Der deutsche Marktführer für Rohschinken Abraham aus Seevetal liefert in rund 20 Länder. Schweizer Konzern hat seit dem Jahr 2009 das Sagen.

Seevetal. Ein Industriegebiet, nur einige Hundert Meter von der Hamburger Stadtgrenze im Süden entfernt. In riesigen kühlen Räumen reift hier eine Delikatesse: Schinken. Besucher, die sich in die Nähe der 16 Räucherkammern des Unternehmens aufhalten, atmen einen angenehmen Duft von kokelndem Buchenholz ein. Die Rohschinken von 12.500 Schweinen werden hier jede Woche angeliefert. Hier, im Seevetaler Ortsteil Meckelfeld, wo Abraham, der deutsche Marktführer für Rohschinken, residiert. Bis eines der angelieferten Fleischstücke in den Einzelhandel kommt, vergehen noch Monate. "Früher, als es noch keine Kühlschränke gab, wurden die Schinken im Winter aufgehängt, mit Salz konserviert und geräuchert, damit das Fleisch auch im Frühjahr noch haltbar war", sagt Stephan Holst, Marketingleiter von Bell Deutschland. "Und so ähnlich arbeiten wir heute auch noch."

Bell gehört zu den Marktführern in Europa und ist der größte Schweizer Fleischkonzern. Im vergangenen Jahr steigerte das Unternehmen seinen Umsatz um 0,4 Prozent auf 2,53 Milliarden Franken (gut zwei Milliarden Euro). In Deutschland stiegen die Erlöse sogar um 1,5 Prozent auf 484 Millionen Franken (knapp 400 Millionen Euro).

Die Bell-Marke Abraham ist mit seinen Produkten in mehr als zwanzig Ländern vertreten. Das Geschäft des ehemaligen Unternehmens Abraham Schinken, an dem sich 2009 mit mehr als 75 Prozent der Schweizer Fleischkonzern Bell beteiligt hat, läuft glänzend. 25.000 Schinken werden allein von Seevetal aus jede Woche an Handelsunternehmen, Feinkostgeschäfte und Restaurants geliefert. Riesenstücke, von denen jeder allein fünf bis sechs Kilo wiegt. Der Umsatz des Unternehmens mit geräuchertem Rohschinken liegt bei rund 200 Millionen Euro pro Jahr. Die Erlöse mit dem Verkauf von Serano-Schinken, der im spanischen Bell-Werk in Toledo luftgetrocknet wird, und den belgischen Ardennerschinken von Bell sind in dieser Zahl eingerechnet.

Jeder Schinken aus der Nordheide, dem Oldenburger Land, dem Ammerland, dem Schwarzwald, den Ardennen und der spanischen Sierra stammt tatsächlich aus der jeweiligen Region. Und Schinken wird immer beliebter, die Umsätze des norddeutschen Unternehmens stiegen in den vergangenen Jahren leicht, aber kontinuierlich. Das Geschäft ist allerdings stark regional geprägt. "In Hamburg essen die Menschen gerne Katenschinken, im Schwarzwald hingegen kommt der original Schwarzwälder Schinken aufs Brot", so Holst. Abraham hat sich schon früh auf die verschiedenen Geschmäcker eingestellt. In sechs Werken, davon vier in Deutschland und jeweils einem in Spanien und Belgien, wird die edle Delikatesse hergestellt. So kommt zum Beispiel der Schwarzwälder Schinken aus Schiltach, der Ammerländer Schinken aus Edewecht im Ammerland.

Der Weg bis in die Räucherei ist lang. Die Schinken werden als Erstes in einem Raum mit einer Temperatur von vier Grad gelagert und Stück für Stück per Hand mit Salz eingerieben. "Darauf legen wir Wert, andere Firmen machen dies bereits maschinell", sagt der Seevetaler Werksleiter Stefan Henke. Dem Salz beigemischt sind Gewürze wie Koriander, Wacholderbeere, Pfeffer und einige andere Zutaten, die allerdings zum Betriebsgeheimnis gehören. Das gute Stück ruht neun Wochen, in denen es in Intervallen viermal gesalzen wird.

Erst danach geht es in eine der 16 Räucherkammern mit Buchenholzschnitzeln und einer Kaltrauchtemperatur von 30 Grad. Das dauert nochmals zwei bis drei Wochen. Der Schinken verliert derweil noch mehr Wasser und Fett. "Von der Schinkenräucherei stammt angeblich der Spruch: Du sollst nicht ins Fettnäpfchen treten", sagt Holst. "Früher musste der Bauer immer aufpassen, dass er nicht in den Eimer tritt, der das auslaufende Fett vom Räucherschinken sammelte."

Nach der Räucherei folgt eine dreiwöchige Reifezeit in modernen Klimakammern, deren Temperatur und Belüftung variiert werden kann. Der Schinken verliert dort noch mehr Wasser, wodurch seine typische Festigkeit entsteht. "Das beste Aroma entwickelt sich nur, wenn man dem Schinken ausreichend Zeit zum Reifen lässt", so Henke. Was danach kommt, ist Knochenarbeit. In Rekordzeit entfernen zwei Mitarbeiter an der Pape, dem teuersten Stück, die Knochen des Schinkens - innerhalb von höchstens einer Minute, Stück für Stück, immer wieder. Diese Mitarbeiter sind die einzigen der 50 im Werk Beschäftigten, die Akkordarbeit machen. Die restlichen Mitarbeiter werden nach dem Tarif der Nahrungsmittelbranche bezahlt.

Anschließend werden die Schinken auf einen Lkw geladen und ins Schneidewerk in Harkebrügge bei Oldenburg gefahren. Dort wird er portioniert, vakuumverpackt und dann an die Handelsunternehmen ausgeliefert. Den Schinken für die Spargelzeit hat Betriebsleiter Henke bereits produziert. Die Monate März bis Ende Juni sind die umsatzstärksten des Unternehmens. "In der Spargelzeit machen wir 40 bis 50 Prozent mehr Umsatz", sagt Holst. Abraham Schinken wurde 1964 von Rolf und Jürgen Abraham gegründet. Damals zogen die Brüder mit ihrem Schinken über die Wochenmärkte in der Region. 1971 gründeten sie eine Räucherei in Buxtehude, 1981 errichtete das Unternehmen seine Produktionsstätte in Seevetal.

Nachdem Bell die Mehrheit des norddeutschen Unternehmens übernommen hatte, verlegte der Fleischkonzern am 1. September 2012 seine Deutschland-Zentrale von Bochum nach Seevetal. Das Unternehmen beschäftigt bundesweit rund 1300 Mitarbeiter, davon die 50 Arbeitskräfte im Werk in Seevetal und 80 in der Verwaltung. Neben Schinken bietet Bell in Deutschland auch Wurst seiner Tochter Zimbo an sowie Rostbratwürste, Salami, Frikadellen, Hacksteaks und Zwiebelmettwurst. Im Seevetaler Werk zählt man derzeit die Tage - bis der erste Spargel geerntet wird.