Verband warnt vor Einschränkungen im Internet und befürwortet Hilfen für den Chip-Hersteller Infineon.

Hamburg. Die Informationsindustrie hat einen neuen, alten Präsidenten: August-Wilhelm Scheer wurde am Freitag bei der Jahresversammlung des Bundesverbandes Bitkom in Hamburg für zwei weitere Jahre im Amt bestätigt. Der Verband steht für 1300 Unternehmen und einem Umsatz von 145 Milliarden Euro. Das Abendblatt sprach mit ihm über die Lage und die Zukunft der Branche.

Abendblatt:

Wie stark ist die IT-Branche von der Krise betroffen?

August-Wilhelm Scheer:

Natürlich werden auch unsere Firmen gebeutelt. Viele Anbieter haben Kunden bei den stark von der Krise getroffenen Maschinen- und Autobauern oder in der Finanzwirtschaft. Aber insgesamt geht es noch relativ gut. Die Datendienste boomen, die Software ist stabil und IT-Services, also die Einführung von neuen IT-Systemen, erzielt derzeit sogar ein leichtes Wachstum.

Abendblatt:

Dann gibt es kaum Probleme?

Scheer:

Durch die Regulierung für den Mobilfunk kommen die Preise unter Druck. Dieses Geld fehlt beim Ausbau neuer Datennetze. Dazu ist der durch Flachbildfernseher, Digitalkameras und MP3-Spieler ausgelöste Boom in der Unterhaltungselektronik beendet. Hier gibt es negative Wachstumsraten.

Abendblatt:

Wie ist die Lage bezogen auf die Gesamtwirtschaft?

Scheer:

Unter dem Strich werden wir deutlich besser liegen als die Gesamtwirtschaft, die in Deutschland in diesem Jahr um sechs Prozent schrumpfen soll.

Abendblatt:

Was heißt das für die Arbeitsplätze?

Scheer:

Wir haben zuletzt einen Berg freier Stellen vor uns hergeschoben. Zeitweise fehlten bundesweit mehr als 40 000 IT-Experten. Das wird sich beruhigen. Die 829 000 Stellen in der ITK-Branche werden gehalten. Derzeit wollen 25 Prozent der Firmen einstellen und etwa genauso viele Personal abbauen.

Abendblatt:

Wie sieht der Verband die Entwicklung beim Sorgenkind Infineon?

Scheer:

Dort entstehen statt Standardchips sehr spezielle Bauteile, die zum Beispiel für den Maschinenbau oder die Fahrzeugindustrie entwickelt werden. Wenn Infineon ausfiele, würde das die Innovationskraft dieser Branchen schwächen. Da sollte der Staat schon dreimal hingucken, wenn über Hilfen zu entscheiden ist. Wenn die Kriterien erfüllt sind, wären Bürgschaften okay.

Abendblatt:

Ist die Gier der Manager für die Krise verantwortlich?

Scheer:

Die Gier ist unter Managern sicher nicht stärker verbreitet als anderswo. Denken Sie nur an die Machtgier der Politik. Dafür werden sogar Steuergelder aufs Spiel gesetzt.

Abendblatt:

Aber?

Scheer:

Aber es ist tatsächlich so, dass die Verbindung mancher Manager zu den Unternehmen verloren geht. Schon in vielen Vorlesungen kommen Firmen gar nicht mehr vor. Sie werden auf Zahlen reduziert. Damit geht der Zugang zur Unternehmenskultur verloren. Firmen sind aber ein Hort, in denen der Lebensunterhalt verdient wird. Man muss sie als Gemeinschaft verstehen, die man erhalten muss und die es wert ist, erhalten zu bleiben. Das neue Gesetz, das die Boni für Manager begrenzt, kuriert da nur an den Symptomen.

Abendblatt:

Was ist zu tun?

Scheer:

Es kommt darauf an, dass Manager Krisen richtig einordnen können. Nur mit einer Mathematisierung ohne Hintergrundwissen über die historischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge geht das nicht. Deshalb habe ich immer kritisiert, dass die Lehrstühle für Wirtschaftsgeschichte an den Universitäten verschwinden.

Abendblatt:

Auch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderpornografie ist beschlossen. Ist die Freiheit des Internets in Gefahr?

Scheer:

Nein, weil das Gesetz eigens auf die Kinderpornografie zugeschnitten ist und weil es ein Kontrollgremium gibt, das dem Bundeskriminalamt auf die Finger schaut, wenn es Webseiten sperren lässt. Aber es muss eine unkontrollierte Ausweitung verhindert werden. Sonst gibt man Staaten wie dem Iran Argumente an die Hand, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Wie kann man sich als westlicher Staat noch dafür einsetzen, wenn zu Hause ebenfalls Meinungsäußerungen gestoppt werden?