In Schleswig-Holstein gehen jetzt Bürgermeister und Landräte auf die Barrikaden, weil eine Stromleitung nicht gebaut werden soll.

Lübeck. Sie heißen "Interessen-Gemeinschaft Achtung Hochspannung" oder "Bürgerinitiative Vorsicht-Freileitung". In Deutschland machen Dutzende Bürgerinitiativen gegen den Ausbau der Stromtrassen für die Energiewende mobil. In der Regel handelt es sich um Betroffene, die befürchten, hohe Strommasten in den eigenen Garten gestellt zu bekommen. Unterstützung erhalten sie von Kommunalpolitikern und Gemeinderäten, die von eben diesen Bürgern wiedergewählt werden wollen. Das muss aber nicht so sein. In Schleswig-Holstein gehen jetzt Gemeindebürgermeister und Landräte auf die Barrikaden, weil eine Stromleitung nicht gebaut werden soll.

Es geht um die sogenannte Ostküstentrasse. Dabei handelt es sich um eine Höchstspannungsleitung von 380 Kilovolt (kV), die Netzbetreiber und Energieversorger in Ostholstein errichten wollen. Sie soll von Lübeck Richtung Heiligenhafen mit einem Abzweig nach Kiel gebaut werden und in dieser Region den Strom der vielen Windparks einsammeln und Richtung Süden führen. Doch kürzlich hat die Bundesnetzagentur die Planungen gestoppt. Das Projekt wurde aus der Liste des Netzentwicklungsplans vorerst gestrichen.

Für die 500 Windmühlenbetreiber und Gesellschafter von Windparks ist das "eine Katastrophe", wie Karl Detlef meint. Detlef ist Vorstandsmitglied des Wirtschaftsverbands Windkraftwerke und Sprecher der Windmüller von Fehmarn. "Das bestehende Netz ist schon jetzt überlastet. Durch den Bau weiterer Windparks und die Erneuerung bestehender Anlagen kommt aber immer mehr Windstrom hinzu. Wenn der aber nicht abtransportiert werden kann, müssen die Windmüller ihre Anlagen stilllegen und Fehmarn wird von der Energiewende vollständig abgeschnitten", sagt Detlef. Eigentlich könnte es ihm egal sein. Denn nach dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) wird Windmüllern, deren Anlagen wegen einer drohenden Netzüberlastung abgeschaltet werden müssen, die entgangene Vergütung entschädigt. "Aber so macht die Energiewende doch überhaupt keinen Sinn."

Detlefs Verärgerung als Windparkbetreiber ist wenig überraschend, die von Reinhard Sager hingegen schon. Sager ist Landrat des Kreises Ostholstein und muss als Wahlbeamter schon darauf hören, was die Bürger wollen. Er findet für die Entscheidung der Bundesnetzagentur noch drastischere Worte. "Damit wird ganz Ostholstein von der Energiewende abgehängt", sagt er. Er könne die Entscheidung nicht nachvollziehen, da die Region Vorreiter bei der Energiewende sei. So seien gerade erhebliche neue Flächen für weitere Windparks ausgewiesen worden. Allein die Leistung der Windenergie werde damit von 400 auf mehr als 1000 Megawatt ausgebaut. "Das entspricht einem Großkraftwerk. Für mich ist nicht nachvollziehbar, wie allein der gewaltige Zubau an Windrädern ohne Netzausbau möglich sein soll", so Sager. Natürlich stoße er damit nicht bei allen Bürgern auf Zustimmung. Aber die Energiewende sei in einem breiten Konsens beschlossen worden. "Wir müssen den Bürgern eben auch den wirtschaftlichen Vorteil nahebringen. Denn wenn die neue Stromtrasse nicht gebaut wird, drohen etliche Investitionen auszufallen. Allein in Ostholstein geht es um zwei Milliarden Euro.

Die Investitionen hat auch Thomas Keller im Kopf. Der Bürgermeister der Gemeinde Ratekau probt seit Längerem den Schulterschluss zwischen Ökonomie und Ökologie. Ratekau war "Bundeshauptstadt im Klimaschutz 2010" und wirbt mit einem integrierten Klimaschutzkonzept, das alle Lebensbereiche umschließt. In Kellers Brust schlagen zwei Herzen, wie er selber zugibt. "Einerseits sorge ich mich im Sinne der Bürger darum, dass eine Höchstspannungsleitung quer durch unsere Gemeinde verlegt wird. Andererseits sehe ich die Notwendigkeit des Netzausbaus. Sonst macht die ganze Energiewende keinen Sinn", sagt er.

Keller würde sich wünschen, dass auf Strommasten verzichtet, und stattdessen ein Erdkabel verlegt würde. Doch das wird derzeit in Deutschland nicht gestattet. Hochspannungsleitungen können unterirdisch verlegt werden, Höchstspannungsleitungen nicht. "Beim derzeitigen Stand der Technik wären Versorgungs- und Systemsicherheit dann nicht mehr gewährleistet", sagt Alexander Greß vom Übertragungsnetzbetreiber TenneT. Und eine Verringerung der Leistung hält TenneT auch für keine gute Alternative: "Wir gehen sogar davon aus, dass das Leistungspotenzial der Windenergie bis 2015 um 1500 Megawatt wächst."

Die Zahl wird vom Energiewendeminister Schleswig-Holsteins Robert Habeck (Grüne) bestätigt: "Ich bin aber nicht überzeugt, dass es gar keinen Bedarf für eine 380-kV-Leitung gibt. Wir haben in Ostholstein bereits heute Abschaltungen von Windkraftanlagen. Und wir rechnen mit einem Gesamtpotenzial von 1500 Megawatt in den nächsten Jahren - das ist mehr als die Leistung eines großen Atomkraftwerks." Habecks Ministerium will sich bald mit allen Beteiligten zusammensetzen, um den Bedarf zu entwickeln.

"Wir sind immer gesprächsbereit", heißt es aus Bonn. Der Netzentwicklungsplan sei auf der Grundlage verschiedener Annahmen entwickelt worden. "Es wird jährlich überprüft, inwieweit diese Annahmen noch zutreffend sind", sagt der Sprecher der Bundesnetzagentur Rudolf Boll. Es könne also noch zu Änderungen kommen. Im kommenden Jahr werde die Bundesregierung ihre Pläne für den Netzausbau vorstellen. Erst danach seien verlässliche Aussagen möglich. In Ostholstein hat man noch Hoffnung.