Die Konjunktur brummt, der Aktienmarkt floriert - auch wegen der niedrigen Zinsen. Ohne Schuldenkrise läge der Kurs des Euro noch höher.

Hamburg. Die Griechenland-Krise beherrscht die Schlagzeilen, und sie wird von vielen Bundesbürgern als ernste Bedrohung für die deutsche Wirtschaft empfunden. Tatsächlich mangelte es in den zurückliegenden Monaten nicht an erschreckenden Expertenprognosen: Der Euro werde ins Bodenlose stürzen, die Inflationsrate werde auf ein dramatisches Niveau hochschießen, hieß es da.

Doch bisher sind derartige Schreckensszenarien nicht Realität geworden. Ganz im Gegenteil: Seit dem Beginn der Staatsschuldenkrise in Europa am 19. Oktober 2009 - dem Tag, an dem die griechische Regierung zugeben musste, dass ihr Haushaltsdefizit mindestens doppelt so hoch ausfallen werde als bis dahin veranschlagt - haben sich wichtige Daten zur deutschen Wirtschaft verbessert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist erheblich gewachsen, die Arbeitslosigkeit ist stark gesunken, der private Konsum hat spürbar zugelegt (siehe Grafik).

"Im Hinblick auf die Wirtschaft ist Deutschland heute so etwas wie eine Insel der Glückseligen, die sich hervorragend von den Problemen in anderen Teilen Europas abschotten kann", sagt Bernd Schimmer, Leiter der Wertpapieranalyse bei der Haspa. Nach Ansicht von Experten liegt es auf der Hand, warum die Krise in Athen nicht auf die bundesdeutsche Konjunktur durchschlägt. "Griechenland ist viel zu klein", sagt dazu Commerzbank-Analyst Christoph Weil - die Wirtschaftsleistung der Südosteuropäer entspricht etwa der des Bundeslands Hessen.

Indirekt schiebt die Schuldenmisere die Wirtschaft in Deutschland sogar an, weil die Europäische Zentralbank (EZB) wegen der Schwierigkeiten Griechenlands, Portugals und Irlands den Geldhahn so weit aufgedreht lassen muss, was Kredite an Firmen und Privatpersonen günstig hält. "Der Leitzins von 1,25 Prozent ist für Deutschland definitiv zu niedrig", erklärt Alexander Krüger, Chefanalyst beim Bankhaus Lampe. Gälte der Zins nur für die Bundesrepublik, wären drei Prozent angemessen, schätzt Schimmer. "Wir profitieren davon, dass es anderen nicht so gut geht", meint er.

Auch wenn der Leitzins demnächst leicht angehoben werden dürfte, stehen die Chancen gut, dass die deutsche Konjunktur weiter auf hohen Touren läuft. Dafür sorgen schon allein die Exporte. "Die Weltwirtschaft wird weiter um ungefähr vier Prozent pro Jahr zulegen", erwartet Christoph Weil, "damit werden wir uns bestimmt noch zwei oder drei Jahre über ein recht kräftiges Wachstum freuen können." Schon jetzt aber ist der Arbeitsmarkt in Teilbereichen nahezu leer gefegt, es sind so viele Menschen beschäftigt wie nie zuvor in den vergangenen Jahrzehnten.

Damit sitzt auch das Geld bei den Verbrauchern wieder lockerer. "Der private Konsum leistet einen Beitrag zum BIP-Wachstum von 0,9 Prozentpunkten, das war zuletzt vor fünf Jahren so", sagt Krüger. Er kann nicht erkennen, dass die Schuldenkrise das Verbrauchervertrauen in Deutschland deutlich drückt - so wie in etlichen anderen Ländern. So zeige etwa der Pkw-Absatz eine kräftige Belebung. Vor dem Hintergrund des breit angelegten Aufschwungs prognostiziert Krüger für Deutschland in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent.

Auch die Anleger sind trotz der Griechenland-Krise gut gefahren. Der Deutsche Aktien-Index (DAX) ist seit ihrem Beginn von 5850 auf aktuell mehr als 7100 Punkte geklettert, und die Commerzbank traut dem Börsenbarometer den Sprung auf ein neues Allzeithoch von 8200 Zählern im zweiten Halbjahr zu. Die Bundesanleihen werden von den Investoren als "sicherer Hafen" angesehen und waren zeitweise äußerst gefragt. Ihre Rendite ist damit 2010 deutlich gesunken, hat aber den Ausgangswert praktisch wieder erreicht. "Unter den Anlegern hat es nicht wirklich Verlierer gegeben", resümiert Schimmer - vielleicht abgesehen von extrem sicherheitsorientierten Sparern, die sich mit sehr niedrigen Tagesgeldzinsen zufriedengeben mussten.

Nicht einmal der Euro ist dauerhaft abgestürzt. Nach einem Kursrutsch von 1,50 auf weniger als 1,20 Dollar lag er zuletzt nicht mehr weit vom Ausgangswert im Oktober 2009 entfernt. Diese Erholung resultiert jedoch nicht nur aus der Bekämpfung der europäischen Probleme. "Der Euro bezieht seine jetzige Stärke aus der Schwäche der USA", so Krüger. Er geht sogar noch weiter: "Wenn wir die Schuldenkrise in den Peripherieländern nicht hätten, stünde der Euro bei 1,70 Dollar." Das wäre schlecht für den Export. Allerdings rechnen viele Experten mit Spätfolgen der Krise: Wegen der lang anhaltenden Niedrigzinsphase werde die Inflationsrate in fünf Jahren auf drei bis vier Prozent steigen, erwartet Weil - und solche Aussichten werden wohl auch den Goldpreis weiterklettern lassen.