Recycelbare Produkte und Retrotrend sollen den Umsatz ankurbeln. Adidas will schwächelnde Tochter Reebok aus der Verlustzone führen.

Hamburg. Der Mann hat bei der US-Behörde für Luft- und Raumfahrt gearbeitet. Ihm ist also einiges zuzutrauen. Dementsprechend anspruchsvoll war die Mission, mit der der frühere Nasa-Ingenieur Bill McInnis von seinem neuen Arbeitgeber Reebok betraut wurde: einen Schuh zu entwickeln, der die schwächelnde Adidas-Tochter nicht nur wieder ins Gespräch, sondern auch aus den roten Zahlen bringen würde.

Die Mission ist auf gutem Weg. 18 Monate lang tüftelte McInnis mit seiner Entwicklungsabteilung an einem neuen Damenturnschuh. Dann war mit dem Modell EasyTone der neue Hoffnungsträger von Reebok geboren. Mit Luftkissen in der Sohle bringt er die Trägerin leichter aus der Balance - und aktiviert so angeblich die Pomuskulatur bei Alltagsaktivitäten um bis zu 28 Prozent stärker als ein normaler Schuh. Ein knackiger Hintern ohne allzu viel körperliche Anstrengung, das kommt bei der weiblichen Kundschaft an. So gut, dass es in einigen Ländern schon Lieferengpässe gibt. 5,5 Millionen Paar will Reebok in diesem Jahr allein in den USA verkaufen. Die neue Technologie soll ein Wachstum im zweistelligen Bereich anregen. Solche Zahlen waren lange undenkbar: 2009 waren die Umsätze bei Reebok um acht Prozent gefallen, in den ersten neun Monaten hatte die Marke Verluste von 130 Millionen Euro eingefahren.

Eine neue Idee ist da unbezahlbar. "Der Innovationsdruck in der Branche ist hoch", sagt Werner Haizmann, Präsident des Deutschen Sportfachhandels, der in Stuttgart selbst ein Fachgeschäft führt. Wer erfolgreich sein will, müsse auf Veränderungen der Gesellschaft flexibel reagieren, meint Branchenexperte Andreas Ullmann von der Beratungsfirma Sport+Markt. "Er muss die Menschen bei ihren Bedürfnissen abholen - und dabei möglichst schneller sein als die Konkurrenz."

Das ist Reebok ganz offensichtlich gelungen. Aber auch die Wettbewerber gehen mit der Sohle im Fokus neue Wege. So hat der Jahrzehnte andauernde Trend bei Laufschuhen zum höher, dicker, schwerer ausgedient. Anstelle von Marketing-Wortungetümen wie Torsionsystem, Shoxsäulen, Zwischensohlendämpfung, Airsohle oder Pronationsstützen sind nun Slogans wie "Freiheit für die Füße" gefragt.

"Die Hersteller rüsten ihre Laufschuhe wieder ab", sagt Kai Landwehr, Sprecher bei Nike Deutschland. "Man versucht jetzt, Gewicht zu sparen und flachere Dämpfungen zu entwickeln." Das passt zur Barfußlaufbewegung aus den USA, wo Männer mittleren Alters mit markigen Sprüchen wie "Wir brauchen keine stinkenden Schuhe" Marathonläufe barfuß bestreiten. Auch Studienergebnisse, wie sie Forscher der University of Virginia kürzlich in einem Fachblatt veröffentlichten, weisen in diese Richtung: Demnach sind die Belastungen an Hüfte, Knie und Fußgelenk höher, wenn Jogger moderne Laufschuhe tragen, als wenn sie mit bloßen Füßen laufen.

Nun ist die Barfußvariante in nur wenigen Regionen der Welt eine ernst zu nehmende Fortbewegungsart. Als Alternative bringt Nike noch im April den Nachfolger seines erfolgreichen Modells Free auf den Markt. "Der Free Run plus kommt dem Laufen mit bloßen Füßen noch näher", erklärt Landwehr. Die flexiblere Sohle soll verstärkt Schienbein- und Wadenmuskulatur trainieren - und weiter den Ausbau von Marktanteilen bei Laufschuhen vorantreiben. Dieser ist in den vergangenen Jahren dank der neuen Ausrichtung so stark gewachsen, dass Nike die ganze Produktpalette anpasste. "Auch bei anderen Modellen orientiert sich der Sohlenaufbau mittlerweile am Free-Konzept", sagt Landwehr. Die Einschränkung: Wer mit dem Trendschuh auf harten Böden joggen will, sollte gut ausgebildete Muskeln haben.

"Momentan sind viele Schuhe gefragt, die von der Technik her nicht als Joggingschuh geeignet sind", sagt der Hamburger Hersteller Ulf Lunge. Seit 2007 produziert er gemeinsam mit seinem Bruder Lars seine eigene Schuhmarke in Mecklenburg-Vorpommern. Ihr Ziel: eine breite Modellpalette, die etwas für jeden Fußtyp bietet. "Eine Schuhmarke muss sich dynamisch entwickeln und vielfältig sein", sagt Ulf Lunge. Mit dem neuen Modell Adagio, einem Walkingschuh fürs tägliche Tragen im Büro, sollen sich die Umsätze in diesem Jahr mehr als verdoppeln. Dabei verwenden die Lunges nach eigenen Angaben nur Materialien, die problemlos recycelt werden können. "Die Frage, wie und wo ein Schuh produziert wurde, interessiert die Kunden", beobachtet Ulf Lunge. "In dieser Hinsicht hat sich die Läuferszene verändert."

Das ist auch den drei Branchengrößen Nike, Adidas und Puma aufgefallen. So umweltbewusst wie die US-Schuhmarke Brooks, die sich dank nachhaltiger Schuhe mit biologisch abbaubaren Sohlen über Umsatzzuwächse freut, zeigt sich zwar keiner von ihnen. Aber immerhin hat Puma als drittgrößter Sportkonzern in dieser Woche den Schuhkarton abgeschafft. Als Verpackung gibt's zukünftig biologisch abbaubare Tüten aus Maisstärke. Kurz zuvor hatte Marktführer Nike verkündet, ihre WM-Trikots seien zu 100 Prozent recycelbar.

Offenbar ist auch so manche Erfolgsidee aus früheren Jahren wieder verwendbar. Die Hinwendung zur eigenen Unternehmensgeschichte zahlt sich aus: Die Adidas-Modelle Samba und Superstar sind ein Dauererfolg, Puma hat seinen Wildledersneakers nach dem Schnitt der 70er-Jahre neu aufgelegt. "Die Wiederbelebung von traditionsreichen Produkten war wohl einer der größten Triumphe von Adidas in den vergangenen 20 Jahren", sagt Ullmann. Der Retrogedanke sei eine Art Gegenentwurf zum ständigen Innovationsdruck.

Dass man das Experiment mit der Sohle auch übertreiben kann, zeigt das Beispiel der US-Marke Heelys. Seit 2004 gibt es die Turnschuhe auf dem deutschen Markt, laut Deutschland-Chef Dominik Wieder liegt der Absatz konstant im sechsstelligen Bereich. Bislang verkauft sich der Schuh vor allem als Geschenkartikel für Kinder: Unter der Ferse ist eine Rolle befestigt, die aus dem stabilen Turn- einen wackeligen Rollschuh macht.