Computerspielebranche in Hamburg beschäftigt schon 4000 Mitarbeiter. Rund 400 weitere sollen allein bis zum Ende des Jahres hinzukommen.

Hamburg. Seinen letzten Urlaub hat Alexander Spohr auf einer Wiese in der Nähe von Kassel verbracht. Mit Pfeil und Bogen hat der 44-Jährige Elfen und Ritter gejagt, ist nachts vor zähnefletschenden Orks geflohen und hat in einem schlichten Baumwollzelt geschlafen. Alles im Auftrag seines Clans "Sechs Winde", der am Drachenfest in dem Ort Diemelstadt teilnahm. Entspannend fand Spohr das und "einfach großartig, um mal den Kopf freizubekommen".

Bei so viel Begeisterung für möglichst realistische Rollenspiele ist es kein Wunder, dass der Chef der Hamburger Computerspielefirma Xyrality auch beruflich fantastische Welten erschafft. In seinem Online-Strategiespiel Lords & Knights können die Teilnehmer per Smartphone oder PC in ein mittelalterliches Szenario eintauchen, Burgen bauen, Gold scheffeln und gegnerische Territorien erobern.

150.000 Spieler tummeln sich an guten Tagen auf den Servern des Bahrenfelder Unternehmens, allein in Apples Appstore wurde das Spiel mehr als zwei Millionen Mal heruntergeladen. Fans geben zehn Euro oder mehr aus, um sich schnellere Baufortschritte oder andere Vorteile in der virtuellen Welt zu erkaufen. Im Juni gehörte das zunächst kostenfreie Programm daher zu den umsatzstärksten Spielen in Apples Online-Kaufhaus.

Die Erfolgsgeschichte von Xyrality ist nur eine von vielen aus der Hamburger Computerspielebranche. Vor gerade einmal zwei Jahren mit sieben Mitarbeitern in einem Büro in der Schanze gestartet, ist die Firma erst im Frühjahr in größere Räumlichkeiten an der Friedensallee umgezogen - weil der alte Standort aus allen Nähten platzte. 40 Beschäftigte arbeiten jetzt für Xyrality, betreuen die Spieler in der Onlinewelt oder entwickeln neue Programme wie den Lords-&-Knights-Nachfolger Crazy Tribes, der in einem Endzeitszenario angesiedelt ist. Ende des Jahres sollen es noch 15 mehr sein.

Auch insgesamt entwickelt sich die Games-Branche immer mehr zum Jobmotor für Hamburg. Laut einer Umfrage des Branchennetzwerks Gamecity:hamburg, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt, verdienen aktuell mehr als 3000 Beschäftigte "spielend" ihr Geld in der Hansestadt. Seit August vergangenen Jahres sind damit gut 500 neue Arbeitsplätze hinzugekommen.

Bezieht man auch freiberufliche Grafiker und Programmierer, sowie Mitarbeiter mit ein, die an anderen Standorten für Hamburger Firmen tätig sind, erhöht sich die Zahl der Beschäftigten gar auf gut 4000. "Hamburg ist damit der mit Abstand wichtigste Standort der Games-Branche in Deutschland", sagt Achim Quinke, Projektleiter von Gamecity:hamburg.

Und die Expansion geht weiter: Bis Ende 2012 planen die Firmen der Branche, noch einmal 410 zusätzliche Beschäftigte einzustellen. Gesucht werden derzeit sowohl Spieleentwickler, als auch Spezialisten für die Programmiersprache Flash, Statistiker und Mathematiker, sowie Marketingspezialisten.

Getragen wird das weitere Wachstum einerseits von Schwergewichten wie den Online-Spezialisten Bigpoint, Goodgame Studios oder Innogames, die zusammen schon auf mehr als 1200 Beschäftigte kommen. Vor allem Goodgame befindet sich derzeit auf einem aggressiven Expansionskurs und will bis Ende 2013 rund 600 zusätzliche Kräfte einstellen. Dafür lockt die 2009 gegründete Firma neben Fitnessstudio und Swimmingpool auch mit regelmäßigen Events, um die Teamarbeit zu fördern.

Doch auch für den Aufbau kleiner, neuer Firmen ist in der Hansestadt noch Platz. 113 Betriebe mit maximal zehn Beschäftigten wurden in der diesjährigen Umfrage erfasst - ein Plus von elf Firmen im Vergleich zum Vorjahr. 155 Unternehmen zählt die Branche insgesamt.

Bei Xyrality schätzt man vor allem das große Netzwerk an unterschiedlichsten Dienstleistern, das Hamburg bei Computerspielen zu bieten hat. "In der Hansestadt stimmt einfach die gesamte Infrastruktur", sagt Co-Geschäftsführer und Mitbegründer Sven Ossenbrüggen, der für den kaufmännischen Teil verantwortlich zeichnet. So gaben die Xyrality-Chefs die Musik für ihr Mittelalterspiel bei Sound of Games in Wandsbek in Auftrag und ein auf Spielemarketing spezialisierter Dienstleister sitzt nur wenige Meter weit entfernt.

Wichtig war für die Gründer zudem die finanzielle Unterstützung durch das Branchennetz, hinter dem mit der IT-Initiative Hamburg@work auch die Stadt Hamburg steht. 100 000 Euro als zinsloses Darlehen erhielten die Xyrality-Chefs, um ihre plattformübergreifende Spiele-Engine zu entwickeln. "Wir werden das Geld bald zurückzahlen können", ist Geschäftsführer Ossenbrüggen überzeugt. "Mittlerweile arbeiten wir profitabel."

Trotz der insgesamt positiven Entwicklung in der Games-Branche muss die Hansestadt allerdings aufpassen, dass ihr andere Städte nicht den Rang ablaufen. Hamburg laufe Gefahr, von Berlin abgehängt zu werden, mahnte erst kürzlich der Chef des Branchenschwergewichts Bigpoint, Heiko Hubertz. Der Sog, den die Hauptstadt auf Kreative ausübe, die günstigen Mieten in den Szenestadtteilen Mitte oder Kreuzberg und auch die sonst niedrigen Lebenshaltungskosten würden in der internationalen Gründerszene als immer attraktiver empfunden. Und der Venture-Capital-Geber und einstige Gründer des sozialen Netzwerks Xing, Lars Hinrichs, formulierte es Anfang des Jahres noch deutlicher: "Berlin ist sexy, Hamburg nicht."

Auch technologisch sind die Hamburger Spieleentwickler nicht gerade die Speerspitze der Branche. Firmen wie Xyrality, aber auch Goodgame oder Bigpoint beschränken sich bislang auf grafisch eher schlichte Onlinespiele, die ihren Reiz vor allem aus der weltweiten Vernetzung und der Interaktion der Spieler ziehen. Grafisch anspruchsvolle 3-D-Welten für hochgerüstete Heim-PCs entstehen hingegen eher bei Yager in Berlin oder bei Crytek in Frankfurt. Vor allem die Entwickler aus der Main-Metropole erschaffen mit ihrer Egoshooter-Serie Crysis seit Jahren extrem detailreiche Endzeit- oder Dschungelwelten, die selbst hochgezüchtete High-End-PCs an den Rand der Leistungsfähigkeit bringen. Technologisch gehören Crytek und Yager zu den wenigen deutschen Firmen, die den großen internationalen Studios wie Ubisoft das Wasser reichen können.

Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Hamburger Spieleentwickler im Kampf um die besten Nachwuchskräfte in manchen Fällen das Nachsehen haben. Zwar werden in einem Masterstudiengang nun auch Spieleentwickler in der Hansestadt ausgebildet, doch die wenigen Absolventen pro Jahrgang sind kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auch Xyrality tut sich schwer, die passenden Fachkräfte für die weitere Expansion zu finden. "Es wäre schön, nach der Ausschreibung einer Stelle mal zwischen 30 passenden Bewerbern auswählen zu können", sagt Sven Ossenbrüggen. Einen Coup haben die Hamburger aber immerhin gelandet. Seit Kurzem absolviert Amey Khasnis, 25, ein bezahltes Praktikum in Bahrenfeld. Dafür ist der junge Mann aus dem indischen Pune fast 10 000 Kilometer um die Welt gereist. "Ich habe in meiner Heimat das Spiel Lords & Knights in Internet kennengelernt und war davon begeistert", erzählt der junge Mann, der in Indien eine Ausbildung zum Spieleentwickler absolviert.

In Hamburg hat er nun den Auftrag, eine indische Version des Mittelalterspiels zu entwickeln. Mit Elefanten statt Pferden und örtlichen Herrschern statt deutschen Königen. Denn auch Inder bauen gerne Burgen.