Die Anwohner klagen über Ohrgeräusche und Herzrasen. Den Klimawandel zweifeln sie an. Zu Besuch in der “Windwahnmarsch“.

Der Vorführeffekt. Obwohl der Wind heute kräftig weht, wie lange in diesem Sommer nicht mehr, und sich die Windräder wie wild drehen, hört man nichts von ihrem Lärm. Zumindest wenn man ein Städter ist. "Ich kann sie trotzdem hören", sagt Marco Bernardi und verschränkt die Arme.

Der Wind weht an diesem Tag aus Südwest und trägt die Geräusche der Windkraftanlagen von Bernadis Hof weg. Das Rascheln der Blätter in den Bäumen erledigt den Rest. Erst später, am frühen Abend, wird man die Anlagen hören. Es klingt wie das Rauschen einer weit entfernten Autobahn, für einen Städter kaum hörbar. "An manchen Tagen ist es so laut wie das Knallen einer Heupresse", sagt Jutta Reichardt.

Marco Bernardi und seine Frau Jutta Reichardt stehen vor dem Zaun, der ihren Hof von den Feldern abgrenzt, auf denen die Windkraftanlagen stehen. "113 sind es im Rundumblick", sagt Jutta Reichardt. 113 Anlagen im Umkreis von 14 Kilometern, die aus Wind Strom machen. Das nächste Rad dreht sich 320 Meter vom Haus entfernt.

Vor 16 Jahren sind Reichardt und Bernardi aus Hamburg hierher gezogen. Nach Neuendorf-Sachsenbande im Kreis Steinburg, wo es ein paar Höfe gibt und sonst nur idyllische Marschlandschaft. "Wir wollten in Ruhe inmitten der Natur leben und arbeiten", sagt Reichardt. Bernardi arbeitet als Kfz-Sachverständiger, begutachtet Unfallautos. Reichardt ist Verhaltensgestörtenpädagogin, Moderatorin und Choreografin.

500 000 Mark zahlten die beiden damals für den Hof und sechseinhalb Hektar Land. Hunderttausende Euro haben sie seitdem investiert. Sie legten einen Teich an und schütteten Brutinseln für Vögel auf. Sie setzten die Samen von seltenen Pflanzen, bauten Nistkästen. 80 geschützte Tierarten leben auf ihrem Hof. Und auch nicht geschützte Tierarten wie Hängebauchschwein "Miss Murphy Oink".

Als die beiden den Hof kauften, standen auf den Feldern drei Windkraftanlagen. "Sind weitere geplant?" wollten sie von dem Landwirt wissen, der ihnen seinen Hof verkaufte. "Nein", sagte der Mann. Zehn Monate nach ihrem Einzug wurde eine Anlage nach der anderen neu errichtet, bis es 113 wurden. Der Wert des Hofes ist wegen der Windkraftanlagen stark gesunken, sagen sie. Der Hof sollte ihre Alterssicherung sein. Man kann Jutta Reichardt und Marco Bernardi verstehen: Wer will schon sein Haus von 113 Strommühlen umzingelt wissen? Doch den beiden geht es um mehr: Sie sagen, dass Windkraftanlagen krank machen, Tiere töten, umweltschädlich und teuer sind. Dass sie überflüssig sind. Weil es den Klimawandel gar nicht gibt. Diese Ansichten sind es, die sie zu Außenseitern machen. Drei von vier Deutschen wollen mehr Ökostrom.

In ihrer Verbissenheit erinnern die beiden an Don Quichotte, der wie besessen gegen Windmühlen anrannte. Sie sprechen von Studien, von Korruption, von Abzocke und Technik. Ihren Wohnort nennen sie mittlerweile "Windwahnmarsch". So finden sie immer mehr Anhänger. Und so müssen sich auch die Umweltverbände Nabu und BUND mit ihren Argumenten auseinandersetzen. Es ist der Kampf von einstigen Verbündeten in Sachen Naturschutz. Die Windkraftgegner sagen, dass die Umweltverbände von der Windkraftindustrie gekauft sind. Die Umweltverbände sagen, dass die Windkraftgegner keine Beweise für ihre Thesen haben.

Jutta Reichardt und Marco Bernardi haben im vergangen Jahr einen Verein gegründet - "Gegenwind Schleswig-Holstein". Mitglieder sind Einzelpersonen, aber auch Bürgerinitiativen, die teilweise bis zu 300 Mitglieder haben. "Gegenwind Schleswig-Holstein" ist zu einer mächtigen Lobbygruppe geworden. Im vergangenen Jahr verhinderte der Verein nach eigenen Angaben den Bau von 400 neuen Windkraftanlagen.

An diesem Augustnachmittag haben Reichardt und Bernardi Besuch aus Oldenborstel bekommen. Petra und Uwe Tiemann, ebenfalls Mitglieder bei "Gegenwind Schleswig-Holstein". Die Tiemanns blicken von ihrem Haus auf drei Windräder, sie sind 700 Meter entfernt. Jetzt sollen weitere Anlagen hinzukommen, acht bis zehn.

Die Windkraftanlagen, das sagen alle vier, haben sie krank gemacht. "Viele in unserer Straße klagen über zu hohen Blutdruck", berichtet Petra Tiemann. Marco Bernardi hat nicht nur einen Tinitus, er hört mittlerweile vier Töne, vom tiefen Brummen bis zum hohen Fiepen. "Und du hast drei, oder?" sagt er zu seiner Frau. "Ja, und Herzrhythmusstörungen." Bernardi hat noch ein Vibrieren im Brust- und Bauchbereich bei sich festgestellt. Und Reizbarkeit. Und Herzrasen. "Angina Pectoris. Ich habe immer Druck auf der Brust", sagt Jutta Reichardt. Manchmal, sagt Bernardi, könne er nachts nur zwei Stunden schlafen.

Es ist nicht nur der Lärm, der sie krank macht, sagen sie. Sondern vor allem der Infraschall, der entsteht, wenn die Propellerflügel den Mast der Windkraftanlage passieren und dabei die Luft zusammendrücken. Töne mit tiefer Frequenz geben ihnen schließlich den Rest, sagen sie.

Damit die Gesundheitsgefahr der Windmühlen endlich bewiesen wird, nehmen Bernardi und Reichardt jetzt an einer Studie teil, für die sich Blut abzapfen lassen. Manchmal muss man für seine Überzeugung bluten. Die dänische Studie, die die Windkraftgegner verteilen, stellt hingegen fest: "Infraschall wird daher nicht als eine Problem der Windkraftanlagen (...) betrachtet." Die Studie diagnostiziert immerhin, dass tieffrequenter Lärm "auch drinnen stören" kann.

Doch nicht nur auf den Menschen wirkten sich die Propeller aus, sagen die Windkraftgegner. "Als wir hierher kamen, gab es Kiebitze, Greife, Fledermäuse und Eulen. Als immer mehr neue Windkraftanlagen gebaut wurden, waren die Vögel auf einmal weg", sagt Jutta Reichardt. Die Tiere werden von den Rotoren verscheucht oder getötet.

Thorben Becker, Teamleiter Klimaschutz beim BUND, erwidert: "Das ist naturschutzfachlich nicht haltbar. Keine der behaupteten Probleme haben sich bisher in Studien nachweisen lassen." Hermann Hötker, Chef des Michael-Otto-Instituts des Nabu, hat eine Studie zum Thema Vögel und Windkraft gemacht. Er sagt, dass die meisten Windkraftstandorte aus Vogelschutzperspektive unbedenklich sind. Und: "Die Scheuchwirkung ist nur bei einigen Arten nachgewiesen."

Die "Gegenwind"-Aktivisten argumentieren weiter: Windkraftwerke sparen kein CO2 ein, sie vermehren es durch Herstellung, Transport, Aufstellung und Wartung. Windkraftwerke machen den Strom teuer, weil der Ökostrom subventioniert wird. Windkraft ist unzuverlässig, weil der Wind eben nur manchmal weht.

Falsch, sagen die Experten von Nabu und BUND. "Im Vergleich aller Formen der Energieerzeugung, schneidet die Windenergie am besten ab", sagt Thorben Becker vom BUND in Hinblick auf die CO2-Bilanz. Herstellung, Transport, Aufstellung und Wartung gebe es bei anderen Kraftwerken auch. Außerdem senke der Ökostrom den Preis: Bei viel Windstrom im Netz sinke der Preis an der Strombörse. Und nicht die Windkraft sei unzuverlässig, sondern das unflexible Stromnetz.

Der Klimawandel, legen die Windkraftgegner nach, sei reine Panikmache. "Die Erwärmung hat es immer schon gegeben, sie tritt in Zyklen auf", behauptet Petra Tiemann. In den 50er-Jahren sei es schließlich genauso warm gewesen wie jetzt. Wer hinter der Panikmache stehe, sei doch klar: die Windenergielobby und Politiker. Spätestens an diesem Punkt winkt die Gegenseite ab und beendet den Austausch von Argumenten.

Und wie stellen sich die Windkraftgegner den Energie-Mix der Zukunft vor? Atomkraftgegner seien sie eigentlich nicht, sagt Herr Tiemann. Nur Atommüllgegner. Ansonsten finden sie Geothermie gut und fordern, dass die Kernfusion zur Energiegewinnung weiter erforscht wird. Hauptsache, die Windkraftanlagen kommen weg.

Sie haben angefangen, jeden seltenen Vogel zu kartografieren, der über ihre Häuser fliegt. Je schützenswerter das Tier ist, desto besser. Triumphierend zeigt Jutta Reichardt den Landschaftsplan von Neuendorf-Sachsenbande. 170 Einwendungen haben sie und ihre Mitstreiter gegen weitere Windkraftflächen verfasst. Jetzt befinden sich überall im Landschaftsplan kleine Vogelsymbole. "Hier dürfen keine Windkraftanlagen gebaut werden", jubelt Reichardt.

Sie halten Vorträge auf Bürgerversammlungen, in denen sie ihre Thesen unters Volk bringen und betreuen Bürgerinitiativen. Unterstützung gibt es bundesweit, europaweit.

Gut 21 000 Windkraftanlagen stehen derzeit in Deutschland (siehe Grafik), sie können derzeit 6,6 Prozent des Stromverbrauchs der Deutschen decken. Im Jahr 2025 soll ein Viertel des gesamten Strombedarfs aus Windenergie stammen. Das bedeutet: Es wird neue Windmühlen geben. Viel Arbeit also für die Gegenwindaktivisten.

In ihrer Nachbarschaft treffen sie nicht nur auf Gleichgesinnte. Viele Landwirte möchten ihre Flächen an die Windkraftunternehmen verpachten oder gleich selbst Geräte aufstellen. Es gab Drohungen, dass man ihnen den Hof abfackeln will, sagen Reichardt und Bernardi. Ihre Katzen wurden vergiftet, deren Kadaver über den Zaun geworfen. Bei einer Treibjagd scheuchten die Jäger Vögel von ihrem Hof auf und ballerten sie ab. "Wir machen weiter. So einfach wollen wir es diesen Menschen nicht machen", sagt Reichardt.

Das Anwesen von Jutta Reichardt und Marco Bernardi ist umgeben von einem Elektrozaun und Stacheldraht und mehreren Überwachungskameras. Der Kampf gegen Windmühlen macht einsam.