 5400 Bahnhöfe und sind an 600 Firmen beteiligt.

Abendblatt: Welche Eigenschaften braucht man als Vorstandschef, um diesen Job zu meistern?

Grube: Ich mache diesen Job auf meine Art. Ich behandle andere so, wie ich gern selbst behandelt werden möchte. Denn ich bin überzeugt: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Ich versuche, Betroffene zu Mitakteuren zu machen. Ich setze auf Glaubwürdigkeit: Man kann nicht Wasser predigen und Wein trinken. Wichtig sind außerdem Disziplin, Integrität und Begeisterungsfähigkeit.

Abendblatt: Als Sie zur Bahn wechselten, haben Sie ja nicht gerade ein gut bestelltes Haus bezogen: Es gab viele Probleme wie Datenmissbrauch, kaputte ICE-Achsen, eine marode Berliner S-Bahn und so weiter. Wie kaum ein anderer Manager haben Sie schon in den ersten Wochen die Führungsetage kräftig umgekrempelt. Mal norddeutsch direkt gefragt: "Stank der Fisch vom Kopf her?"

Grube: Ich habe das getan, was Eigentümer, Politiker und Kunden von mir erwartet haben: Ich habe Klarschiff gemacht. Und natürlich fängt man von oben an, eine Treppe zu kehren, nicht in der Mitte. Das hat auch mit meiner Vorstellung von Glaubwürdigkeit zu tun. Wir haben jetzt alles Mögliche getan, um eine solche Datenaffäre künftig zu verhindern.

Abendblatt: Ihr Vorgänger Hartmut Mehdorn trieb die Internationalisierung des Konzerns durch Zukäufe massiv voran. Werden Sie diese Ziele weiterverfolgen?

Grube: Ich habe gar keine andere Wahl, weil der Wunsch von der Kundenseite kommt. Wir sollen zum Beispiel Autos nicht einfach nur auf der Schiene von Sindelfingen nach Bremerhaven bringen. Unsere Kunden wollen, dass wir auch den Transport nach Übersee und dort bis an den Zielort organisieren. Im Personenverkehr machen die Menschen ebenfalls nicht an den Grenzen halt, sie möchten auch mit dem Zug nach Kopenhagen, Brüssel oder Paris fahren.

Abendblatt: Wie stark trifft die Wirtschaftskrise die Bahn? Der Güterverkehr brach bereits um 25 Prozent ein.

Grube: Unterm Strich ist der Konzernumsatz im ersten Halbjahr um 14 Prozent gesunken. Wir können stolz darauf sein, dass wir mit einem Gewinn vor Steuern und Zinsen von 671 Millionen Euro trotz der Krise in den schwarzen Zahlen geblieben sind. Es sieht so aus, als ob wir nun allmählich den Boden gefunden hätten. Die Erholung auf das Niveau von 2008 wird aber einige Jahre dauern.

Abendblatt: Muss die Kurzarbeit ausgeweitet werden? Ist ein Stellenabbau geplant?

Grube: Derzeit sind 7500 Beschäftigte in Kurzarbeit. Bis Ende des Jahres wird die Zahl auf mehr als 10 000 steigen. Was den Stellenabbau angeht: Uns hilft derzeit, dass der Konzern einen internen Arbeitsmarkt hat, der gut funktioniert. In den vergangenen zwölf Jahren sind 40 000 Positionen abgebaut worden, ohne dass die Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verloren hätten. Sie konnten nach entsprechender Qualifizierung an anderer Stelle eingesetzt werden. Außerdem gilt bei uns ein Beschäftigungspakt, der noch bis Ende nächsten Jahres läuft. Über dessen Verlängerung werden wir mit den Gewerkschaften reden. Entlassungen sind aber nicht geplant.

Abendblatt: Wird die ohnehin bundeseigene Bahn Staatshilfen brauchen?

Grube: Wir haben uns vorgenommen, uns selbst finanzieren zu können. Wir wollen auf keinen Fall unter den Schirm der Regierung.

Abendblatt: Wollen auch Sie die Bahn an die Börse bringen?

Grube: Der Börsengang ist kein Selbstzweck. In der aktuellen Situation würden damit nur Werte vernichtet. Ich habe aber nichts zu verschenken. Wenn die Bahn nach der Krise in den nächsten Jahren wieder wächst, dann sind wir erst 2013 oder 2014 wieder auf dem Niveau, das wir 2008 erreicht hatten. Ich denke, dass wir uns erst dann wieder mit dem Börsengang auseinandersetzen können.

Abendblatt: Wie gehen Sie damit um, dass das Image der Bahn in der Öffentlichkeit eher schlecht ist?

Grube: In den 120 Tagen, die ich jetzt im Amt bin, habe ich ein Unternehmen mit zwei Seiten kennengelernt. Auf der einen stehen die Dinge, die Sie angesprochen haben. Die andere Seite sind die Mitarbeiter. Sie sind mein ganzer Stolz. Ich bin längere Zeit in Zügen gefahren, ohne erkannt zu werden, und ich habe die Beschäftigten als sehr motiviert und dienstleistungsorientiert empfunden.

Abendblatt: In Hamburg haben Sie ein neues Ausbildungszentrum eröffnet. Wie wichtig ist der Bahn in Krisenzeiten der Nachwuchs?

Grube: Die Bahn ist mit mehr als 8100 Azubis einer der größten Ausbildungsbetriebe Deutschlands. Auch dieses Jahr beginnen 2700 junge Menschen ihre Lehre. Wir haben uns im Vorstand darauf verständigt, dass wir unserer gesellschaftlichen Verpflichtung gerade in diesen Zeiten nachkommen wollen. Glücklicherweise haben wir keine Probleme, alle Plätze zu besetzen. Mich freut es, dass die Bahn mittlerweile ein sehr gefragter Arbeitgeber ist und dabei in manchen Bereichen sogar die Maßstäbe setzt. Das war nicht immer so.

Abendblatt: Welche Pläne haben Sie für die Hamburger Bahnhofslandschaft?

Grube: Der Altonaer Bahnhof soll künftig nur noch für den S-Bahn-Verkehr erhalten bleiben. Am Diebsteich soll wiederum ein neuer "Fernbahnhof Altona" gebaut werden. Darüber sprechen wir mit dem Senat. In Hamburg Hauptbahnhof soll das Hallendach saniert und die Westseite durch neue Shops verschönert werden.

Abendblatt: Werden auf dem Land nicht immer mehr Strecken stillgelegt, weil sie nicht rentabel sind?

Grube: Einspruch: Nicht wir entscheiden über die Stilllegung von Strecken im Regionalverkehr, sondern die jeweiligen Bundesländer. Wenn übrigens ein Bundesland eine Strecke ausschreibt, sind wir meist nicht der einzige mögliche Anbieter - bundesweit haben wir 340 Wettbewerber.

Abendblatt: Die Bahn wollte ihre Logistik außerhalb Berlins bündeln. Wie bewerten Sie die Chance, dass Hamburg sich gegen die Mitbewerber Frankfurt und Duisburg durchsetzt?

Grube: Mit dem Hafen hat Hamburg einen sehr großen Pluspunkt, aber auch die beiden anderen Städte haben Stärken. Am Ende müssen objektive Kriterien den Ausschlag geben. Wir prüfen sorgfältig und haben keine Eile, eine Entscheidung zu fällen.

Abendblatt: Viele halten die Fahrpreise für zu hoch. Sind angesichts gesunkener Energiepreise für dieses Jahr noch Fahrpreissenkungen geplant? Oder drohen weitere Erhöhungen?

Grube: Die Energiepreise sind zwar gegenüber ihren Hochständen gesunken, aber dafür mussten wir 2009 beträchtliche Lohnerhöhungen hinnehmen. Die Beratungen im Vorstand darüber, ob wir die Preise anpassen, sind noch nicht abgeschlossen.

Abendblatt: Fahrgäste ärgern sich immer wieder über unpünktliche Züge - oft werden Anschlüsse verpasst, weil Zubringerzüge verspätet ankommen. Wie wollen Sie dieses Problem in den Griff bekommen? Kann die Schweiz hier ein Vorbild sein?

Grube: Das wohl nicht: Das Schweizer Bahnnetz ist kleiner als unser Netz in Bayern. Man muss die Dimensionen sehen: Die Bahn transportiert täglich sieben Millionen Menschen, also in zwei Tagen so viele wie die Lufthansa in Deutschland etwa in einem Jahr. Im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern müssen wir uns nicht verstecken. In meinem vorherigen Berufsleben war ich Vielflieger und habe häufig Anschlussflüge verpasst. Und als Autofahrer stehe nicht nur ich oft im Stau. Außerdem sind wir schon besser geworden. Häufig beruht die Verspätung auf Gründen, für die wir nicht selbst verantwortlich sind. Beispielsweise liegt es an Störungen von außen, etwa weil jemand unverantwortlich Hindernisse auf die Schienen gelegt oder Kabel geklaut hat.

Abendblatt: Welche Zukunft hat die Bahn?

Grube: Nicht nur im innerdeutschen Verkehr ist die Bahn auf sehr vielen Strecken heute das effizienteste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Daneben verbessern wir den Service: Weil die Kunden aktive Beratung wünschen, wollen wir die 30 großen Reisezentren weiter ausbauen und ein Aufrufsystem mit Wartenummern einführen. Unsere größeren Bahnhöfe werden nach und nach auch Erlebnis- und Einkaufszentren sein. Wir arbeiten außerdem daran, noch mehr Güterverkehr auf die Schiene zu holen. Ich bin überzeugt: Die Bahn hat ihre große Renaissance noch vor sich.