Susanne Wulfsberg leitet das Gestüt Floggensee im Kreis Stormarn. Nur vom Verkauf der Reitpferde kann sie aber nicht leben.

Floggensee/Bad Oldesloe. Noch stehen die sechs Fohlen weit draußen auf der Weide im frisch gefallenen Schnee. "Aber sie kommen sicher gleich zu uns herüber", sagt Susanne Wulfsberg. Tatsächlich dauert es nur wenige Momente, bis die kleine Herde herantrabt. Wulfsberg hält es nicht vor dem Zaun. Auf der Weide streichelt sie Pferdenasen, das struppige, im Winter lang und dicht gewachsene Fell und erhält selbst zärtliche Stupser. Die Tiere kennen die Chefin des Gestüts Floggensee, das ein paar Kilometer südwestlich von Bad Oldesloe liegt. Bei vier von ihnen hat die Tierärztin bei der Geburt geholfen. Jetzt schlägt sie mit einem Hammer die zugefrorene Tränke auf. "Selbst eiskaltes Wasser mögen die Tiere" erklärt sie. Genauso wie ihren Platz zum Austoben. "Pferde sind Lauftiere", sagt Wulfsberg.

Auf Auslauf und Bewegung legt die Gestütschefin für alle Zuchtstuten und Hengste, ihre eigenen Reitpferde sowie die 50 in Boxen stehenden Tiere von Pferdeliebhabern besonderen Wert. Damit soll der nach dem nahen Dorf Floggensee benannte Hof der Tierärztin punkten. Floggensee hat Platz für 90 Tiere, erzielt mit Zucht und Pensionspferden 200.000 bis 300.000 Euro Umsatz im Jahr und ernährt sieben Angestellte und die Chefin. "Wir bemühen uns, eine schwarze Null zu schreiben", sagt sie.

Das Geschäft ist hart. Denn in Hamburg und Umgebung gibt es zwar 7000 bis 8000 Pferde, wie Kai Haase sagt, der Geschäftsführer des Fachverbandes für den Pferdesport in Hamburg. In den 65 Reitvereinen und 25 Reitschulen sind zudem 8500 Mitglieder organisiert. Doch die Gestüte stehen zumindest bei der Unterbringung der Tiere nicht nur untereinander in Konkurrenz, sondern auch zu Pferde- und Bauernhöfen. "Das Einstellen von Tieren kann für Landwirte lukrativ sein", sagt Susanne Hennig, Sprecherin der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, die bundesweit bis zu 1,8 Millionen Reiter und 1,2 Millionen Pferde gezählt hat.

Um für die bei ihr eingestellten Tiere genügend Platz zu schaffen, hat Wulfsberg seit der Übernahme des Gutes im Jahr 2000 allein eine Million Euro in neues Land investiert. Damit wuchs die Fläche von gut zehn auf 60 Hektar. Die Reithalle wurde von 40 auf 60 Meter verlängert, ein Aufenthaltsraum mit Küche und Kamin für die Kunden des Gestüts angebaut, und allein der Boden der Halle kostete 80.000 Euro. Das Geläuf wird nun computergesteuert je nach Bedarf be- oder entwässert, um so jederzeit griffig für die Hufe zu sein. Entlang der Weiden hat Wulfsberg jeweils drei Meter ausgespart und so ein kilometerlanges Wegenetz zum Ausreiten geschaffen.

Das Konzept der 52-jährigen Gestütschefin ist klar. Alle Pferde unter drei Jahren stehen draußen und können frei laufen. Die älteren Tiere kommen entweder morgens von sieben bis elf Uhr oder nach dem Füttern am Nachmittag auf die Weide. "Allein das Hin- und Herführen der Tiere lastet einen meiner Mitarbeiter komplett aus", sagt Wulfsberg. Pferdeeigner können zudem für 75 Euro im Monat die Führanlage buchen. In der runden, 20 Meter im Durchmesser großen Halle laufen sie dann in sechs großen statt wie üblich acht Boxen hintereinander her.

Mit dem Gestüt hat Wulfsberg, die in Rheinland-Pfalz aufwuchs und mit sechs Jahren erstmals auf einem Pferd saß, ihr Hobby zum Beruf gemacht. Nach dem Examen in Tiermedizin in München wechselte sie in den Norden, wo auch die Familie ihres Mannes wohnt. Nach dem Kauf von zwei Dressurpferden lernte sie dann den Trainer und Pferdewirtschaftsmeister Frank Agné kennen, der noch heute mit ihr zusammenarbeitet.

Agné kannte Floggensee und empfahl ihr einzusteigen, als der damalige Besitzer nach Spanien wechseln wollte. Die Übernahme gelang. Allerdings brauchte das Ehepaar drei Jahre und musste über drei Instanzen gegen die damaligen Pächter klagen, bis es das Wohnhaus und die Ställe nutzen konnte. Danach füllten die Tiere der Agné-Kunden rasch die Boxen, und die Zucht begann.

"Schon als Kind mochte ich schwarze Hengste", sagt die Chefin des Gestüts bei einem Kaffee in der Wohnküche. Ihren fand sie mit Placido, der zwar durch sein langes Stehen in einer Box lahmte, aber für sie unwiderstehlich schön war. Schließlich kaufte Wulfsberg den Hengst 2001 für 20.000 Mark, kurierte ihn und konnte ihn dann jahrelang sogar ohne Sattel reiten. Die Fohlen von Placido brachten die ersten Einnahmen für das Gestüt. Und noch heute stehen einige der 15 seiner Nachkommen auf dem Hof. Zu ihnen gehört auch Placido Classico, der an diesem Vormittag schon auf Wulfsberg wartet und beim Ritt vorbei an einem Außenplatz einen begehrlichen Blick auf die dort stehenden Stuten wirft.

Zum Verkauf stehen in Floggensee zumeist Pferde, die um die drei Jahre alt sind. Bis dahin kann die Dressurreiterin die Tiere so ausbilden, dass sie an Menschen gewöhnt sind und von Käufern leicht geritten werden können. Damit ihrer Chefin möglichst viel Zeit für die Pferde bleibt, hat Isa-Jasmin Marck seit 13 Jahren das Säubern und Bürsten, Satteln und Longieren übernommen. "Mit ihrer Hilfe kann ich zwölf Pferde pro Tag reiten", sagt Wulfsberg. Das Training soll sich danach beim Verkaufspreis auszahlen.

Sicher ist das nicht. Denn der Verkauf eines Pferdes wird oft zum Pokerspiel, bei dem mitunter sogar Röntgenstrahlen die Gesundheit eines Tieres belegen sollen. Züchter stehen so vor einem Dilemma. Lohnt es sich, die Tiere länger zu behalten, oder reicht der möglicherweise höhere Kaufpreis dann nicht, um die zusätzlichen Futterkosten zu bezahlen? Und selbst Rekordpreise werden schnell zu einem schlechten Geschäft, weil Vermittler wie bei Fußballprofis auf Provisionen bestehen. Im Juli 2012 stieg dann die Mehrwertsteuer für Pferdeverkäufe auf 19 Prozent, sodass Interessenten tiefer in die Tasche greifen oder die Züchter ihren Gewinnanteil kürzen müssen. Nicht einfach. Denn die Verkaufspreise stehen unter Druck.

Der Hintergrund: Die Zahl der gedeckten Stuten lag zwar 2011 mit 29.000 nur noch gut halb so hoch wie in den Jahren 2008 und 2009 und wird im vergangenen Jahr erneut um zehn bis 15 Prozent gesunken sein, schätzt die Reiterliche Vereinigung. "Doch aufgrund der vielen zuvor gezüchteten Pferde wird es wohl noch Jahre dauern, bis tatsächlich ein Mangel eintritt", sagt Sprecherin Hennig. Wulfsberg rechnet derzeit im Durchschnitt mit 10.000 Euro für ihre Dreijährigen, von denen sie jährlich drei bis vier anbietet.

Leichter zu kalkulieren sind für die Gestütschefin die Einnahmen für die vermieteten 50 Boxen. 405 Euro zahlen die Kunden, zu denen auch Hamburger gehören, einschließlich Pflege und Futter im Monat. Allerdings werden auch Heu, Stroh sowie das Pferdefutter teurer - eine Folge der Energiewende. Denn immer mehr Landwirte bauen auf ihren Feldern Mais für Biogasanlagen oder Ökosprit an, statt sie für Heu oder Hafer zu nutzen.

Solchen Kosten kann Wulfsberg wenig entgegensetzen. Ihre Ausbildung als Tierärztin und Dressurreiterin bringt ihr jedoch Vorteile. So kann sie nicht nur die Geburt der Fohlen ohne Hilfe abwickeln, sondern ihre Tiere später selbst untersuchen, sie mit Akupunktur behandeln, ihre Hufe schneiden, die Zähne raspeln und schließlich das Zureiten übernehmen. Alles notwendige Arbeiten, für die andere Züchter teuer bezahlen müssen. Als Zusatzeinnahme verbucht Wulfsberg zudem Decktaxen von 750 Euro, wenn Kunden Samen ihrer Hengste für ihre Stuten brauchen. "So reichen 10.000 Euro als Verkaufspreis für ein Pferd oft aus, um Geld zu verdienen", sagt sie. "Als Ärztin kann ich die erste Trächtigkeitsuntersuchung dazu kostenlos anbieten."

Dennoch: Um die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens abzusichern, denkt sie bereits über ein drittes Standbein neben der Zucht und den Pensionspferden nach. Künftig könnte es in Floggensee Reitunterricht für Erwachsene geben, ohne dass Interessenten ein Pferd kaufen oder eine Reitbeteiligung eingehen müssten. "Ich möchte aber nicht, dass meine Kunden durch die Schüler eingeschränkt werden", sagt Wulfsberg. "Die Überlegungen sind daher längst noch nicht abgeschlossen."

Unterschrieben ist dagegen der erste Kaufvertrag in diesem Jahr. Für einen dreijährigen Hengst zahlte der neue Besitzer sogar 20.000 Euro. "Das Jahr hat also schon gut angefangen", sagt die Züchterin.