Norddeutsche Schiffbauunternehmen wie Sietas erhalten nur sehr wenige Aufträge für stark nachgefragte Spezialfahrzeuge.

Hamburg. Ein kostbares Einzelstück wächst da in den Hallen von Sietas in Neuenfelde heran. Ein Errichterschiff für den Aufbau von Windparks im Meer baut Deutschlands älteste Werft seit gut einem Jahr. Es ist das erste derartige Montageschiff, das Sietas fertigt. Im Spätsommer soll das Schiff an seinen Auftraggeber Van Oord aus den Niederlanden abgeliefert werden. Dann wird es eng für die Werft, die seit Ende 2011 insolvent ist. Das Errichterschiff ist derzeit der letzte Auftrag für Sietas.

Der Aufbau einer neuen Energieversorgung in der deutschen Nord- und Ostsee war und ist die Hoffnung heimischer Werften wie Sietas, Nordic Yards oder der P+S Werften in Stralsund und Wolgast. Von dem Bedarf an neuartigen Spezialschiffen aber haben die meisten deutschen Schiffbauunternehmen bislang kaum profitiert. "Die deutschen Werften haben sich um diesen Markt viel zu spät gekümmert", sagt ein Kenner der Branche. "Als die ersten Orders für Errichterschiffe platziert wurden, arbeiteten die deutschen Schiffbauer noch seelenruhig ihre Altaufträge ab."

Anders als in Norwegen oder Großbritannien gab es vor den deutschen Küsten nie eine nennenswerte Öl- und Erdgasförderung - entsprechend gering ist die Erfahrung deutscher Werften beim Bau von Offshore-Spezialschiffen. Vor allem aber fehlt ihnen Kapital, um den Bau der teils mehr als 100 Millionen Euro teuren Einzelprojekte mit zu finanzieren. Private Banken haben sich aus dem deutschen Schiffbau stark zurückgezogen. Und die staatliche KfW-Bank will sich beim Bau von Offshore-Schiffen auf deutschen Werften nicht stärker engagieren.

Aus Sicht der deutschen Werften wirkt die Entwicklung paradox: Der neue Markt liegt quasi direkt vor ihrer eigenen Haustür. Doch es kommen keine Aufträge herein. Bis zum dritten Quartal 2012 verzeichnete der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) einen Auftragseingang mit einer Tonnage von 1,29 Millionen Bruttoraumzahl. Das Gesamtjahr dürfte damit für den deutschen Schiffbau zu den schwächsten seit der deutschen Einheit zählen. Das Errichterschiff, das Sietas baut, ist die bislang einzige Order für ein solch hochkomplexes Schiff, die eine deutsche Werft tatsächlich auch ausführt. Der Boom der Offshore-Windkraft, der in Großbritannien längst läuft und der allmählich auch in Deutschland beginnt, geht am deutschen Schiffbau vorbei. Immer größere Errichterschiffe kommen an den Markt, zuletzt im Januar die "Sea Installer" der Siemens-Tochter A2 Sea. Gebaut werden die Schiffe in Südkorea, China und Indonesien, in Polen oder in den Niederlanden - aber zumeist eben nicht in Deutschland.

Dabei gibt es großen Bedarf. "Für den europäischen Offshore-Windkraftmarkt stehen derzeit rund 30 Errichterschiffe zur Verfügung, inklusive derer, die in den kommenden Monaten von den Werften abgeliefert werden", sagt der Hamburger Schiffsmakler Philippe Schönefeld, Gründer des Unternehmens German Renewables Shipbrokers, dem Abendblatt. "Wir sehen jetzt einen Engpass bei anderen Schiffstypen, die für den Bau und die Wartung von Offshore-Windparks ebenfalls gebraucht werden, seien es Wohn- und Transferschiffe für die Mannschaften, Kabelleger oder Taucherbasisschiffe." Der Aufbau eines einzigen größeren Offshore-Windparks mit 80 Windturbinen binde in der Installationsphase, die ein bis zwei Jahre dauert, eine Flotte von 20 bis 30 Schiffen.

Der Bedarf an Schiffen dürfte in den kommenden Jahren weiter stark steigen. "Die Reedereien müssen aus unserer Sicht mehr Servicetonnage in den Markt bringen", sagt Schönefeld. "Und es werden sicherlich nach und nach weitere Installationsschiffe bestellt, weil die Anforderungen steigen." Der norwegische Schiffsklassifizierer Det Norske Veritas (DNV), der mit seinem Konkurrenten Germanischer Lloyd (GL) in Hamburg fusionieren will, rechnet mit einem Bedarf von "mindestens 20 neuen Installationsschiffen für Offshore-Windparks bis 2020, um allein das in Europa erwartete Wachstum der Offshore-Windleistung zu decken". Die Schiffe werden immer größer, ihre Ausstattung leistungsfähiger. Die ausfahrbaren Stahlstelzen des weltgrößten Errichterschiffes "Innovation" erlauben Montagearbeiten in Wassertiefen von 50 Metern, mit Nachrüstung auch mehr. Die "Innovation", gebaut für den Hochtief-Konzern auf der Crist-Werft im polnischen Gdynia, errichtet derzeit vor Borkum den Windpark "Global-Tech 1".

Nordic Yards in Wismar und Rostock-Warnemünde hat im deutschen Schiffbau vom Offshore-Windkraftmarkt bislang am stärksten profitiert. Die Doppelwerft baut für Siemens Stahlgehäuse für Offshore-Umspannwerke. Jede Ablieferung einer der maßgefertigten Großstrukturen bringt Nordic Yards kostbare Referenzen. Einen neuartigen Typ eines Installationsschiffes, den Nordic-Ingenieure entworfen haben - genannt "Heavy Installer" - konnte das Unternehmen bislang allerdings nicht vermarkten.

Fast schon tragisch ist die Lage für Sietas. Bereits für Ende 2012 hatte das Unternehmen einen Folgeauftrag von Van Oord für ein zweites Errichterschiff erwartet. Den aber zogen die Niederländer zurück, vorgeblich, weil sich ein großes Windparkprojekt des Stromkonzerns EnBW in der deutschen Nordsee verschiebt. Sietas läuft die Zeit davon. Wenn nicht sehr bald ein neuer Auftrag hereinkommt, dürften 378 Jahre Schiffbau in Neuenfelde bald nur noch Geschichte sein.