Die globale Finanznot der Verbraucher macht's möglich: Das Imperium der Aldi-Brüder erobert inzwischen andere Kontinente. Und ein Ende der Expansion ist noch lange nicht geplant.

Hamburg. Für manch einen Amerikaner mag es ein Kulturschock gewesen sein. Als unlängst in Knoxville (US-Bundesstaat Tennessee) der erste Aldi-Markt der Stadt öffnete, warnte der lokale Nachrichtenkanal Knoxnews die Einwohner, sie müssten sich auf eine "neue Einkaufserfahrung" gefasst machen. In dem neuen Laden gebe es nämlich niemanden, der einem die Tüten packe. Außerdem müssten sich die Kunden vor dem Geschäft einen Einkaufswagen für 25 Cent leihen. "Erst wenn sie den Wagen zurückgebracht haben, kriegen sie ihr Geld zurück."

Was bei deutschen Discountern seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, sorgt in den Vereinigten Staaten noch immer für erstaunte Gesichter. Schmucklose Geschäfte, Ware aus dem Pappkarton, kein Service, dafür aber konkurrenzlos günstige Preise. Bis zu 50 Prozent liegt die deutsche Billigkette nach eigenen Angaben unter den Preisen einheimischer Supermärkte. 20 Prozent sollen es im Vergleich zum US-Marktführer Wal-Mart sein.

Dieses Konzept scheint in Zeiten der Finanzkrise immer besser aufzugehen. Nach 20 bis 30 Geschäften in den Vorjahren eröffnete Aldi 2008 gleich 100 neue Läden in den USA, 75 weitere sollen bis Ende 2009 hinzukommen. Insgesamt betreibt der Discounter derzeit gut 1000 Märkte in 29 US-Staaten. "Gerade in der jetzigen Zeit suchen die Kunden nach Wegen, um die Kosten für Lebensmittel zu reduzieren", sagt der US-Chef von Aldi, Jason Hart. Das Unternehmen ziehe daher Käufer aus allen Schichten an. "Zu uns kommen Eltern, die Geld für das College sparen, aber auch Familien, die in harten wirtschaftlichen Zeiten jeden Dollar zweimal umdrehen müssen."

Dabei weichen die Deutschen im Ausland nur wenig von ihrem in der Bundesrepublik perfektionierten Erfolgsrezept ab. Das Sortiment ist auf 1400 Artikel beschränkt, rund 90 Prozent aller angebotenen Produkte sind Eigenmarken. Hergestellt werden sie von Nahrungsmittelkonzernen in den USA, die aber wie in Deutschland anonym bleiben.

So gibt es dann Tiefkühlgerichte unter dem Aldi-Label "Fit & Active" oder Wein unter "Winking Owl" (Zwinkernde Eule). Deutsche Produkte wie "Knackwurst" sind ebenso im Angebot wie Erdnussbutter, Marshmallow-Creme und Ahornsirup als Zugeständnisse an den amerikanischen Gaumen. Haribo-Goldbären gehören zu den wenigen echten Markenprodukten, die es über den großen Teich ins Regal der Billigkette geschafft haben.

Nach Schätzungen der Marktforschungsgesellschaft Planet Retail erwirtschafteten Aldi in den Vereinigten Staaten zuletzt einen Umsatz von rund 4,7 Milliarden Euro. Das ist nicht gerade weltbewegend im Vergleich zum Platzhirsch Wal-Mart, der allein in seinem Heimatland auf 185 Milliarden Euro an Erlösen kommt. Doch die Aktivitäten in den USA sind lediglich ein Teil in der weltweiten Expansionsstrategie. Schon heute ist Aldi in 18 Staaten rund um den Globus vertreten. Laut Planet Retail verfügte der Riese mit 4741 Filialen bereits Ende 2008 über mehr Geschäfte im Ausland als in Deutschland (4267). Auch der Umsatz jenseits der Grenzen überstieg mit 26,1 Milliarden Euro den im Inland (24,1 Milliarden Euro).

"Aldi nutzt die weltweite Wirtschaftskrise und den Sparwillen der Verbraucher, um die Expansion voranzutreiben", sagt Matthias Queck, Handelsforscher bei Planet Retail. Offiziell gibt es bei dem traditionell verschwiegenen Discounter dazu zwar keine Aussagen. Doch nach den Daten der Marktforscher sind bis 2013 allein in den USA rund 450 neue Geschäfte zu erwarten, fast 180 in Polen, rund 100 in Ungarn und der Schweiz sowie fast 120 im gerade erst erschlossenen Griechenland. Und in Frankreich will Aldi mit einem Plus von 240 Läden wie in den USA die 1000er-Marke knacken.

Die Expansion im Ausland ist dabei auch aus der Not heraus geboren. "In Deutschland hat Aldi die Grenzen des Wachstums mittlerweile erreicht", sagt Thomas Roeb, Professor für Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, dem Abendblatt. Neben Lidl mache vor allem die Edeka-Tochter Netto dem Marktführer nach der Übernahme des Konkurrenten Plus das Leben schwer.

Außerhalb Deutschlands ist es für Aldi hingegen leichter, nennenswerte Marktanteile zu erobern. Welche Macht die Billigkette bereits heute im Ausland besitzt, zeigte sich jüngst in Österreich. Als die dortige Tochterfirma Hofer Ende Juni auf die Idee verfiel, zusammen mit einer Partnergesellschaft auch Billigbenzin anzubieten, löste das Unternehmen im Raum Salzburg einen massiven Preiskampf aus. Autofahrer standen Schlange und kamen sogar mit Kanistern, um den günstigen Treibstoff zu hamstern. Kein Wunder: Immerhin rauschte der Diesel-Preis von 86,5 auf 56,5 Cent in die Tiefe.

Die Kampfpreise der ersten Tage sind zwar inzwischen passé, doch noch immer liegt das Aldi-Angebot zwei Cent unter dem der großen Mineralölkonzerne.

"Wir testen den Treibstoffverkauf bis Ende dieses Jahres", sagte ein Sprecher des Aldi-Partners FE Trading dem Abendblatt. "Wenn es gut läuft, werden wir das Geschäft auf ganz Österreich ausdehnen."

Erfolgreich agiert Aldi derzeit auch im fernen Australien, wo der Discounter in den kommenden Jahren die Zahl der Geschäfte von derzeit rund 200 verdoppeln will. Vor dem Auftritt der Deutschen hätten sich die zwei einheimischen Supermarktketten in einem "gemütlichen Duopol" vor Ort eingerichtet, berichtet ein Branchenkenner. Aldi habe dies aufgebrochen und dort unter anderem mit der hierzulande üblichen Auszeichnung von Grundpreisen (pro Kilogramm oder Liter) eine Diskussion dort angestoßen.

Die weltweite Expansion von Aldi verläuft allerdings keineswegs einheitlich und auch nicht in allen Ländern gleich erfolgreich. Wie in Deutschland ist der Billigriese nämlich auch rund um den Globus in zwei Teile aufgespalten. Das Reich von Aldi Nord wird dabei von Eigentümer Theo Albrecht (87) aus der Zentrale in Essen gesteuert, Aldi Süd hingegen von Bruder Karl (89) von seinem Hauptsitz in Mühlheim an der Ruhr.

Der Legende nach sollen sich die beiden Krämersöhne bereits Anfang der 60er-Jahre über die Aufnahme von Zigaretten in ihr Sortiment zerstritten haben. Seitdem marschieren die Brüder auf unterschiedlichen Wegen, wobei die Trennlinie zwischen ihren Herrschaftsgebieten in Deutschland quer durch Nordrhein-Westfalen und Hessen verläuft.

Aldi Süd gilt unter Handelsforschern gemeinhin als innovativer und experimentierfreudiger, wohingegen sich der Norden eher der "reinen Lehre" des Hard-Discount verschrieben hat. Die Zahlung mit EC-Karten führte Theo Albrecht beispielsweise erst ein, nachdem Bruder Karl diese erfolgreich getestet hatte.

Zum Süd-Imperium zählen unter anderem die experimentierfreudige Tochtergesellschaft Hofer in Österreich sowie Aldi in Australien, Großbritannien, Irland, der Schweiz und in Griechenland. Auch die Expansion in den USA wird vor allem von Mülheim aus gesteuert.

Aldi Nord ist in den Vereinigten Staaten zwar ebenfalls vertreten, allerdings mit einer eigenen Kette namens Trader Joe's, die über 315 Geschäfte verfügt. Daneben kümmert sich Theo Albrecht vor allem um die Expansion in den westeuropäischen Ländern und in Polen.

Diese ist aus Sicht von Wirtschaftsprofessor Thomas Roeb allerdings keine wirkliche Erfolgsgeschichte. "In den vergangenen 20 Jahren hat Aldi Nord nicht mehr viel erreicht", sagt der Discountexperte. Die Umsätze in Nachbarländern wie Belgien oder den Niederlanden stagnierten. In Polen sehe sich das Unternehmen mit der Kette Biedronka einem mächtigen einheimischen Wettbewerber gegenüber. Und in Frankreich liege der deutsche Konkurrent Lidl fast schon uneinholbar weit vorn. Laut Planet Retail verfügt die Tochter der Schwarz-Gruppe mit 1450 Filialen dort über fast doppelt so viele Geschäfte wie Aldi. Auch in Spanien und Portugal hat der deutsche Marktführer den Anschluss noch nicht gefunden.

"Lidl agiert flexibler als Aldi und stellt sich besser auf die Gegebenheiten im Ausland ein", sagt Roeb. Dies gelte sowohl für das Sortiment als auch für den Umgang mit den örtlichen Behörden.

Selbst in den USA ist aus Sicht des Experten das letzte Wort noch nicht gesprochen. "Wenn die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten wieder anzieht, wird sich das Expansionstempo von Aldi vermutlich wieder verlangsamen", so Roeb. "Die neu gewonnenen Kunden dürften dem Discounter zwar treu bleiben", meint der Forscher. "Doch für die anderen besteht mit einem gut gefüllten Portemonnaie weniger Grund, auf ihre geliebten Markenprodukte zu verzichten und zu der Aldi-Ware zu greifen."