Der AGA-Präsident Hans Fabian Kruse kritisiert die neue Mehrwertsteuerregelung für Hotels und fordert mehr Netto vom Brutto.

Hamburg. Die Stimmung im norddeutschen Groß- und Außenhandel hellt sich langsam auf. Zwar sind die Umsätze und Gewinne nach wie vor unbefriedigend, aber die Erwartungen bis zum Frühjahr fallen deutlich zuversichtlicher aus. Dies hat eine Umfrage des Unternehmensverbands AGA unter seinen 3000 Mitgliedsbetrieben ergeben. Danach kletterte der Geschäftsklimaindex um 14 auf 74 Punkte, bleibt damit aber noch im "frostigen Bereich".

Insgesamt arbeiten in der Branche im Norden rund 128 000 Mitarbeiter, davon 53 468 in Hamburg. Die Umsätze lagen im dritten Quartal um sechs Prozent unter dem Vorjahresniveau. Exporteure mussten sogar Rückgänge von bis zu 30 Prozent verzeichnen. Das Abendblatt sprach mit dem AGA-Präsidenten Hans Fabian Kruse, der zugleich Vize-Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistung (BGA) ist.

Abendblatt: Im Außenhandel kehrt der Optimismus zurück. Ist ein Ende der Krise in Sicht?

Kruse : Die weltweite Wirtschaftskrise hat sich auf die Branchen im Norden sehr unterschiedlich ausgewirkt. Im Bereich Schifffahrt und Schiffsfinanzierung werden die Probleme 2010 und 2011 wegen großer Überkapazitäten noch zunehmen. Im Groß- und Außenhandel geht es wiederum langsam bergauf. Die Krise scheint in diesem Bereich vorbei.

Abendblatt: Warum erholen sich Groß- und Außenhandel schneller als andere Branchen?

Kruse: Wir sind es gewohnt, mit starken Markt- und Preisschwankungen zu leben. Im Chemiehandel hatten wir zum Beispiel 2008 Höchstpreise. Wer 2009 die gleichen Mengen handelte, hatte automatisch Umsatzrückgänge. Dies heißt aber nicht, dass auch die Gewinne im gleichen Maße sanken. Den Händlern gelingt es in der Regel auch mit niedrigeren Umsätzen ihre Kosten zu decken.

Abendblatt: Rutschten in Hamburg krisenbedingt viele Händler in die Insolvenz?

Kruse : Mir sind keine namhaften Fälle bekannt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es im Zuge des Aufschwungs noch zu mehr Insolvenzen kommt. Insgesamt verloren im ganzen Norden von Januar bis Oktober rund 1700 Mitarbeiter ihre Stelle. Damit sank die Beschäftigtenzahl der Branche um 1,3 Prozent.

Abendblatt: Erschwert die Finanzklemme die Geschäfte?

Kruse : Eine Finanzklemme hat es in Hamburg für gut bewertete Unternehmen nicht gegeben. Alle großen Banken und Sparkassen haben ihr Kreditvolumen an die mittelständische Wirtschaft sogar noch ausgedehnt. Allerdings müssen Unternehmen, die sich in Schwierigkeiten befinden, heute mehr bezahlen als bisher. Entscheidend für die Überwindung der Krise wird sein, dass die Finanzierung weiter gesichert wird. Der Erholungsprozess darf nicht durch Liquiditätsmangel erstickt werden, bevor er richtig begonnen hat.

Abendblatt: Hotels brauchen nur noch 7 Prozent Mehrwertsteuern zahlen. Was halten Sie von solchen Geschenken der Regierung?

Kruse : Das ist ein völlig falsches Signal, das wir ablehnen. Es handelt sich dabei um eine weitere Subvention, die den Wettbewerb verzerrt. Zudem werden dadurch weder Arbeitsplätze geschaffen, noch sonstige arbeitsmarktpolitische Ziele erreicht. Statt der Bevorzugung einzelner Branchen plädiere ich für eine grundlegende Vereinfachung des Steuersystems.

Abendblatt: Wo krankt das Steuersystem am stärksten?

Kruse: Die Arbeitnehmer erhalten heute zu wenig Netto vom Brutto. Der Spitzensteuersatz griff zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders in den 1950er-Jahren erst beim 14-fachen des Durchschnittseinkommens, heute beginnt er bereits beim 1,5-fachen. Heute werden Beschäftigte, die 50 000 bis 100 000 Euro Jahreseinkommen haben, am stärksten belastet. Das motiviert niemanden. Unser Steuersystem ist leistungsfeindlich. Normalverdiener sind zu Spitzensteuersatzzahlern geworden.

Abendblatt: Wird Deutschland 2010 erneut Exportweltmeister?

Kruse: Deutschland wird immer eine große Exportnation bleiben. Ob die Chinesen, die eine viel größere Bevölkerung haben, künftig mehr exportieren als wir, spielt eine nicht so große Rolle. Zwei Drittel des Handels betreibt Deutschland schon heute in Europa, was einer modernen Form des Binnenhandels entspricht. Exportweltmeister ist für mich deshalb eher nur ein werbendes Schlagwort.

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