Vorzeitig gekündigte Lebensversicherungen kosten Kunden Vermögen. Verbraucherschutz: “Staatlich geschuldete Wirtschaftskriminalität“.

Hamburg. Innerhalb von fünf Jahren hatte die Kundin über 3200 Euro in eine Lebensversicherung bei der Gesellschaft Ergo eingezahlt. Als sie den Vertrag vorzeitig kündigte, bekam sie nicht einmal ein Zehntel der eingezahlten Beiträge zurück. Anderen erging es noch schlimmer: Sie bekamen nichts zurück. "Das ist staatlich geduldete Wirtschaftskriminalität", sagt Gerd Billen, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband. Vorzeitig gekündigte Kapitallebens- und Rentenversicherungen sind für die Verbraucher ein großes Verlustgeschäft. Das wurde jetzt mit einer Studie von Professor Andreas Oehler von der Universität Bamberg untermauert, die die Verbraucherzentrale Hamburg vorstellte.

+++Vorsicht! Betrug bei Rückkauf von Lebensversicherungen+++

Danach haben die Verbraucher in den vergangenen zehn Jahren durch den Abschluss von Kapitallebens- und Rentenversicherungen einen Verlust von 160 Milliarden Euro erlitten. "Denn mehr als 75 Prozent aller auf 30 Jahre abgeschlossenen Verträge werden vorzeitig beendet", sagt Oehler. Selbst bei 20 Jahren Laufzeit hält nur jeder Zweite durch. "Bereits mit dem Abschluss des Vertrags ist also ein Verlust regelrecht absehbar, da die Abschluss- und Vertriebskosten samt Provisionen den sofortigen Aufbau eines Sparanteils behindern", sagt Oehler. Bei vorzeitiger Kündigung wird nur der Rückkaufswert erstattet, der deutlich unter dem eingezahlten Beitrag liegt.

Über die Angemessenheit der Rückkaufswerte wird seit Jahren zwischen Verbraucherschützern und Versicherern gestritten. Für Verträge, die vor 2001 geschlossen wurden, hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass mindestens die Hälfte der eingezahlten Beiträge zurückerstattet werden muss. Auch bei neueren Verträgen (2001 bis 2007) konnte sich die Verbraucherzentrale Hamburg gegen die Versicherungswirtschaft durchsetzen. Die Klauseln zu undurchsichtigen Rückkaufswerten wurden von Oberlandesgerichten in Verfahren gegen die Allianz, Ergo, Deutscher Ring und Generali für ungültig erklärt. Doch die Versicherer haben die nächste Instanz angerufen. Eine endgültige Entscheidung wird erst im nächsten Jahr vor dem BGH erwartet. Die Branche spielt auf Zeit, denn drei Jahre nach der Kündigung sind eventuelle Ansprüche der Verbraucher verjährt.

Die Studie der Universität Bamberg beruht auf 1115 gekündigten Verträgen. Vertreten waren vor allem die Gesellschaften Allianz, Aachen Münchener, Ergo und Generali. Der daraus ermittelte Schaden wurde auf alle gekündigten Verträge hochgerechnet. "Unsere Annahmen bei der Schadensberechnung waren sehr konservativ", sagt Oehler. Dennoch beziffert er den durchschnittlichen Schaden auf 4000 Euro pro Vertrag. "Das können wir nicht nachvollziehen", sagt ein Sprecher der Versicherungswirtschaft. Die Stornoquoten seien seit Jahren rückläufig.

Die Studie kommt für die Branche zur Unzeit. Den aktuellen Garantiezins von 2,25 Prozent will sie für noch möglichst viele Vertragsabschlüsse nutzen, denn im kommenden Jahr sinkt er deutlich. Die Verbraucherschützer fordern, dass mögliche Verluste bei vorzeitiger Kündigung in Euro und Cent ausgewiesen werden. "Wer das vor Vertragsabschluss erfährt, wird sich die Unterschrift besser überlegen", sagt Billen. Außerdem soll die Verrechnung der Provision an die Laufzeit der Verträge gekoppelt werden. Das wird auch von Hamburgs Verbrauchersenatorin Cornelia Prüfer-Storcks unterstützt. Als Vorsitzende der Verbraucherministerkonferenz 2012 will sie das Thema dort auf die Tagesordnung bringen.