Popcorn im Kino, Bier und Wurst im Stadion: Warum muss das alles so teuer sein? Paradox: Der Zusatzkonsum drückt die Eintrittspreise

Am Popcorn scheiden sich die Geister: Was für Katholiken das Kondom, für Architekten die HafenCity und für Tugendwächter der Brüderle ist, ist für Kinogänger der aufgepoppte Mais - schwer umstritten. Während Cineasten Popcorn schlicht grauenvoll finden, können Filmfreunde in den Multiplex-Lichtspielhäusern davon nicht genug bekommen. Doch eines eint sie: Beiden Gruppen ist der Preis ein Rätsel. Da kostet eine Jumbo-Packung 5,99 Euro, der halbe Liter Cola dazu noch einmal 3,59 Euro. Die Kalorien kommen im Kino inzwischen teurer als die Karte.

Filmtheater gelten als Vorreiter eines Trends, der im Freizeitbereich überall um sich greift. Wie bei der Miete oder Flugtickets gesellt sich zu den Eintrittskarten längst eine zweite Rechnung aus versteckten Nebenkosten. Insgesamt kletterten die Preise im Bereich "Kultur, Unterhaltung und Freizeit" im Dezember 2012 um 2,2 Prozent und gehörten damit zuletzt zu den Treibern der Inflation.

Und entwickeln sich zum Ärgernis. Das Bier im Stadion, die Pommes im Zoo, die Brezel im Zirkus - neben teuren Karten fühlt sich so mancher Besucher abgezockt. Besonders arg treibt es der Cirque du Soleil, der bis Freitag in Hamburg gastierte. Für eine kleine Apfelschorle und eine Brezel zahlte man im Zelt im Moorfleeter Gewerbegebiet satte 9,50 Euro, für ein Magnum-Eis noch einmal 4,50 Euro - Letzteres also mit einem Aufschlag von 200 Prozent im Vergleich zum Handel. Auch sonst wähnt man sich eher in einer Apotheke als in einem Zirkus - man kann Fan-Devotionalien wie Regenschirme oder Tassen zu Mondpreisen erstehen.

Und die Besucher kaufen. Hat man den Kunden nämlich erst einmal in sein Zelt gelockt, folgt die Zweitverwertung. "Die Preissensibilität ist bei Eintrittskarten viel höher als bei Serviceleistungen während eines Events", sagt Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien an der Universität Münster. "Wenn ich mich erst einmal für ein Ereignis entschieden habe, dann will ich Spaß haben. Dann bin ich spendabel, denn es ist Teil des Events, dessen Genuss ich nicht durch Knauserigkeit gefährden will", sagt der gebürtige Hamburger Hennig-Thurau. Und erinnert sich selbst an einen Kauf in der Alsterdorfer Sporthalle: "Damals habe ich eine Janet-Jackson-Cap gekauft, die viel teurer als das Ticket war und danach nur im Regal lag." Aber gerade diese Souvenirs seien Teil eines "hedonistischen Konsums": "Wir wollen eine gute Zeit haben, genießen."

Auf diesen Genussmoment setzen inzwischen Veranstalter aller Branchen. Essen und Trinken sind kein notwendiges Begleitangebot, sondern zentrales Element des Erlebnisses. Vorreiter sind die internationalen Illusionisten. Beim Cirque du Soleil heißt es: "Wir betrachten unsere Show als Premium-Erlebnis." Gerade als mobiler Veranstalter habe man hohe Kosten. "Jede Erlösquelle ist wichtig, um den Fortbestand und die Weiterentwicklung des Cirque du Soleil zu garantieren", betont Manager Martin Gagnon.

Hennig-Thurau sieht es ökonomischer. "Entscheidend ist die Zahlungsbereitschaft der Zielgruppe. Und die ist zum Beispiel im Cirque du Soleil eine andere als in der Fabrik in Altona." Es gebe eine Grenze der Zahlungsbereitschaft, an der die Stimmung umschlage - und die sollten Anbieter nicht überschreiten.

Weit von dieser Grenze entfernt sind die klassischen Angebote der Hochkultur. Im Schauspielhaus kosten Softdrinks 2,50 Euro, das Glas Wein 4,50 Euro. Anka Dohmen vom Schauspielhaus betont, der Pächter müsse die Personalkosten ganz anders kalkulieren als in einem normalen Gastronomiebetrieb. Aufgrund der kurzen Pausen sei ein schneller Service entscheidend. "Trotz dieses Umstands liegen die Bewirtungspreise im Schauspielhaus auf einem vergleichsweise moderaten Niveau", sagt Dohmen.

In den Fußballstadien hingegen driften die Preise in Richtung Champions League. Wer ein Stadiongedeck aus Bier und Currywurst wählt (bei St. Pauli kostet es sechs Euro; beim HSV 7,70 Euro), stößt fast schon in die Dimension einer Eintrittskarte vor. Das Tagesticket für eine Zweitliga-Partie liegt bei rund 13 Euro, für ein Bundesliga-Spiel im Schnitt bei 22,75 Euro. "Damit ist die Bundesliga weiterhin die preisgünstigste Topliga in Europa, in England liegt der durchschnittliche Ticketpreis bei fast dem Doppelten", lobt sich die Bundesliga selbst. Ausgerechnet das teure Pils und die happige Wurst liefern dazu einen bescheidenen Anteil. Denn die Verträge mit den Gastronomen sind für die Vereine äußerst lukrativ. Das Catering, das unter sonstigen Erlösen verbucht wird, treibt die Umsätze mit nach oben. Sein Anteil stieg in dem rasant wachsenden Fußballgeschäft zuletzt von 9,6 auf 11,4 Prozent.

Ausgerechnet die verhasste Kommerzialisierung des Fußballs wirkt preisdrückend. Die Erlöse aus Merchandising, Werbung und Catering lassen sich leichter steigern und stoßen auf weniger Widerstand in der Fankurve. Während Unternehmensberater den Vereinen raten, die Ticketpreise zu erhöhen, suchen die Vereinsvorstände andere Möglichkeiten, haben VIP-Logen geschaffen, das Merchandising ausgeweitet und das Catering ausgebaut.

Der Fußball vollzieht nach, was in der Unterhaltungsindustrie längst üblich ist. "Wenn man erst einmal im Stadion ist, steht der Genuss im Mittelpunkt", sagt Hennig-Thurau. Gerade weil Fußball ein Gruppenerlebnis ist, will keiner der Spielverderber sein, auch wenn das Bier vier Euro kostet."

Den Spaß lässt man sich auch 2500 Meter Luftlinie nordöstlich vom Millerntor-Stadion einiges kosten. Der Tierpark Hagenbeck hat nach zusätzlichen Einkommensquellen gesucht und sie in der Fritteuse und am Zapfhahn gefunden. Wer bei Hagenbeck hungrige Kinder dabeihat, wird rasch ein zweites Eintrittsgeld los. Fischstäbchen mit Pommes und ein kleiner Orangensaft schlagen mit 11,10 Euro zu Buche; für ein großes Tafelwasser sind 3,90 Euro, für die Backkartoffel mit Champignons 8,90 Euro fällig. Das Parken kostet 3,50 Euro, der Bollerwagen Miete, die Märchenbahn, Ponyreiten und Tierfutter extra.

Was teuer klingt, haben andere Freizeitparks auf die Spitze getrieben. Wer den Heidepark in Soltau besucht, zahlt als vierköpfige Familie 112 Euro. Wer nicht an den Fahrgeschäften anstehen möchte, kann sich einen sogenannten Express-Butler kaufen. Der stellt sich virtuell in der Warteschlange an, kostet für die Familie aber noch einmal 48 Euro extra. Selbst der Fön nach der Wildwasserbahn ist nicht umsonst. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Doch Nepp, Abzocke und nachvollziehbare Kalkulation liegen eng beieinander. Das zeigt der Blick aufs Kino.

Die Branche leidet - obwohl 3-D-Filme zuletzt die Bilanz wieder verbessert haben - deutschlandweit unter einem Besucherrückgang. Von 2003 bis 2012 sind die Besucherzahlen von 140 auf 135 Millionen pro Jahr gesunken. Zugleich stiegen die Ticketpreise um ein Drittel von 5,75 Euro im Schnitt auf 7,65 Euro. In derselben Zeit kletterte der Preisindex nur um 21 Prozent. Doch die Preisschraube lässt sich nicht unendlich weiterdrehen. Gerade in den vergangenen Monaten haben viele Lichtspielhäuser über spezielle Rabatte oder Coupon-Aktien Kinotickets günstig auf den Markt geworfen. Das mögliche Kalkül: Geld soll auf anderem Weg in die Kassen gespült werden - vor allem über den Tresen.

Weil die Hamburger Cinemaxx AG börsennotiert ist, ermöglicht sie einen genauen Blick in die Geschäfte eines Freizeitkonzerns. Der Marktführer erzielte im ersten Halbjahr 2012 einen Umsatz von rund 82 Millionen Euro. Doch nur 51 Millionen Euro davon stammen im Inland aus dem Verkauf von Tickets - ein Rückgang zum Vorjahreszeitraum von zwei Prozent. Schon 19,5 Millionen Euro gaben die Besucher für Essen und Trinken aus, ein Plus von gut fünf Prozent. Pro Besucher erlösten die Kinobetreiber damit 3,42 Euro extra. "Vom Eintrittspreis allein kann ein Kino nicht existieren - etwa die Hälfte des Eintrittspreises wird schon an den Filmverleih abgegeben, der den jeweiligen Kinofilm verleiht", sagt UCI-Sprecher Thomas Schülke und verweist auf hohe Fixkosten wie Personal, Miete und Strom. "Nebenumsätze aus Getränken und Speisen sind daher sehr wichtig, um die Betriebskosten zu decken."

Der Umsatz ist das eine, der Gewinn das Entscheidende. Am Bier verdienen die Kino-Konzerne mehr als am Bild, wo die Filmverleiher kräftig zulangen. In den USA ergab eine Studie, dass Kinos mit Essen und Trinken 20 Prozent ihrer Einnahmen, aber 40 Prozent ihres Gewinns erzielten. In Deutschland gibt es Lichtspielhäuser, die sogar 50 Prozent durch Speis und Trank einbringen müssen. Das erklärt die gigantischen Volumina der ausgeschenkten Getränke und der Maisverpackungen. Die Jumbo-Größen erinnern an Requisiten aus dem Gulliver-Film.

"Kino ist längst auch ein Popcorn- und Cola-Business" sagt Hennig-Thurau. "Deshalb müssen Kinobetreiber heute mindestens so viel von Gastronomie wie von Filmkunst verstehen." Die Kinos kämpften insgesamt mit einer desaströsen Auslastung von rund zehn Prozent der Sitze, da seien Zusatzerlöse überlebenswichtig. Es erinnere ein wenig an Elektromärkte, sagt Hennig-Thurau. Die böten DVD und CD trotz niedriger Gewinnmargen an, um Kunden in die Märkte zu locken, in der Hoffnung, dass sie da eine Waschmaschine kaufen.

Aber wahr ist auch: Die Nebenkosten sind freiwillig, kein Besucher wird gezwungen, den Abend zu veredeln, teure Nachos zu knabbern oder ein Gläschen Schampus zu schlürfen. Es bleibt ein freiwilliger Service, den sich die Anbieter üppig bezahlen lassen.

Vielleicht ist es anders, als Kulturpessimisten und Sozialromantiker argwöhnen: Nicht das verfluchte Popcorn-Kino schießt den Lichtspielhäusern die Lichter aus, es ist genau andersherum: Das Popcorn rettet das Kino. Und ausgerechnet der böse Stadion-Caterer hält den Eintritt zum Fußballspiel erschwinglich.

Mitarbeit: Nils Kemter