Wo kommen unsere Lebensmittel her? Die 14. Reise führt zu Dr. Oetker nach Wittenburg, rund 80 Kilometer östlich von Hamburg.

Wittenburg. Pommes? Cola? Big Mac? Tiefkühlpizza? Die meisten Menschen heben bei diesen Nahrungsmitteln erst abwehrend die Hände und schütteln dann heftig mit dem Kopf. "So etwas esse ich nicht. Und wenn doch, dann nur ganz selten", lautet die typische Reaktion. Nein, mit diesen ungesunden Dickmachern will niemand was zu tun haben. Merkwürdig ist nur, dass diese Produkte in immer größeren Mengen in Deutschland verzehrt werden. Bei den Pommes sind es rund 7,5 Kilo, die jeder Bundesbürger pro Jahr isst, 42 Liter süßer Brausen trinken wir etwa aus dem Hause Coca-Cola und ganze sechs Millionen Big Macs gehen bei uns bei McDonald's über den Ladentisch - in einem einzigen Monat. Und keiner will es gewesen sein.

Detlef Förster kann ein Lied von diesem Phänomen singen. Der 54-Jährige ist Leiter des Pizzawerks von Dr. Oetker in Wittenburg, rund 80 Kilometer östlich von Hamburg. Auch sein Produkt ist ein Massenprodukt, das in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem als Behelfsessen für kochfaule Studenten abgetan wird. Doch weit gefehlt: Rund 825 Millionen Tiefkühlpizzen wurden 2012 in Deutschland insgesamt verkauft. Bei etwa 82 Millionen Einwohnern ergibt das einen Pro-Kopf-Verbrauch von mindestens zehn Stück pro Jahr. Am liebsten essen die Deutschen dabei Pizza Salami oder Pizza Speziale, auf der Salami und Schinken gleichzeitig liegen - man will eben etwas für sein Geld haben. Die Pizza Spinaci aus dem Ristorante-Sortiment, die das Abendblatt für seine Serie gekauft hat, hält sich unter den Top fünf.

Auf fünf Produktionslinien wird im mecklenburgischen Wittenburg Pizza gebacken, schon draußen auf dem Parkplatz riecht man, was drinnen passiert. Mehr als 800 Menschen arbeiten hier. Als Werksleiter Förster kurz nach der Wende zunächst in der Qualitätssicherung anfing, waren es noch um die 90. Dementsprechend ist das Werk gemeinsam mit dem Pizzaverzehr gewachsen: Vor 25 Jahren aß man hierzulande nämlich gerade einmal zwei Tiefkühlpizzen pro Jahr. Die heimlichen Essensgelüste der Deutschen haben auch für Arbeitsplätze gesorgt.

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Der Produktionsbetrieb ist heute hoch technisiert. Etwa 90 Minuten dauert es vom ersten Mischen der Teigzutaten bis zum verpackten Produkt. Am Anfang quirlt ein Bäcker in übergroßen Mixern Wasser, Mehl, Hefe, Zucker und Salz zu einer 240 Kilogramm schweren Masse zusammen, die einzelnen Teiglinge für die Böden müssen danach zwei Mal dreißig Minuten gären, denn erst das bringt den Geschmack. "Eine Pizza lebt von ihrem Boden", sagt Förster, "Tomaten und Käse haben sie alle, aber wie der Boden gemacht wird, ist der ganz große Unterschied." Dann werden die Pizzen belegt, Tomatenpüree, Käse und Spinat automatisch aufgetragen, wo Lücken bleiben, helfen Mitarbeiterinnen per Hand nach. Danach geht es für 30 Minuten in den Froster und sofort in die Verpackung. 750.000 Pizzen entstehen hier so jeden einzelnen Tag.

Dass der Tiefkühlpizza vom Konsumenten vergleichsweise wenig Wertschätzung entgegengebracht wird, beobachtet Förster mit Bedauern: "Der Verbraucher lobt ja vor allem handgemachte Lebensmittel, also alles was vom Wochenmarkt kommt oder vom Restaurant um die Ecke. Dabei ist die industrielle Produktion noch sicherer", sagt er. Das heißt: Die Qualität schwankt nicht, sondern ist immer gleich, die Lebensmittelkontrollen sind strenger - "schon allein, weil hier in größere Mengen produziert wird".

Die Vorteile der Lebensmittelindustrie zu nennen gehört damit wohl auch zu dem Motto, das Firmenpatriarch Richard Oetker vor einem Monat ausgegeben hatte: Schluss mit verklärenden Vorstellungen über Lebensmittelherstellung in Deutschland, Schluss mit Romantik. "Bei uns steht keiner mehr am Fließband und packt Puddingpulver mit kleinen Schippchen in die Tüte", betonte Oetker damals, viel mehr sei industrielle Nahrungsmittelproduktion ein komplexes System. "Selbst bei Bewerbungsgesprächen merken wir, dass die Leute oft keine Vorstellung davon haben, wie komplex und arbeitsteilig eine Pizzaproduktion ist", sagt auch Förster.

Das alles liegt bislang natürlich auch an Dr. Oetker selbst. Laut Werbemonitor der "Lebensmittelzeitung" und des Marktforschungsinstituts Nielsen gab das in Bielefeld beheimatete Unternehmen im Jahr 2012 rund 141 Millionen Euro für Werbung aus - fast 24 Prozent mehr als 2011. In den Fernsehspots sieht man dann aber nichts von Laufbändern, von übergroßen Mixern oder gefliesten Hallen, in denen die Mitarbeiter Kittel, Handschuhe und Haarnetze tragen. Man sieht ein verliebtes Paar beim Pizza-Essen, man sieht fluffigen Teig im Ofen aufgehen - und Inhaber einer italienischen Pizzeria, die sich lautstark über die Tiefkühlware freuen. Willkommen im Pizza-Idyll. Zur tatsächlich aber wenig idyllischen Produktion bei Dr. Oetker tragen insgesamt 2300 Zulieferer bei, von denen 750 aus Deutschland kommen. Bei der Spinatpizza sind vor allem die maschinengepflückten Tomaten und der Spinat Ausländer: Sie stammen mitunter aus Italien, Spanien, Portugal oder Frankreich. Der Verkauf von Pizza ist das größte Geschäft in der Lebensmittelsparte des Oetker-Konzerns. Dr. Oetker ist Marktführer vor Konkurrent Wagner, der zu Nestlé gehört.

Zwei Flops allerdings mussten die Bielfelder in den vergangenen Jahren verkraften - und genau hier schließt sich der Kreis zum Anspruch und der Konsumwirklichkeit der Verbraucher: Um nämlich der Kritik, Pizza sei ein ungesunder Dickmacher, entgegenzukommen, wurde extra eine Lightvariante mit weniger Kalorien und Fett entwickelt, außerdem gab es ein Bioprodukt. "Für beides fanden sich nur wenige Konsumenten", sagt Förster. Also wollen es die Deutschen in Wahrheit heiß und fettig? So fettig wie möglich? "Zur Fettreduktion haben wir einmal versucht, die Kleckse aus Fett und Knoblauch auf der Spinatpizza zu streichen", erzählt Förster. "Aber dann haben die Leute angerufen und fanden es nicht so gut, dass die Pizza anders schmeckt." Also kamen die Kleckse dann wieder drauf.

Noch ein bisschen extremer ist es aber in Amerika. Dr. Oetker baut gerade ein Pizzawerk in Kanada, um den nordamerikanischen Markt künftig von dort aus beliefern zu können - noch wird aus Deutschland über den Atlantik exportiert. Die bei uns übliche Tiefkühlpizza mit einem Durchmesser von 25 Zentimetern kam den an Übergrößen gewöhnte US-Bürger allerdings recht klein vor. Sie tauften die Dr.-Oekter-Pizza anfangs "Lady Pizza" - also eine Pizza vor allem für Frauen.