Unsichere Finanzierungen und ein geringes Transportvolumen belasten. Es dürfte Jahre dauern, bis sich die maritime Wirtschaft erholt.

Hamburg. Klaus Stoltenberg macht einen entspannten Eindruck vor dem Panorama der Elbe in Neumühlen. Dabei spricht er in einem Konferenzraum des Schifffahrtsunternehmens Hansa Treuhand gerade über die Finanzierung von Schiffen, ein Geschäft, das viele Menschen derzeit sehr viel Geld kostet. Fast zehn Jahre lang herrschte in der Schifffahrt nahezu ununterbrochen Aufschwung. Vor allem neue Containerfrachter mussten her, immer mehr und immer größere. Seit dem vergangenen Jahr ist es mit dem Boom des Welthandels vorbei. Aber neue Containerschiffe, die vor Jahren bestellt wurden, kommen noch immer auf den Markt - obwohl weltweit bereits mehr als 500 solcher Frachter ohne Beschäftigung festliegen. Auch bei Massengutfrachtern und Tankern herrschen Überkapazitäten.

Die ausstehenden Kredite der Banken für Schiffsfinanzierungen summierten sich derzeit auf rund 200 Milliarden Dollar, sagt Stoltenberg, und die Aussichten für die Schifffahrtsbranche seien schlecht: "Deshalb vergeben die Banken derzeit keine Schiffskredite", sagt der Fachmann.

Stoltenberg leitet bei der NordLB, der Norddeutschen Landesbank in Hannover, die Abteilung für Flugzeug- und Schiffsfinanzierungen. Auf Einladung des Hamburger Reeders Hermann Ebel ist er an diesem Tag an die Elbe gekommen. Einmal im Jahr versammelt Ebel, Gründer und Inhaber von Hansa Treuhand, Fachleute aus der Schifffahrtsbranche zu einem Symposium. Für die traditionell verschlossene Branche ist das ein seltener öffentlicher Akt. "Seit ich in der Schifffahrt arbeite, seit 1977, habe ich acht Krisen erlebt", sagt Ebel. "Bisher wurden wir in den schwierigen Zeiten immer von den Banken gestützt. Aber denen geht es ja gerade nicht so gut."

Wohl wahr. In der Bilanz der NordLB stehen rund 20 Milliarden Euro Kreditvolumen für die Schifffahrt. Beim Absturz des Marktes kam die Bank bislang glimpflich davon, sagt Stoltenberg, ohne Zahlen zu nennen. Die "konservative" Anlagestrategie der NordLB zahle sich aus. Doch es gebe keinen Anlass zur Entwarnung: "Die großen Wertberichtigungen kommen noch." Die HSH Nordbank in Hamburg wiederum, der größte Schiffsfinanzierer der Welt, verlor in diesem Markt allein im ersten Halbjahr dieses Jahres 371 Millionen Euro.

Finanzexperte Stoltenberg macht seinen Zuhörern wenig Hoffnung, dass sich der Kreditmarkt in der Schifffahrt bald erholt. "Die Branche muss neue, langfristige Partner finden. Die Anzahl der Kreditgeber für diesen Wirtschaftszweig wird sehr begrenzt bleiben", sagt er. Was vor nicht langer Zeit bombensicher erschien und mit den besten Bewertungen versehen wurde, erweist sich jetzt als Fass ohne Boden. Stoltenberg zeigt eine Modellrechnung seiner Abteilung für ein mittelgroßes Containerschiff mit 5300 Containereinheiten (TEU) Kapazität. Bestellt im Jahr 2006, hätte die Bank für das Schiff einen Kredit von 62 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Als "Eigenkapitalbindung" wären gerade einmal 481 000 Dollar in der Bilanz der Bank aufgetaucht. Eine satte tägliche Charterrate von 39 000 Dollar hätte der Betreiber eines solchen Schiffes seinerzeit von einer Linienreederei verlangen können. Würde man dieses fiktive Schiff fortschreiben, rechnet Stoltenberg vor, wäre die Charterrate im August 2009 auf 7300 Dollar pro Tag unter die Betriebskosten des Reeders gefallen. Abgestürzt wären auch die Bewertungsnote für den Kredit und der Schiffswert. Das Eigenkapitalrisiko der Bank hingegen wäre auf 7,6 Millionen Dollar emporgeschnellt. Im kommenden Jahr könnte, so die Modellrechnung, das Schiff ohne Beschäftigung als "Auflieger" und Investitionsruine enden.

Professionelle Schiffsfinanzierer, aber auch Privatanleger in Schiffsfonds, fahren schmerzhafte Verluste ein. Das Geschäft mit langfristigen Schiffsfinanzierungen ist praktisch zum Erliegen gekommen, erklärt Stoltenberg. Das allerdings wird dazu beitragen, den völlig entgleisten Markt vor allem in der Containerschifffahrt in den kommenden Jahren wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Mehr als 1000 neue Containerfrachter stehen bislang noch in den Orderbüchern der Werften rund um die Welt - zusätzlich zu den rund 4700 Containerschiffen, die bereits am Markt sind. Viele Neubauaufträge sind bereits geplatzt, viele weitere werden folgen. Grobe Schätzungen in der Branche lauten, dass etwa die Hälfte aller bestellten Schiffe angesichts der Bankenkrise keine solide Finanzierung mehr besitzt. "Die Kreditversorgung steht nicht in dem Ausmaß zur Verfügung, wie es der Umfang der Neubauaufträge erfordern würde", sagt Stoltenberg. "Das bedeutet letztlich, dass der hohe Auftragsbestand nicht in vollem Umfang gebaut werden wird."

Reihenweise sind vor allem den deutschen Werften wie Sietas in Hamburg im zurückliegenden Jahr die Aufträge für neue Schiffe weggeplatzt, mehrere Schiffbauunternehmen ringen um die Existenz. Mit allen Mitteln versuchen die Reedereien, überschüssige Schiffstonnage loszuwerden, Aufträge zu stornieren oder zumindest zu verschieben. Doch der Druck am Markt bleibt hoch.

"Wir rechnen damit, dass rund ein Fünftel der gesamten neu bestellten Transportkapazität bei den Containerschiffen in den kommenden Jahren storniert wird", sagt Professor Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) beim Symposium von Hansa Treuhand. "Aber bis 2012 wird die Tonnage in diesem Marktsegment weiter wachsen. Rein rechnerisch kommt der Containerschiffsmarkt erst im Jahr 2015 wieder ins Gleichgewicht."

Diese Zeitspanne dürfte manche Reederei nicht überstehen. Noch bis weit in die Krise hinein versuchten führende Linienreedereien, ihren Konkurrenten mit Preisdumping bei den Frachtraten - den Transportpreisen für die Container - Marktanteile abzujagen. Bis auf 200 Dollar war die Frachtrate für einen 20-Fuss-Container im Frühjahr auf den Verbindungen von Ostasien nach Europa abgestürzt. Damit ließen sich nicht einmal mehr die Betriesbskosten für die Schiffe decken. Derzeit liege der Transportpreis bei 400 Dollar, sagt Hermann Ebel, der Dutzende von Containerschiffen für Linienreedereien betreibt: "Die Linienreedereien üben jetzt strenge Preisdisziplin, weil es um ihr Überleben geht." Zu Beginn des Jahres schon, hoffe man in der Branche, könne die Frachtrate für einen 20-Fuss-Container auf der wichtigen Fernost-Route nach Europa wieder bei 1000 Dollar liegen.

Ebel wirkt an diesem Vormittag in Neumühlen trotz all der tristen Zahlen genauso entspannt wie sein Gastredner von der NordLB. Er habe gute, langfristige Verträge abgeschlossen berichtet er: "Für ein Containerschiff mit 1600 TEU Kapazität bekommt man derzeit bestenfalls 4000 Dollar am Tag, das sind etwa die Betriebskosten. Wir verchartern solche Schiffe noch zu 10 000 Dollar." So zahlt es sich aus, dass es nicht Ebels erste Schifffahrtskrise ist, sondern schon die achte.