Die Situation in Hamburg ist besonders dramatisch. Die Zahl der Fehltage stieg laut einer neuen Studie 2010 bislang stark an.

Hamburg. Meist kommt die Krankheit schleichend daher. Es fällt schwerer, sich bei der Arbeit zu konzentrieren. Man fühlt sich von Kollegen in die Ecke gestellt, wird gemobbt. Die Furcht um den Arbeitsplatz und damit um die berufliche Existenz lässt einem nachts kaum noch schlafen. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten nehmen Stress und Angst dramatisch zu - mit dem Ergebnis, dass sich bei immer mehr Arbeitnehmern Körper und Seele gegen Belastungen wehren. Am Ende stehen häufig psychische Krankheiten und nicht selten die Arbeitsunfähigkeit. Besonders dramatisch ist nach einer Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), die dem Abendblatt vorliegt, die Situation in Hamburg. Denn in keiner anderen deutschen Großstadt fallen so viele Fehltage von Beschäftigten wegen psychischer Erkrankungen an wie an der Alster.

Das hilft gegen Intriganten

Arbeitsverdichtung und Mobbing machen Menschen krank

Bereits 2009 war die Zahl der Fehltage in der Hansestadt um 22 Prozent gestiegen. Im ersten Halbjahr 2010 kamen auf 1000 Beschäftigte sogar 680 Fehltage. "Ein Plus von nochmals gut sechs Prozent", wie Regina Schulz, Landeschefin der DAK für Norddeutschland, dem Abendblatt sagt. Gründe seien vor allem Arbeitsstress und Mobbing . Der Anstieg in den ersten sechs Monaten fällt auf den ersten Blick vergleichsweise gering aus, doch Experten wissen, dass sich die Krankmeldungen wegen psychischer Probleme traditionell in den dunklen Herbst- und Wintermonaten häufen. Laut DAK ist es deshalb durchaus möglich, dass die hohe Zahl aus dem vergangenen Jahr 2010 noch übertroffen wird.

Für Unternehmen kann diese Entwicklung auch wirtschaftlich verheerende Folgen haben. Schon vor der Wirtschaftskrise verursachten psychische Erkrankungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Gesamtkosten in Höhe von rund 27 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kommen etliche Milliarden durch Fehltage für die Wirtschaft. Und die Tendenz ist weiter steigend, denn jeder zweite Deutsche fühlt sich laut einer Studie des Bürodienstleisters Regus heute gestresster als vor zwei Jahren. "Wenn Beschäftigte länger krank sind, entgeht den Unternehmen zudem Know-how. Im Extremfall kann dies zu einem Kundenverlust führen", sagt Dieter Fuhrmann, Experte für Betriebliches Gesundheitsmanagement bei der Handwerkskammer Hamburg.

Hamburger Unternehmen etablieren betriebliches Gesundheitsmanagement

"Arbeitsbezogene Belastungen haben mit 35 bis 38 Prozent den höchsten Anteil der Gründe für unsere Beratungsgespräche. Danach kommen persönliche und familiäre Probleme mit jeweils rund 25 Prozent", sagt Melanie Brauck vom Fürstenberg-Institut, das bundesweit rund 70 Unternehmen im Gesundheitsmanagement berät und auch den Mitarbeitern der Firmen bei Bedarf zur Seite steht. Zu den Kunden zählen neben dem Mineralölkonzern Shell auch Metro, die Hamburger Volksbank, Jungheinrich und Axel Springer. "Bei uns haben Mitarbeiter und Unternehmen ein gemeinsames Interesse am Erhalt und der Förderung der Gesundheit und Einsatzfähigkeit der Mitarbeiter", begründet Jungheinrich-Sprecher Markus Piazza die Kooperation.

Vor allem in großen Unternehmen spielt das Thema Gesundheitsschutz inzwischen eine wichtige Rolle - und nicht nur dort. In der Stadt hat sich das Netzwerk Gesundheit aus Firmen der Medizinwirtschaft, Forschungseinrichtungen, Krankenkassen, Ärzten und Therapeuten unter Mitwirkung von Stadt und Handelskammer etabliert, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. 2011 plant das Netzwerk als Schwerpunktthema Depressionen. Zudem gibt es zahlreiche Netzwerke, die sich mit dem Thema befassen. So organisieren Handels- und Handwerkskammer einmal im Jahr Gesundheitstage, um Unternehmen zu mehr Fürsorge für die Mitarbeiter zu motivieren.

Dass dies ausreicht, bezweifeln Experten. "Die Unternehmen könnten deutlich mehr machen. Vor allem in Hamburg, wo psychische Erkrankungen vor allem wegen Leistungsverdichtung am Arbeitsplatz zunehmen, sollten die Firmen noch mehr auf die seelische Gesundheit ihrer Mitarbeiter achten", sagt Jutta Blankau, Leiterin für den norddeutschen Bezirk Küste der IG Metall, dem Abendblatt.

Nachholbedarf in kleineren Hamburger Betrieben

Doch es gibt auch positive Beispiele. So hat der Nivea-Hersteller Beiersdorf als eines von drei Unternehmen dieses Jahr den Hamburger Gesundheitspreis 2009 erhalten. Prämiert wurden die Präventionsmaßnahmen des Konzerns sowie die Jahresschwerpunktaktion "Wenn der Druck steigt" mit Aktionen und Beratungsangeboten im Zusammenhang mit Belastung am Arbeitsplatz. Der Mineralölkonzern ConocoPhillips (Jet-Tankstellen) erhielt den Preis, weil das Unternehmen zahlreiche Stress mindernde Maßnahmen umgesetzt hat. Unter anderem dürfen die Beschäftigten beim Autofahren nicht telefonieren, selbst wenn eine Freisprechanlage vorhanden ist. Prämiert wurden auch die im Vergleich kleineren Firmen Sozialstation GmbH und die Hamburgische Brücke. Experte Fuhrmann hofft, dass weitere Firmen den Vorteil von Gesundheitsmanagement erkennen. "Es herrscht noch Nachholbedarf."