Ob Gemüse, Obst, Kälber oder sogar Traktoren - nichts ist mehr sicher in der Wirtschaftskrise. Die Diebstähle haben um 20 Prozent zugenommen

Madrid. Die schwere Wirtschaftskrise in Spanien treibt immer seltsamere Blüten. Nach Jahren fallender Preise müssen sich die Landwirte jetzt mit einem Problem auseinandersetzen, das bedrohliche Ausmaße annimmt: den Diebstählen auf den Feldern des südeuropäischen Landes. Die Delikte haben seit Jahresbeginn deutlich zugenommen. Laut dem Dachverband der spanischen Jungbauern Asaja stieg die Zahl der Diebstähle in den ersten drei Monaten um 20 Prozent. In der Provinz von Alicante beliefen sich die Schäden durch Diebstahl und mutwillige Zerstörung im vergangenen Jahr bereits auf über 25 Millionen Euro.

In anderen Gegenden wie in Valencia oder im grünen Norden Spaniens ist die Situation nicht viel besser. Waren es früher vor allem Orangen oder Trauben, die "verschwanden" und auf Wochenmärkten zu Schleuderpreisen verkauft wurden, so nehmen die Diebesbanden mittlerweile alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist, Traktoren, Agrarmaschinen, Bewässerungsanlagen und sogar Kupferdrähte. Allein im Jahr 2012 wurde rund 20.000-mal auf spanischen Landgütern eingebrochen, mittlerweile finden statistisch drei Überfälle pro Stunde statt.

Die Verbrecher werden immer dreister. Im nordspanischen Ourense etwa wurden jüngst 100 Kälber entwendet, das entspricht 15.000 Kilo Fleisch. "Beschränkten sich die Diebe bei ihren Raubzügen anfangs auf ein Dutzend Kälber pro Nacht, so nahmen sie in der letzten Nacht gleich vier Dutzend mit, ohne eine Spur zu hinterlassen", so der betroffene galicische Tierzüchter. "Sie müssen mit großen Lieferwagen gekommen und mit der Beute über die Grenze nach Portugal verschwunden sein, sonst hätten wir hier etwas gefunden." Der Polizei, die hilflos zuschaut, ist klar, dass die Diebe über eine perfekte Infrastruktur verfügen.

Die Banden, die mutmaßlich aus Osteuropa stammen und zu denen vielfach Spanier gehören, wissen, wann die Ernte reif ist oder wann die Tiere alt genug sind für den Schlachthof. Den haben sie offenbar auch parat, ebenso wie die Logistik, um das Fleisch auf den Markt zu schleusen. Kürzlich wandte sich Pedro Barato, Präsident des spanischen Jungbauernverbands Asaja an den spanischen Justizminister Alberto Ruiz Gallardón und an seinen Kollegen aus dem Landwirtschaftsministerium Miguel Arias Cañete. Dort setzen sich nun Experten mit dem Problem auseinander. Auch die Polizei ist hilflos. Allein in Valencia gehen täglich 2000 Polizisten auf die Pirsch, um den Dieben das Handwerk zu legen. Doch meistens treffen sie erst am Tatort ein, wenn diese mit der Beute über alle Berge sind.

Immer mehr greifen die Bauern daher zur Selbsthilfe. Laut der Tageszeitung "El País" spürt man mittlerweile einen "Hauch von wildem Westen" auf den spanischen Feldern. Im andalusischen Cordoba etwa musste die Olivenernte von umgeschulten "Sheriffs" bewacht werden. In Sila, einem kleinen Dorf südlich von Valencia, gehen die Bauern bereits seit Mai auf Patrouille, um Raubzüge zu verhindern. Doch nicht überall haben die Landwirte die nötige Energie und Zeit, ihre Felder selbst Tag und Nacht zu bewachen, und nehmen stattdessen private Sicherheitsdienste unter Vertrag. Anfang April musste ein bulgarischer Wachmann seinen Versuch, einen Orangenraub in Cheste (Valencia) zu verhindern, mit dem Leben bezahlen. José Antonio Ruiz, Landwirt von Cheste, klagt, dass seither das ganze Dorf in Angst lebt.

Die Bauern und ihre Verbände fordern härtere Strafen, denn bisher wird der Felderklau als Kavaliersdelikt geahndet. Wenn der Schaden unter 400 Euro liegt, kommt es nicht einmal zu einem Gerichtsverfahren. Justizminister Gallardón versprach nun, die Gesetze verschärfen zu wollen, aber die Reform wird nicht vor der Erntezeit im Sommer in Kraft treten. Die Raubzüge auf den spanischen Feldern schafften es jüngst gar auf die Titelseite der "New York Times". Kein Wunder, denn die Landwirtschaft ist eine wichtige Stütze für die angeschlagene spanische Wirtschaft. Mit dem Obst- und Gemüseanbau werden jedes Jahr 17 Milliarden Euro erwirtschaftet, die wichtigsten Regionen sind Valencia und Murcia. Insgesamt finden hier 300.000 Menschen Arbeit. Auch im Winter wird dank der Plastikgewächshäuser das ganze Jahr über produziert. "Vielleicht ist es die Wirtschaftskrise, die die Zahl der Diebstähle derart anschwellen lässt", so Cristobal Aguado, Präsident des valencianischen Bauernverbands, "aber eines ist sicher: So darf es nicht weitergehen."