Der Internetriese investiert in Windparks, Schwebebahnen und robotergesteuerte Autos. Kalkül oder nur Verlegenheit?

Hamburg. Die Lombard Street in San Francisco ist eine merkwürdige Straße. Steil, kurvig und extrem unübersichtlich stellt sie für jeden Autofahrer eine Herausforderung dar. Daher waren viele US-Amerikaner erstaunt, als sie in der vergangenen Woche erfuhren, dass ausgerechnet auf dieser Straße ein robotergesteuertes Auto unterwegs war - ohne einen Unfall zu bauen. Der Wagen gehörte zu jenen sieben Fahrzeugen, die der Internetriese Google in den vergangenen Monaten durch ganz Kalifornien schickte, um ein revolutionäres Steuerungskonzept zu testen. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ist dem US-Konzern offenbar gelungen, den Prototyp eines selbst fahrenden Autos zu entwickeln.

Anfang dieser Woche folgte schon der nächste Paukenschlag des Suchmaschinenbetreibers: Google steigt nun auch in ein milliardenschweres Windenergieprojekt vor der US-Küste ein. Der Konzern will die Verlegung von Unterseekabeln für einen gigantischen Windpark finanzieren, der sich auf einer Strecke von 350 Meilen von New Jersey bis nach Virginia erstreckt. 1,9 Millionen Haushalte sollen auf diese Weise mit Strom versorgt werden.

Und schließlich überraschte Google noch mit der Nachricht, demnächst einen eigenen Inflationsindex zu erstellen. Gespeist aus den Daten diverser Onlineshops, will der Konzern die Preisentwicklung im Internet beobachten. Einen eigenen Chefvolkswirt, der die Daten interpretieren kann, hat Google bereits.

Investments haben wenig mit dem Kerngeschäft Onlinewerbung zu tun

Autos, Energie, Preisentwicklung? Auf den ersten Blick scheinen diese weit entfernten Geschäftsfelder so gar nichts mit dem Kerngeschäft des Internetriesen zu tun zu haben, das vor allem im Betrieb der weltweit erfolgreichsten Suchmaschine und dem damit verknüpften Verkauf von Online-Werbung besteht. Weit mehr als 90 Prozent aller Erlöse erwirtschaftet der Konzern in diesem Bereich. Welche Strategie verbirgt sich also hinter den neuen Projekten des Unternehmens?

"Google versteht sich als Technologiekonzern, dessen Hauptgeschäft die Internetsuche darstellt", sagt Unternehmenssprecher Kay Overbeck dem Abendblatt. Dabei gelte die Regel, dass 70 Prozent aller Ressourcen in die Verbesserung der Suchfunktionen fließen sollten, 20 Prozent in "suchnahe" Produkte wie beispielsweise das E-Mail-Programm Google Mail und zehn Prozent in Entwicklungen, die mit dem Kerngeschäft überhaupt nichts zu tun haben müssten. Die Entwicklung eines robotergesteuerten Autos sei eines jener Projekte, von denen Google schlicht noch nicht wisse, ob es sich jemals rechnen werde. Dies sei ähnlich wie bei dem Investment in eine pedalgetriebene Schwebebahn namens Shweeb, in die Google ebenfalls investierte.

Aus Sicht des Hamburger Trendforschers Peter Wippermann könnte hinter dem Engagement rund um das Thema Mobilität allerdings sehr wohl langfristiges Kalkül stecken - vor allem vor dem Hintergrund von bestehenden Diensten wie Google Maps oder Street View. "Es geht letztlich darum, neue Anwendungsmöglichkeiten für die umfangreichen Geodaten zu finden, über die der Konzern heute bereits verfügt." Aus Wippermanns Sicht könnten in einigen Jahren Navigationssysteme für selbst fahrende Autos auf den Markt kommen, die ihre aktuellen Navigationsdaten aus dem Internet holen. "So ein Service wäre dann kostenlos, würde aber mit personalisierter Werbung verknüpft", meint der Trendforscher.

Rechenzentren mit riesigem Energiebedarf

Das Engagement Googles für Energieprojekte erklärt sich hingegen aus dem gewaltigen Strombedarf des Konzerns. Als einer der weltweit größten Betreiber von Rechenzentren ist Google schon heute eines der energiehungrigsten Unternehmen in den USA. Neben der Möglichkeit, den Ausstoß klimaschädlicher Gase wie Kohlendioxid zu reduzieren, verfolgt der Konzern mit dem Windkraftprojekt daher handfeste wirtschaftliche Ziele: Die neue Technik könnte die Stromrechnung für die Rechenzentren drücken und Google unabhängiger von den großen Stromkonzernen machen. Dazu passen auch bereits bestehende Projekte: Die Tochtergesellschaft Google Energy besitzt eine Lizenz zum Stromhandel, damit Google den Stromeinkauf selbst kontrollieren kann. Und in der Konzernzentrale in Mountain View sind die Dächer der Flachbauten mit Solarzellen gepflastert. 30 Prozent des Energiebedarfs am Firmensitz lassen sich dadurch laut Google schon decken.

Kritiker fürchten allerdings, dass sich der Internetriese mit den neuen Aktivitäten verzetteln könnte. "Google sollte darauf achten, das Kerngeschäft nicht aus dem Auge zu verlieren", sagt Jens Hasselmeier, Analyst bei der Beratungsfirma Independent Research. Aus seiner Sicht ist es sinnvoll, wenn der Konzern in die Entwicklung des Smartphone-Betriebssystems Android investiert oder sich auf dem wachsenden Markt des Cloud Computing engagiert. Hier ist es Google zuletzt gelungen, mit Bürosoftware aus dem Internet dem Branchenriesen Microsoft empfindliche Nadelstiche zu versetzen. In Windparks und robotergesteuerten Autos könne er hingegen keine zukunftsträchtigen Geschäftsfelder erkennen.

Hinter manch einem der eher abseitigen Projekte vermutet Hasselmeier daher schlicht Verlegenheit. Angesichts einer Nettoliquidität von 30 Milliarden Dollar wisse Google einfach nicht, wo das Geld investiert werden solle.