Reales Guthaben sinkt, weil Zinserträge geringer sind als der Wertverlust durch die Inflation. Aktien bieten mehr Rendite - bei mehr Risiko.

Hamburg. Der Prozess vollzieht sich schleichend, fast unbemerkt. Sparen lohnt sich nicht mehr, wenn man genau hinsieht. Der Kontostand steigt zwar leicht, aber real verlieren die Anleger Jahr für Jahr etwas von ihrem Geld. "Hier werden Sparer und Lebensversicherungskunden in jeweils kleinen Schritten durch Wertverlust de facto enteignet", sagt der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon.

Zwar gibt es noch einige Banken, bei denen die Zinsen über der Inflationsrate liegen, aber die Masse der Hamburger hat dort ihr Geld nicht angelegt, sondern eher bei Instituten wie Hamburger Sparkasse, PSD Bank Nord oder Postbank. Die Zinsen dort für eine zweijährige Anlage liegen bei unter einem Prozent. Wer zum Beispiel 10 000 Euro bei der Postbank für zwei Jahre anlegt, hat danach 10 050 Euro auf dem Kontoauszug. Nach Abzug der Preissteigerungsrate von zwei Prozent hat der Sparer aber nur noch eine Kaufkraft im Wert von 9650 Euro.

Fachleute nennen diesen Prozess finanzielle Repression. "Dabei werden Schuldner entlastet und Sparer belastet", sagt Bernd Schimmer, Anlagestratege der Hamburger Sparkasse. Es sei eine Illusion zu glauben, dass diese Entwicklung nur von kurzer Dauer sei. Denn die finanzielle Repression wirkt beim Schuldenabbau der Staaten nur, wenn sie langfristig durchgehalten wird. Hauptziel ist es, die nominalen Zinsen sehr niedrig zu halten, damit Staaten aus ihren Schulden herauswachsen können. Auf diese Weise haben sich die USA nach dem Zweiten Weltkrieg eines Großteils ihrer Schulden entledigt. Die Schulden sanken von 122 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf nur noch 30 Prozent Mitte der 1970er-Jahre. Inzwischen liegt der Schuldenstand wieder bei mehr als 100 Prozent.

Auch die europäischen Länder leiden unter hohen Schuldenquoten. Künstlich niedrig gehaltene Renditen von Staatsanleihen helfen, um die Relation von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt sinken zu lassen. Das niedrige Zinsniveau bei Staatsanleihen wirkt sich natürlich auch auf Sparanlagen aus. "Die finanzielle Repression ist für mich der wichtigste Anlagetrend der kommenden 20 Jahre", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Mit Sparanlagen kann dieser Entwicklung nur begrenzt ausgewichen werden. Die Verzinsung muss deutlich über der Inflationsrate liegen, um noch einen kleinen Wertzuwachs zu erreichen. Das ist mit Tagesgeld nicht mehr möglich. Der höchste Zinssatz beträgt 2,20 Prozent bei Rabo Direct. Die meisten Institute liegen weit darunter. "Der reale Wertverlust der Tagesgeldsparer liegt derzeit bei 1,32 Prozent", hat Max Herbst, Chef der FMH-Finanzberatung, die Bankkonditionen analysiert, ermittelt. Er rät deshalb zu längerfristigen Anlagen. Das habe sich auch in der Vergangenheit als die richtige Strategie erwiesen. Vor vier Jahren konnte man sich noch einen vierjährigen Sparbrief für durchschnittlich 4,44 Prozent sichern. Der Zins ist fest, während die Tagesgeldkonditionen ständig sanken.

Jetzt gibt es für vier Jahre bei der VTB Direktbank 3,30 Prozent und bei der Hanseatic Bank 3,25 Prozent. Wer sein Geld nur zwei Jahre festlegen will, erhält bei der IKB direkt 2,50 Prozent.

Höhere Renditen lassen sich für Anleger, die keine Kursschwankungen verkraften, nicht mehr erzielen. "Eine im Vergleich zum Festgeld höhere Rendite ist nicht ohne ein erhöhtes Risiko möglich", sagt Carsten Mumm von der Privatbank Donner & Reuschel. Das Risiko könne allerdings durch die Zusammenstellung eines breit gestreuten Depots aus unterschiedlichen Anlageklassen reduziert werden.

Wer sein Geld erhalten will, muss ganz neu denken. "In Zeiten der finanziellen Repression muss Sicherheit der Anlage neu definiert werden", sagt Hans-Jörg Naumer von Allianz Global Investors. Bisher betrachteten die Sparer die Anlagen ohne Kursschwankungen als sicher. Künftig muss diese Sicherheit eher als Erhalt der Kaufkraft verstanden werden.

Für Haspa-Experte Schimmer führt deshalb kein Weg an der Aktie vorbei. "Und auch bei diesen Papieren gibt es regelmäßige Ausschüttungen von drei bis vier Prozent in Form der Dividende", argumentiert er in Richtung von Anlegern, die Zinsen als Ertrag üblicherweise bevorzugen. Eine fünfjährige Anleihe von Siemens bringt nur eine Rendite von 1,5 Prozent, die Siemens-Aktie aber knapp vier Prozent Dividende. Im Vergleich zu anderen Anlagen sieht er Aktien etwa im Deutschen Aktienindex (DAX) als sehr günstig bewertet. "Mit Blick auf die Gewinne im nächsten Jahr liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei zehn, das ist sehr günstig", sagt Schimmer. Er rät zu Aktien mit einer breiten internationalen Ausrichtung wie Nestlé, L'Oreal oder BASF.

Aber Aktien sind natürlich mit Kursschwankungen verbunden. Das schreckt viele Sparer ab. Die Stiftung Warentest hat ein Modell entwickelt, mit dem man sich selbst ein Garantiedepot aus Festzinsanlage und Aktien oder Aktienfonds bauen kann. Der Zinssatz der Festzinsanlage entscheidet darüber, wie viel Aktien man sich leisten kann, um am Ende des Anlagezeitraumes keine Verluste hinzunehmen.

Bei einem Anlagezeitraum von fünf Jahren und einem Zins von 3,50 Prozent, könnten 17 Prozent des Anlagebetrages in Aktien fließen. Dabei ist unterstellt, dass die Aktien einen Verlust von 60 Prozent erleiden können, ohne dass die Anlage insgesamt in die Verlustzone rutschen würde. Im Durchschnitt (seit 1970) hätte das Depot mit einem weltweit anlegenden Aktienfonds nach fünf Jahren einen Wertzuwachs von knapp 20 Prozent verbucht. Längere Anlagezeiträume von bis zu zehn Jahren ermöglichen einen Aktienanteil von bis zu 30 Prozent. Wer bei Aktien allerdings mit einem Totalverlust rechnet, dürfte bei einer Laufzeit von fünf Jahren nur elf Prozent in Aktien investieren. Das lohnt dann aber kaum noch. Schimmer rät je nach Risikobereitschaft zu einem Aktienanteil von bis zu 50 Prozent.

Andere Möglichkeiten gibt es für Sparer kaum, ihre Rendite etwas aufzupeppen. Deutsche Staatsanleihen bringen bei einer Laufzeit von zehn Jahren weniger als zwei Prozent. "Zu italienischen oder spanischen Papieren mit einer höheren Rendite würde ich noch nicht raten", sagt Schimmer. "Die politischen Unsicherheiten um solche Länder herum, die die Rendite beeinflussen, sind zu hoch." Firmenanleihen von großen Konzernen bringen auch nur eine geringe Verzinsung. Wer bis zu sieben Prozent Rendite haben will, muss höhere Risiken eingehen, etwa bei Anleihen von mittelständischen Firmen wie Seidensticker oder Valensina.

Edelmetalle wie Gold oder Silber haben zwar noch Potenzial, solange die Realverzinsung vieler Anlagen negativ ist. "Sie eignen sich aber nur zu einer Beimischung im Depot", sagt Schimmer. Das gilt auch für Rohstoffe. "Wir bevorzugen Fonds wie den Pioneer Commodity Alpha, der in mehrere Rohstoffe investiert", sagt Mumm.

Bleiben noch Fremdwährungen wie Schweizer Franken oder Norwegische Krone. "Das ist eher etwas für Anleger, die mit einem Zerfall der Euro-Zone rechnen", sagt Schimmer. Denn eine attraktive Rendite bieten die Anleihen dieser Staaten auch nicht.

Die Aktie ist damit einer der wenigen praktikablen und chancenreichen Anlageformen, um der finanziellen Repression zu entweichen. Manche haben das schon erkannt. Durchschnittlich 10,2 Millionen Anleger steckten hierzulande im ersten Halbjahr 2012 direkt oder indirekt Geld in Aktien. Das sind 1,5 Millionen mehr als Ende 2011.