Hamburgs Börsenpräsident Friedhelm Steinberg im großen Interview über die Euro-Krise, die Fehler der Banken und die richtige Geldanlage.

Hamburg. Die Schuldenkrise stürzt die Anleger in ein Wechselbad der Gefühle. Wann immer Hoffnung auf eine Lösung aufkeimt und die Kurse hochtreibt, folgen kurz darauf schlechte Nachrichten, die Börse stürzt wieder ab. Doch es gibt auch grundsätzlichere Herausforderungen: Die Finanzwelt sieht sich wachsender Kritik aus der Bevölkerung ausgesetzt. Das Abendblatt sprach darüber mit dem Präsidenten der Hamburger Wertpapierbörse, Friedhelm Steinberg.

Hamburger Abendblatt: Noch immer demonstrieren zahlreiche zumeist junge Menschen unter dem Motto "Occupy Wall Street" gegen das aus ihrer Sicht zu mächtige Finanzsystem. Wie denken Sie als Börsenpräsident über diese Protestbewegung?

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Friedhelm Steinberg: Aus meiner Sicht versuchen die Demonstrationen, vor allem diese Botschaft zu vermitteln: Wir kommen mit den etablierten Denkmodellen nicht mehr weiter, wir müssen außerhalb der Systeme denken. Für diesen grundsätzlichen Ansatz habe ich sehr viel Verständnis. Und auch ich glaube, dass Kapitalismus pur nicht gut ist für die Menschen, dass er unsere Gesellschaft kaputt machen kann.

Kann aus den Demonstrationen etwas Positives erwachsen?

Steinberg: Zunächst weisen sie auf eine Sinnkrise unseres Systems hin. Daraus müssen wir lernen. Aber aus Unruhe entsteht Kreativität. Auch in der Finanzwelt gibt es viele junge Menschen, und es ist meine Hoffnung, dass sie neue Ideen für die Zukunft entwickeln.

Trifft es Sie als Ex-Banker, dass die Demonstranten den Banken auch die Schuld an der Euro-Krise geben?

Steinberg: Verursacher der gegenwärtigen Krise sind die Staaten. Allerdings haben manche Banken mit gewaltigem Eigeninteresse das Instrumentarium geschaffen, mit dem die Staaten sich immer höher verschulden konnten.

Wie gut sind die Beschlüsse des Euro-Krisengipfels geeignet, die Finanzmärkte zu beruhigen?

Steinberg: Es wird sich schnell erweisen, dass das auf dem Gipfel beschlossene Paket voller Unwägbarkeiten steckt. So ist noch gar nicht klar, welche Anleger auf wie viel Geld letztlich verzichten werden. Außerdem weiß niemand, wie lange die vereinbarten Finanzhilfen ausreichen. Was jetzt durch die Regierungskrise in Griechenland passiert, ist Teil der ganzen Unsicherheit. Vor allem aber gibt es noch keine langfristig wirksame Lösung des eigentlichen Problems, und das sind die enormen Ungleichgewichte und schwierigen Strukturen innerhalb der Euro-Zone. Erst wenn die Politiker nicht mehr nur taktisch agieren, wird das Vertrauen der Investoren zurückkehren.

Was muss denn konkret geschehen, um dieses Vertrauen wiederzugewinnen?

Steinberg: Das einzig Positive an der Krise ist, dass nun auch den Politikern aufgegangen ist, dass es mit der Verschuldung so nicht weitergehen kann. Doch es ist schwierig, diesen Zug zu bremsen, schon wegen der hohen Zinslasten und wegen vieler Verpflichtungen. Zudem müssen Fragen beantwortet werden wie etwa diese: Wer darf in Europa wie viele Schulden machen? Wie regelt man auf Dauer die Finanzierung von Staaten, wenn das am Kapitalmarkt nicht mehr so leicht geht? Es wird Jahre dauern, darauf überzeugende Antworten zu finden - und mein Optimismus, dass das überhaupt gelingt, ist nicht sehr groß.

Wird man Griechenland letztlich doch in die Pleite schicken? Und vor allem: Wird der Euro die Krise überstehen?

Steinberg: Ganz am Anfang der Schuldenkrise hätte man Griechenland eher pleitegehen lassen können. Nach allem, was inzwischen geschehen ist, wird das schon viel problematischer, und man wird trotz aller Drohgebärden versuchen, dies zu vermeiden. Trotzdem halte ich eine demokratische Legitimierung des Handlungspakets für richtig. Der Euro wird bestehen bleiben, alle werden daran festhalten wollen. Aber Deutschland wird in den Erhalt der Währungsunion investieren müssen - über das hinaus, was wir bisher als Schmerzgrenze empfunden haben.

Wie stehen Sie zu der Idee einer Steuer auf Finanztransaktionen wie etwa Wertpapierkäufe und -verkäufe, mit der die Bundesregierung und die EU-Kommission die Spekulation an den Märkten eindämmen wollen?

Steinberg: Ich hätte nichts dagegen, dass Gewinne, die bei Investmentbanken durch rein spekulative Geschäfte entstanden sind, abgeschöpft werden. Eine Finanztransaktionssteuer träfe aber auch jeden Privatanleger, und das halte ich nicht für gerecht. Ohnehin meine ich, man müsste in der aktuellen Diskussion stärker trennen: Die Finanzwelt besteht nicht nur aus Hedgefonds und den großen Investmentbanken. Man sollte Sparkassen und Volksbanken nicht mit ihnen in einen Topf werfen. Die Frage ist doch, wie man erreichen kann, dass sich das Finanzsystem wieder stärker auf seinen eigentlichen Zweck - der Realwirtschaft zu dienen - konzentriert. Teile der Bankenwelt haben eine Eigendynamik entwickelt, die zurückgefahren werden muss.

Wo müsste man die Hebel ansetzen, um dies zu erreichen?

Steinberg: Es kann keine schrankenlose Freiheit geben. Selbst ein Verbot mancher rein spekulativer Finanzprodukte wäre für mich kein Tabu, sofern nicht eine Genehmigungspflicht wieder neue Bürokratie schafft. Auch bei den Vergütungssystemen müsste man ansetzen: Ich finde es einen Wahnsinn, wie viel in manchen Sektoren des Finanzsystems gezahlt wird. Das setzt die falschen Anreize. Allerdings sehe ich auch im Wertpapierhandel Korrekturbedarf: Wenn mehr als 50 Prozent der Geschäfte im Aktienhandel von Automaten getätigt werden, schadet das der Aktienkultur. Zudem müssten die völlig unkontrollierten Handelskanäle abseits der Börsen, direkt zwischen Banken und anderen Finanzinstitutionen, dringend reguliert werden.

Wie wird sich der deutsche Aktienmarkt, der gegenüber dem Jahresbeginn um rund 950 Punkte oder 14 Prozent gesunken ist, in den nächsten Monaten weiterentwickeln?

Steinberg: Der Markt wird weiter erheblich schwanken. Zum Jahresende dürften wohl allenfalls 6200 oder 6300 DAX-Punkte erreichbar sein. Gelingt es aber auf europäischer Ebene nicht, Vertrauen in das Krisenmanagement herzustellen, drohen massive Verwerfungen. Vor diesem Hintergrund kann ich Privatanlegern nicht raten, jetzt Aktien zu kaufen. Auch auf mittlere Sicht wird die Börse voraussichtlich unter der ungelösten Schuldenproblematik leiden, daher rechne ich auf absehbare Zeit nicht mit deutlichen Kursanstiegen.

Welche Anlagen lohnen sich denn sonst? Vielleicht Gold?

Steinberg: Auch auf einen weiteren Anstieg des Goldpreises würde ich nicht setzen. Ich denke, es ist nicht die Zeit, der Rendite hinterherzurennen. Im Moment kann nur die Sicherheit im Vordergrund stehen, die man auch durch eine breite Streuung erreicht.

Wie wird die Börse Hamburg in diesem Jahr abschneiden?

Steinberg: Die Umsätze liegen leicht über dem Vorjahresniveau, wobei sich aber die Aktienanleger überwiegend zurückhalten und nur an wenigen Tagen sehr hohe Umsätze erzielt wurden. Dafür ist das Geschäft am Anleihemarkt sehr positiv gelaufen, und auch bei den geschlossenen Fonds hatten wir bisher ein gutes Jahr. Angesichts der Umstände sind wir zufrieden, schließlich reicht es für schwarze Zahlen.

Info:

Experten geben Ratschläge zur Geldanlage

Mehr als 6500 Anleger werden nach Angaben der Veranstalter auf dem 16. Hamburger Börsentag erwartet. Am heutigen Sonnabend zwischen 9.30 und 18 Uhr können sie sich in der Handelskammer (Adolphsplatz 1) über Geldanlage- und Kapitalmarktthemen informieren. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. In gut 60 Vorträgen und an mehr als 100 Messeständen beantworten Experten, darunter Michael Bräuninger, Konjunkturchef beim Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut, und Haspa-Chefvolkswirt Jochen Intelmann, die Fragen von Anlegern. Einen Schwerpunkt des Börsentags bilden nachhaltige Investments. "Eine sinnvolle Geldanlage darf nicht mit Spekulation verwechselt werden", sagte Börsen-Geschäftsführer Thomas Ledermann.