Nach dem frostigen Winter hat sich in Hamburgs Fahrradläden ein Reparaturstau aufgebaut. Was Händler freut, sorgt bei Kunden für lange Gesichter.

Hamburg. Zu Stoßzeiten kommen die Kunden fast im Minutentakt. Reifendruck prüfen, Schlauch wechseln, Bremsklötze erneuern, Kette ölen - das Frühjahr ist die Hochsaison für Wartungsarbeiten am Fahrrad. Dementsprechend begehrt sind die Termine in den Werkstätten der Hamburger Händler. "Der Ansturm ist gewaltig", sagt Martin Eberle, der seit 15 Jahren ein Zweiradgeschäft an der Rentzelstraße führt. "Eine Wartezeit von zehn Tagen ist zurzeit das Minimum bei uns."

Dabei tut der Unternehmer sein Möglichstes, um die Kunden schnell zu bedienen: Seine 14 Angestellten arbeiten von früh bis spät im Verkauf und in der Werkstatt. Im Winter hat Eberle extra zwei neue Stellen geschaffen, um sich für den Saisonstart zu wappnen. "In meinen 15 Jahren als Geschäftsführer habe ich im Januar und Februar noch nie solche Umsatzeinbußen gehabt wie in diesem Jahr durch den Schnee", sagt Eberle. "Das holen die Kunden jetzt alles nach - wir sind am Anschlag."

Damit befindet er sich in bester Gesellschaft. Beim Fahrradhaus Meincke am Erdkampsweg ist die Rede von zwei Wochen Wartezeit bis zum nächsten Reparaturtermin, bei Storm Cycles am Christoph-Probst-Weg kann es bis zu drei Tage dauern. Und beim Fahrradgeschäft Alsterspeiche, einer gemeinnützigen Betriebsstätte der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, gibt es sogar erst Mitte Juni freie Termine in der Werkstatt: Hier arbeiten elf Menschen mit Behinderungen, die neben den Fahrrädern ihres treuen Kundenstamms auch noch die Zweiradfuhrparks von Airbus und Lufthansa Technik warten.

"Wer jetzt erst zum Händler geht, muss eben mit Wartezeiten rechnen", sagt Karsten Klama, Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Dennoch rät Klama, jedes Fahrrad nach dem langen Winter gründlich zu testen. "Das Streusalz greift Kette und Antrieb stark an", sagt er. "Und wer mit quietschender Kette oder zu wenig Reifendruck fährt, verschwendet Energie." Das wollen offenbar nur die wenigsten riskieren.

Nach Einschätzung von Händler Eberle ist bei vielen die Einsicht gewachsen, dass die Wartung des fahrbaren Untersatzes wichtig ist - und zudem zeitsparend und bequem. Das belebt das Geschäft: Die Werkstatterlöse machen laut dem Verband des Deutschen Zweiradhandels zwar nur 13 Prozent des Branchenumsatzes aus. Mit Ersatzteilen erstreiten die Fahrradhändler aber immerhin ein Fünftel ihrer Gesamtumsätze, die das Bundeswirtschaftsministerium für das Jahr 2009 auf rund fünf Milliarden Euro schätzt. "Die Wartung ist außerdem ein unverzichtbarer Bestandteil für die Kundenpflege", sagt Eberle.

Aber nicht nur die alten, sondern auch die neuen Fahrräder wollen kontrolliert werden. Eine Stunde Arbeitszeit für die Vormontage von neuen Modellen sei bei ihm an der Rentzelstraße üblich, berichtet der Firmenchef. Auch das hat seinen Grund: Gute Qualität wird ein immer wichtigeres Kriterium beim Fahrradkauf. So ist der Anteil der Räder, die in den rund 4100 deutschen Fachgeschäften verkauft werden, von 50 Prozent im Jahr 2000 auf 63 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Der Rest wird über Bau- und Discountmärkte (28 Prozent), das Internet (sechs Prozent) oder Kaufhäuser (zwei Prozent) vertrieben. "Das Interesse an hochwertigen Fahrrädern und modernen Entwicklungen wächst", sagt Verbandssprecherin Susanne Eickelmann. "Dementsprechend legen die Kunden auch immer mehr Wert auf eine fundierte Beratung." Die Zweiradexperten profitieren von diesen gestiegenen Ansprüchen an Qualität und Service, wie das Branchenwachstum zeigt. Im Jahr 2009 sind die Umsätze der Fachhändler mit ihren rund 22 000 Beschäftigten um zehn Prozent gestiegen - das war laut dem Verband des Deutschen Zweiradhandels die höchste Wachstumsrate seit sieben Jahren, der lähmenden Wirtschaftskrise zum Trotz.

Stadtrad-Stationen in Hamburg

Gesellschaftliche Entwicklungen sind offenbar ein stärkerer Umsatztreiber als die Konjunktur. So wächst das Bewusstsein für Gesundheit und Fitness auf breiter Front, ein ökologisches Gewissen und hohe Spritpreise sind ohnehin ein Dauerargument zum Radeln. "Es gibt eine zunehmende Tendenz, das Fahrrad als alltägliches Transportmittel zu nutzen", heißt es bei den Branchenexperten der Messe Eurobike. Das beobachtet man auch in den Märkten der Hamburger Kette B.O.C. Bikecenter. Die vier Filialen in der Hansestadt schreiben seit dem Frühlingsbeginn bis zu dreimal so hohe Umsätze wie im Winter. "Das Geschäft entwickelt sich gut", sagt Marketing-Chefin Rita Wall. "Schon 2009 hatten wir eine deutliche Umsatzsteigerung, das war ein Superjahr."

Dafür sorgen auch per Elektromotor betriebene Räder, denen der Zweirad-Industrie-Verband großes Potenzial zuschreibt. Mit 150 000 verkauften E-Bikes habe sich der Absatz seit 2007 deutschlandweit mehr als verdoppelt. Die deutschen Fahrradhändler wird es freuen: Ein E-Bike wird wohl selbst im heimischen Hinterhof kein Kunde mehr reparieren wollen. Termine in den Werkstätten könnten in den kommenden Jahren also noch deutlich begehrter werden.