Frauen in Bangladesch fertigen Kleidung für deutsche Billigketten. Unter welchen Bedingungen, schilderten zwei von ihnen jetzt in Hamburg.

Hamburg. Es ist eine Mischung aus Wut und Stolz, die Jessmin Begum in Deutschland verspürt. Stolz ist die 26 Jahre alte Näherin mit den großen Augen und dem schmalen Gesicht, wenn sie sieht, wie viele der T-Shirts, Hosen und Hemden hierzulande aus ihrer Heimat Bangladesch stammen. Große deutsche Billigketten lassen ihre Waren in dem asiatischen Land fertigen. Zugleich aber ist die schmächtige Frau wütend, weil sie weiß, wie wenig sie selbst und ihre Kolleginnen an der Herstellung dieser Produkte verdienen. "Es wäre gut, wenn die Menschen wüssten, wie hart wir für diese Kleidungsstücke arbeiten müssen", sagt sie. "Und wie wenig wir dafür bekommen."

Aus diesem Grund ist Jessmin Begum nach Deutschland gekommen. Sie will aufklären über die Arbeitsbedingungen in ihrem Land, das zu den ärmsten der Welt gehört. Auf Einladung der Kampagne für Saubere Kleidung, zu der sich rund 20 Gewerkschaften und kirchliche Vereine zusammengeschlossen haben, reist sie derzeit durch die Bundesrepublik. Ende dieser Woche war sie zu Gast in Hamburg.

Acht Jahre lang hat Jessmin Begum in einer Textilfabrik in Bangladesch gearbeitet, die unter anderem den Discounter Lidl beliefert. Einen Grundlohn von umgerechnet 35 Euro monatlich hat sie dafür bekommen. Und weil dieses Geld für sie und ihre fünfköpfige Familie nicht zum Leben reichte, hat sie Überstunden gemacht, bis zu fünf am Tag. Arbeitszeiten von 8 bis 22 Uhr waren daher die Regel. Schließlich kam sie auf einen Lohn von 50 bis 55 Euro. "Allein die Miete für eine Wohnung im Slum von Dhaka kostet monatlich 25 Euro", erzählt die Näherin. "Arztbesuche können wir uns nicht leisten."

Die Zustände in ihrer Fabrik beschreibt die Arbeiterin als kaum zumutbar. "400 Näherinnen arbeiten auf engstem Raum, es ist staubig, heiß und es gibt kaum frisches Wasser." Wer sich auch nur ein paar Minuten verspäte, bekomme den Lohn für einen ganzen Tag abgezogen.

Aus Sicht des Sozialwissenschaftlers Khorshed Alam ist das Schicksal von Jessmin Begum durchaus typisch für die Arbeitsbedingungen in Bangladesch. Der Leiter des Instituts AMRF (Alternative Movement for Resources and Freedom Society) kämpft schon seit Jahren für eine Verbesserung der Zustände in der Textilindustrie seines Heimatlandes. "Wenn eine Lieferung von Kleidung unmittelbar bevorsteht, müssen die Arbeiterinnen in vielen Fabriken massiv Überstunden leisten", sagt er. "Und sie erhalten dafür einen Lohn, der bei Weitem nicht zum Überleben reicht."

Wegen der menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen war es im Juni erstmals zu einem Aufstand unter den Näherinnen gekommen. Die Not trieb sie zu Tausenden auf die Straßen der Hauptstadt Dhaka, wo Hundertschaften der Polizei mit Knüppeln und Tränengas gegen die Demonstrantinnen vorgingen. Am Ende scheiterten sie mit ihrer Forderung, den Mindestlohn von 17 auf 51 Euro anzuheben. Die Arbeitgeber gestanden ihnen nur einen Anstieg auf 30 Euro zu.

Aus der Perspektive des Sozialwissenschaftlers Alam sind die deutschen Discounter, aber auch ausländische Konzerne mitverantwortlich dafür, was mit den Beschäftigten bei ihren Lieferanten passiert. "Sie sorgen durch ihre Preispolitik dafür, dass die Lieferanten versuchen, so günstig wie möglich zu produzieren", sagt er. Alam weiß, wovon er spricht. Im Frühjahr verfasste er mit seinem Team eine Studie über die Arbeitsbedingungen bei vier Lidl-Lieferanten in Dhaka. Die Ergebnisse reichten aus, um den Discounter dazu zu zwingen, eine Werbung, in der Lidl mit besonders sozialen Arbeitsbedingungen geworben hatte, zurückzuziehen.

Freiwillige Maßnahmen der Unternehmen reichen nicht aus

In einer schriftlichen Stellungnahme verweist das Unternehmen nun darauf, dass sich Lidl "im Rahmen unserer Möglichkeiten" für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Bangladesch einsetze. Dazu gehöre ein Trainingsprojekt für Produzenten, durch das eine Verbesserung bei Arbeitszeiten, Arbeitssicherheit und bei der Entlohnung erreicht werden solle. Zudem habe Lidl einen kostenlosen Krankendienst in Dhaka eingerichtet und begrüße die Anhebung des Mindestlohns.

"Die freiwilligen Maßnahmen reichen aber nicht aus, um die Situation der Näherinnen zu verbessern", sagt Gisela Burckhardt von der Kampagne für Saubere Kleidung. "Deutsche Unternehmen sollten für die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit in Ländern wie Bangladesch hierzulande haftbar gemacht werden können." In dieser Frage sei aus ihrer Sicht vor allem die Bundesregierung gefordert. Die Verbraucher ruft Burckhardt auf, in Supermärkten und Warenhäusern gezielt nachzufragen, wie die billigen Hosen und T-Shirts produziert würden.