Mehr als 140 Milliarden Euro sind die Edelmetall-Reserven der Bundesbank wert - und wecken daher Begehrlichkeiten bei den Politikern.

Hamburg. Die Szenerie würde einem James-Bond-Film alle Ehre machen: ein Tresorraum 25 Meter unter der Erde, verschlossen durch einen 90 Tonnen schweren Stahlzylinder und bewacht von bewaffneten Sicherheitsbeamten, jeder von ihnen ausgebildeter Scharfschütze. Jenseits des monumentalen Tores ruhen in Käfigen, deckenhoch gestapelt, mehr als 560 000 Goldbarren. Jeder von ihnen ist 12,5 Kilogramm schwer und nach heutigem Marktwert 525 000 Euro teuer.

Hinter den blaugrauen Metallgittern lagert der größte Teil der deutschen Goldreserven. Aber der Tresor befindet sich nicht in Deutschland, wie eine Inschrift in englischer Sprache über dem Eingang deutlich macht: "Gold is irresistible" (Gold ist unwiderstehlich) steht dort. Das Zitat stammt von Goethe, doch der Hochsicherheitskeller liegt tief unter den Straßen von New York. Hier, in einem Gebäude der US-Notenbank Fed mit der Adresse 33 Liberty Street nahe der Südspitze Manhattans, werden Bestände von mehr als 30 Regierungen und Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds verwahrt - kostenlos, nur für einen eventuellen Transport berechnen die Amerikaner eine Gebühr.

Ebenfalls kostenlos kann man das Innere der gigantischen Schatztruhe, nach Angaben der New York Fed ist es die größte Goldlagerstätte der Welt, besichtigen. In jedem Jahr tun das mehr als 25 000 Menschen. Allerdings erfahren sie nicht, welches die "deutschen" Barren sind.

Tatsächlich macht selbst die Bundesbank - aus Sicherheitsgründen, wie es heißt - ein Geheimnis aus der Verteilung der Mengen auf die verschiedenen Lagerorte der Goldreserven, die aktuell gut 3400 Tonnen umfassen (siehe Grafik). "Wir halten einen Teil der Bestände in eigenen Tresoren im Inland", sagte Bundesbank-Sprecherin Susanne Kreutzer dem Abendblatt, weitere Teile befänden sich an den "wichtigen Goldhandelsplätzen" New York, London und Paris unter der Obhut der dortigen Zentralbanken. 1992 verrieten Spitzen-Bundesbanker dem britischen Finanzpublizisten David Marsh, in Frankfurt bewahre man weniger als 80 Tonnen Gold auf. Aus dem Jahr 2004 stammen die jüngsten offiziellen Aussagen dazu: Der damalige Vorstand Hans-Helmut Kotz erzählte dem Magazin "Stern", überwiegend würden die Reserven außerhalb der deutschen Grenzen gehalten. Etwas mehr Gold als in der Frankfurter Zentrale liege inzwischen in der Hauptfiliale Mainz, hieß es außerdem.

Dass die deutschen Bestände des Edelmetalls auch im Ausland lagern, habe "historische Gründe", so Kreutzer: In den 1950-er und 1960-er Jahren konnte sich die Bundesrepublik dank stetig steigender Exportüberschüsse immer größere Anteile der Goldreserven anderer Nationen überschreiben lassen. Diese Barren lagen eben in New York, London und Paris. Es sei schlicht "kostengünstiger" gewesen, sie dort zu lassen, als zusätzliche Tresoranlagen in Deutschland zu bauen, so Kreutzer. Ein weiterer Grund ist längst hinfällig geworden: Im Kalten Krieg ging man davon aus, dass Frankfurt wegen seiner Nähe zur sogenannten Fulda-Lücke innerhalb von nur zwei Tagen durch die Armeen des Warschauer Pakts zu erreichen gewesen wäre.

Echte Begehrlichkeiten weckte der Goldschatz allerdings immer wieder bei Politikern - und das nicht erst, nachdem die angesichts der Finanzkrise steil gestiegenen Kurse den Gesamtwert auf derzeit gut 140 Milliarden Euro hochtrieben. Im Jahr 1975, kurz nach der Ölkrise, sollten Goldverkäufe die Anschaffung von Ölvorräten ermöglichen, im Jahr 2003 wollte man einen Kapitalstock für die Pflegeversicherung damit aufbauen, und 2009 ging es um die Finanzierung von Konjunkturpaketen. Doch immer blieb es bei Gedankenspielen. "Ich hätte das Gold auch nicht herausgeholt", sagte Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), dem Abendblatt. Verkäufe hätten zwar eine kurzfristige Entlastung gebracht. "Aber die Goldreserven geben Investoren ein starkes Sicherheitsgefühl, sie sind so etwas wie der kleine Bruder des vor Jahrzehnten aufgegebenen Goldstandards."

Am vergangenen Wochenende waren auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer Überlegungen aufgekommen, die Reserven nationaler Notenbanken als Sicherheit für Kredite der Europäischen Zentralbank (EZB) an hoch verschuldete Euro-Länder einzusetzen. Straubhaar kann die Sorge der Bundesbank gut nachvollziehen: "Würde man diesen Weg gehen, könnte die EZB noch mehr Geld in Umlauf bringen, was inflationäre Effekte haben könnte."

Wie stets zuvor lehnte die Bundesregierung einen Zugriff auf die Goldreserven ab. In Online-Foren kursieren allerdings mit Verweis auf die ausländischen Lagerorte Gerüchte, wonach es dazu auch gar keine Möglichkeit gebe, weil das Gold entweder schon längst nicht mehr da sei oder die Bundesrepublik zumindest nicht die Verfügungsgewalt darüber habe.

Derartige Theorien hat die Bundesregierung stets dementiert. So erklärte sie Ende 2010 auf eine Frage des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler: "Über die bei den ausländischen Notenbanken verwahrten Goldbestände kann von der Deutschen Bundesbank zu jeder Zeit verfügt werden." Zweifelsfrei als einer von rund 272 000 Bundesbank-Barren identifizieren lässt sich jedoch nur ein einziger öffentlich zugänglicher 12,5-Kilo-Block: Er liegt als Ausstellungsstück im Frankfurter Geldmuseum.