Die Tochter des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt kritisiert hohe Bonuszahlungen für Top-Banker und ausufernde Spekulationen.

Hamburg. Jahrzehntelang war sie Top-Bankerin in London. Die Ökonomin hat jetzt ein Buch über die Finanzmarktkrise geschrieben. Das Abendblatt sprach mit Susanne Schmidt, Tochter von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, über Moral und Finanzmärkte.

Abendblatt:

Frau Schmidt, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie in den 70er-Jahren während des RAF-Terrors nicht im öffentlichen Bereich einer deutschen Großbank arbeiten konnten. War es mehr Last oder Vorteil, die Tochter vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zu sein?

Susanne Schmidt:

Ich bin damals nach London gegangen. Natürlich war der RAF-Terror eine Last, also schrecklich für ganz Deutschland.

War es für Sie persönlich als Tochter eines Prominenten leichter oder schwieriger, beruflich Fuß zu fassen?

Das hielt sich die Waage. Manchmal wurde man genauer beäugt als andere, manchmal waren die Menschen netter zu einem. Ich hätte aber auch gut ohne diesen VIP-Status leben können.

Wie oft haben Sie als Kind Ihren Vater gesehen?

Naturgemäß seltener als andere Kinder, die einen Vater mit normalem Beruf hatten. Nach seiner Zeit als Hamburger Innensenator war mein Vater unter der Woche in Bonn. Am Wochenende in Hamburg hatte er Wahlkreisarbeit zu leisten. Ausführlich gesehen haben wir uns meist nur während des Familienurlaubs am Brahmsee.

Wie oft besuchen Sie Ihre Eltern in Hamburg?

Da meine Eltern schon älter sind, kommen mein Mann und ich fünf- bis sechsmal im Jahr nach Hamburg.

Wie laufen politische Diskussionen bei der Familie Schmidt ab?

Manchmal heiß, aber oft sind wir uns auch einig. Und wenn dies nicht der Fall ist, einigen wir uns darauf, dass wir uns nicht einig sind.

Wo waren Sie 2008, als die Lehman-Pleite bekannt wurde?

In meinem Büro beim TV-Sender Bloomberg in der Londoner City. Dort habe ich damals nach Jahren als Bankerin gearbeitet.

Was haben Sie gedacht, als Sie die Nachricht hörten?

Anfangs hielt ich es für richtig, dass die USA Lehman in die Insolvenz gehen ließen. Endlich einmal gab es bei den Banken einen Fall, in dem das traditionelle Gesetz von Moral Hazard nicht mehr galt. Darunter versteht man in der Branche, dass Banken zwar von ihren Gewinnen profitieren, im Krisenfall die Verluste aber vom Steuerzahler getragen werden, weil das Finanzsystem den Fall dieser betreffenden Banken nicht verkraften könnte. Man sagt, die Banken seien too big to fail. Zu groß, um zu scheitern.

Löste der Knall bei Ihnen persönlich Furcht aus?

Natürlich hatte ich Angst, dass mein Mann, unsere drei Kinder und ich den Job verlieren könnten, oder unsere Altersvorsorge nicht mehr sicher ist. Aber glücklicherweise ist dies nicht in dieser drastischen Weise geschehen. Nur ich musste bei Bloomberg aufhören, weil der deutsche Wirtschafts-TV-Kanal eingestellt wurde. Im Nachhinein allerdings wäre es vielleicht doch besser gewesen, Lehman zu halten. Denn nach dem Crash der US-Bank brach die Branche wie ein Kartenhaus zusammen. Banken wie Bearn Stears, HRE in Deutschland und der US-Versicherer AIG hätten ohne Hilfe des Staates nicht überleben können.

Hilfen, die die Steuerzahler noch Jahrzehnte belasten werden.

Natürlich. Es wurden weltweit Abermilliarden in die Banken gesteckt, mit der Folge, dass die Haushalte hoch verschuldet sind.

Kommt es zu einer Inflation?

Vermutlich und das ängstigt mich sehr. Die Inflation wird zwar nicht dramatisch sein, aber über Jahre Fuß fassen. Sie wird unter anderem durch die amerikanische Notenbank und ihrer Niedrigzinspolitik genährt. Damit entsteht eine Geldschwemme bei gleichzeitig hohen Staatsschulden. Die Krone setzt übrigens der IWF auf, dessen Chefvolkswirt öffentlich diskutierte, man solle das Inflationsziel von zwei auf vier Prozent hochschrauben.

Damit könnten die Staaten ihre Schulden besser managen.

Schon, aber wo soll das alles noch hinführen?

In Ihrem Buch haben Sie Maßnahmen gefordert, damit eine solch verheerende Krise in Zukunft nicht mehr ausbrechen kann. Die wichtigsten Schritte?

Als Erstes brauchen wir eine angemessene Notenbankpolitik, die auch die globalen Ungleichheiten im Finanzsystem berücksichtigt. Als Zweites Aufsichtsbehörden, die einerseits nicht - wie in der Vergangenheit - einen Großteil der Entwicklung verschlafen und nur auf die Selbstheilungskräfte der Märkte setzen. Andererseits muss diese Aufsicht auch die systemischen Gefahren einer Krise besser im Griff haben. Als Drittes sind die Banken gefragt, die in der Vergangenheit ein viel zu hohes Risiko eingingen.

Wie wollen Sie die Banken zähmen? Viele Institute wirtschaften ja schon wieder so, als hätte es die Krise nie gegeben.

Als Erstes müssen die Spekulationsmöglichkeiten eingegrenzt werden. Zudem müssen Banken ihre Geschäfte mit mehr Eigenkapital unterlegen.

Das schmälert die Gewinne und damit die Höhe der millionenschweren Boni der Manager.

Wir brauchen tatsächlich andere Anreize für Bonuszahlungen. Die Barkomponente sollte geringer ausfallen und die Haltezeit für Aktienoptionen verlängert werden.

Wäre es nicht sinnvoller, eine Höchstsumme festzuschreiben?

Ich bin kein Mensch, der gern immer nur verbietet, zumal es nicht nur bei den Banken, sondern auch in der Realwirtschaft inzwischen hohe Boni gibt. Anscheinend verlangt dies der Markt Aber wir dürfen nicht vergessen, dass nur ein geringer Teil der Mitarbeiter von astronomischen Bonuszahlungen profitiert. Die meisten Beschäftigten erhalten Erfolgszahlungen in vertretbarer Höhe.

Was bringen Bankabgaben, mit denen der Staat die Institute an seinen Kosten zur Rettung des Bankenwesens beteiligt?

Bankabgaben, neue Steuern auf Transaktionen sowie eine höhere Eigenkapitalunterlegung der Banken könnten auf jeden Fall die Bonuszahlungen schmälern, weil dadurch der Gewinn sinkt. Allerdings fürchte ich, dass die Banken die Kosten an ihre Kunden weiterleiten werden.

Um ihre Eigenkapitalrendite zu halten. Ab wann ist für Sie ein Renditeziel unmoralisch?

25 Prozent, wie von der Deutschen Bank propagiert, sind zu hoch gegriffen.

Haben die Landesbanken in Deutschland noch eine Zukunft?

Nein, sie haben sich in der Krise verspekuliert und hängen am Tropf des Staates. Sie bestehen wohl nur noch deshalb, weil es derzeit keine Käufer gibt.

Wie wird sich die Bankenlandschaft nach der Krise verändern?

Wir haben immer noch zu viele Banken und Filialen, nicht nur in Deutschland. Es wird weitere Übernahmen von Banken oder Teilen von deren Geschäft geben. Damit wird das Oligopol, das schon jetzt die Finanzmärkte beherrscht, noch weniger Teilnehmer haben. Und das wird leider dazu führen, dass es noch mehr Institute geben wird, die im Fall einer Krise too big to fail sind und gerettet werden müssen.