Der Hamburger Professor Dirk Meyer entwickelt Konzept für neue Währung mit Finnland, Luxemburg, Österreich und den Niederlanden.

Hamburg. Die Schuldenkrise hat Europa fest im Griff. Weder der milliardenschwere Rettungsschirm noch die Aufkäufe von Staatsanleihen der Europäischen Zentralbank können die Märkte nachhaltig beruhigen. Erst recht nicht das zaghafte Vorgehen der Euro-Politiker. Stattdessen wetten die ersten Investoren auf den Zusammenbruch des Euro, Großkonzerne richten sich auf ein mögliches Aus ein. Die Diskussion um einen Zusammenbruch der Euro-Zone ist kein Tabu mehr.

Auch an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität entwickelt der Volkswirtschaftsprofessor Dirk Meyer bereits konkrete Konzepte für einen Austritt Deutschlands aus der Währungsunion. "Grundsätzlich bin ich ein überzeugter Europäer", sagt der 53 Jahre alte Wissenschaftler dem Abendblatt. Der jetzt eingeschlagene Weg der 17 Euro-Länder zur Transferunion - in der die Mitgliedsländer für die Schulden anderer einspringen - lehnt Meyer aber kategorisch ab. "Die Währungsunion ist gescheitert", lautet sein Urteil.

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Die größte Gefahr bestehe derzeit, dass die Euro-Zone chaotisch zusammenbrechen könnte, weil alle finanzpolitischen Werkzeuge ihre Wirkung verfehlen, warnt Meyer. Um dies zu vermeiden, sei eine Neuordnung der Währungsunion unabwendbar. Diese müsse planmäßig erfolgen, um nicht auch noch den Binnenmarkt und die politische Integration der Europäischen Union (EU) aufs Spiel zu setzen. "Noch haben wir jetzt die Chance, Europa politisch zu retten."

Meyer zählt zu den Euro-Gegnern der ersten Stunde. Schon vor der Euro-Einführung wies der Volks- und Betriebswirt Ende der 90er-Jahre darauf hin, dass die Mitgliedsländer ökonomisch zu stark auseinanderliegen und es sich um einen "nicht-optimalen Währungsraum" handele. Zuletzt zog Meyer als Mitglied der Klägergruppe Europolis vor das Bundesverfassungsgericht, um die Griechenland-Hilfe und den Rettungsschirm zu verhindern.

Einen geordneten Ausweg aus der Krise sieht Meyer im Austritt Deutschlands aus der Euro-Währungsunion bei gleichzeitiger Neugründung eines neuen Währungsverbunds der Nordländer, in dem weitere stabile Länder wie Finnland, die Niederlande, Österreich und Luxemburg Mitglied sind. In dem Süd-Verbund blieben die übrigen Euro-Länder - darunter auch die Nachbarn Frankreich und Italien.

Die Ausgliederung dürfte aus Gründen der politischen Diplomatie allerdings nicht von Deutschland vorangetrieben werden, sagt Meyer. Vielmehr könnte die Initiative von den Niederlanden oder Finnland gestartet werden. Ziel wäre die Schaffung einer neuen Währung. Als Namen dafür schwebt Meyer zum Beispiel "Nordeuro", "Nordo", "Neuro" oder "Nordthaler" vor. Die übrigen Länder könnten den alten Euro behalten und in "Süd-Euro", "Suedo" oder "Mediterraner Euro" umbenennen. "Der Name für die neue Währung ist wichtig. Er muss für die Beteiligten eine politisch-integrative Wirkung haben." Eine Rückkehr aller Länder zu ihren alten nationalen Währungen hält Meyer dagegen für schädlich. Auch die Wiedereinführung der D-Mark lehnt der Ökonom ab: "Eine Zersplitterung Europas ist in der Globalisierung kontraproduktiv." Eine Zweiteilung der Währung sei aber verkraftbar.

Politisch höchst riskant an der Währungsspaltung - und möglicherweise deshalb auch nicht zu verwirklichen - sei das Verhältnis Deutschlands zu Frankreich. Beide Länder präsentieren sich derzeit als Taktgeber und Rettungsanker der Union. Mögliche Verwerfungen seien nicht ausgeschlossen. Ein Nordeuro mit Frankreich sei wegen der laxeren Einstellung zur Unabhängigkeit der Zentralbank und der Haushaltspolitik der Pariser Regierung jedoch nicht zielführend, so Meyer. "Mit Frankreich als Mitglied wäre auch die neue Währung bald nicht mehr viel mehr wert." Schließlich sollen im Nordeuro nur die starken und haushaltstreuen Länder Mitglied sein. Meyer geht davon aus, dass die neue Nordwährung etwa 15 bis 25 Prozent gegenüber dem bisherigen Euro und anderen Währungen aufwerten werde.

Die Einführung der neuen Währung muss nach einem strengen Zeitplan und möglichst überraschend und schnell erfolgen, präsentiert Meyer sein Konzept. Als erster Schritt könnte der Austritt aus der Währungsunion durch einen europäischen Ratsbeschluss beantragt und genehmigt werden. Dann müsste der Bundestag die Währungssouveränität Deutschlands (Art. 88 Grundgesetz) zurückübertragen und ein Gesetz zur Einführung einer neuen Nordwährung beschließen. Die drei Lesungen, die erforderliche Abstimmung, die Gegenzeichnung durch den Bundespräsidenten dauerten mindestens fünf Tage. Gleich darauf müssten zwei Tage als "Bankfeiertage" festgelegt werden, in denen alle Geldinstitute geschlossen bleiben. Innerhalb dieser 48 Stunden müssten alle Buchwerte auf Konten und der komplette Zahlungsverkehr auf die neue Währung zum neuen Kurs umgestellt werden.

Komplizierter wird es beim Bargeld: Da die Herstellung neuer Banknoten mindestens zwölf Monate dauert, könnten zunächst die alten Euro-Scheine vorübergehend als neue Währung genutzt werden. Um die neuen Nord-Euro zu unterscheiden, müssen die Bürger ihre Euro-Scheine bei den Banken mit magnetischer Tinte fälschungssicher stempeln lassen. "Um zu vermeiden, dass auch Bürger anderer Euro-Länder ihre Euro in die neue, höher bewertete Währung umtauschen, wird auch das Umstempeln auf maximal zwei Tage begrenzt", sagt Meyer. Die Kosten für die Währungsumstellung beziffert Meyer auf rund 20 Milliarden Euro; dies entspricht einem Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) und damit den Kosten der Euro-Bargeldeinführung.

Wer sind die Verlierer der Währungsumstellung? "Alle diejenigen, die Vermögen im Ausland besitzen", sagt Meyer. Die Deutschen verfügen im Ausland über ein Nettovermögen von rund 950 Milliarden Euro. Dieser Besitz bleibe in der alten Währung notiert. Angenommen, die neue Währung werde 15 und 25 Prozent höher bewertet, so entstünde den betroffenen Besitzern eine Entwertung von 140 bis 240 Milliarden Euro. Schwierig werde es zudem für deutsche Exporteure, die durch die Währungsaufwertung ihre dann teureren Produkte schwerer am Markt verkaufen können. "Sie gehören aber auch zu den Profiteuren", relativiert Meyer. 40 Prozent der Produkte "made in Germany" basierten auf Vorleistungen aus dem Ausland. Diese könnten fortan durch die stärke Nordwährung günstiger importiert werden.

Die Gewinner einer Währungsumstellung seien die Steuerzahler und Verbraucher. Die dauerhaft hohe Finanzierung der Schulden anderer Euro-Länder entfalle. Die Warenvielfalt werde durch günstige Importe größer und preiswerter, meint Meyer. Auch der Staat könnte sich dabei von einem Teil seiner Schuldenlast entledigen. So könnten Bundesanleihen, die im Besitz von Ausländern sind, weiter in Euro notieren - was unterm Strich zu einer Entwertung führe. Leidtragende dieses Schrittes seien wiederum die ausländischen Versicherungen und Banken, die einen großen Teil dieser Papiere halten.

Unterm Strich beziffert Meyer die volkswirtschaftlichen Kosten des Austritts für die Deutschen auf 250 bis 340 Milliarden Euro. Dies entspricht etwa zehn bis 15 Prozent des BIP. Natürlich sei die Summe hoch, weiß der Professor: "Die Kosten bieten jedoch auch eine Chance, denn sie fallen einmalig an und setzen einen Neubeginn." Nicht die Rettung des Euro um jeden Preis sollte künftig die Devise lauten, so Meyer. "Vielmehr sollte die Schadensbegrenzung und der Wiederaufbau des europäischen Hauses die Leitlinie sein."