Klimawandel und Umweltschutz zwingen die Fahrzeugindustrie zum Umdenken. Die Wagen von morgen sind klein, spritarm und voll Elektronik. Die Ansprüche der Zukunft. Eine Analyse.

Hamburg. "Wir müssen das Auto neu erfinden", ist Daimler-Chef Dieter Zetsche überzeugt. Die Industrie entwickelt Hybrid-, Wasserstoff- und Elektromotoren und verabschiedet sich von der Abhängigkeit vom endlichen und immer teurer werdenden Öl. Aber auch das Image, das Aussehen und der Gebrauch von Fahrzeugen stehen vor einem grundlegenden Wandel. Die Revolution der Mobilität fordert die traditionellen Autobauer heraus - für einige wird dieser Wandel auch das Aus bedeuten. Experten sagen voraus, dass bis spätestens 2020 von den zwei Dutzend bedeutenden Herstellern nur noch die Hälfte überleben werden. Die Abendblatt-Analyse zeigt, wie das Auto von übermorgen aussehen könnte und sich die Branche verändern wird.

Trend zum Minimobil

Immer mehr Menschen leben in Großstädten. Hier sind platzsparende Modelle gefragt. Der indische Hersteller Tata hat mit seinem Winzling Tata Nano für unter 2000 Euro außerdem gezeigt, dass ein kleines, kostengünstiges Fahrzeug die mobile Antwort auf die Mobilitätsfrage in Schwellenländern darstellt. Weil in diesen Ländern mit dem wachsenden Wohlstand die Nachfrage stark ansteigt, dürfte sich die Zahl der Autos in zwanzig Jahren auf zwei Milliarden verdoppeln.

Umdenken für die Umwelt

Herausforderung für die immer größer werdenden Autokonzerne werden immer kleinteiligere Umweltvorschriften. Welcher der Supertanker der Branche ist so flexibel, dass er sich auf die stets steigende Zahl der Gesetze einstellen kann, die immer mehr Staaten und sogar Kommunen erlassen? Außerdem müssen die Forscher bei der Entwicklung immer mehr über den Tellerrand hinausblicken und sich von alten Denkmustern lösen: Ein Beispiel aus der Vergangenheit ist das Bionic car vom Auto-Erfinder Daimler: Der Kofferfisch stand Pate für ein Auto, das strömungsgünstig und extrem leicht ist. Denn auch der Tropenbewohner bewegt sich mit geringstmöglichem Energieeinsatz durch die Korallengärten.

Billiger werden Autos nicht

Im Jahr 2020 werden die Autobauer allein für den europäischen Markt Zusatzkosten für Umwelttechnik in Höhe von 35 bis 50 Milliarden Euro zu stemmen haben, schätzt die Unternehmensberatung Boston Consulting. Die Kosten müssen die Konzerne zumindest zum Teil an die Kunden weitergeben.

Unterhaltung ist Trumpf

Die Internetgeneration verlangt nach Fahrzeugen, die Unterhaltungselektronik auf höchstem Niveau bieten. Wenn mehr individueller Verkehr zu mehr Staus führt, soll die Zeit wenigstens genutzt werden. Auch für die Arbeit: BMW hat Studien von rollenden Büros in den Schubladen. Aber auch von Chamäleon-Mobilen, die für mehr Spaß auf der Straße sorgen: Die Hingucker können die Farbe ihrer textilen Außenhaut wechseln und heute in Rot, morgen in Weiß und übermorgen in Schwarz passend zum jeweiligen Outfit gefahren werden.

Abschied vom Statussymbol

Der Imageverfall großer Geländewagen (SUV) deutet einen Wertewandel an: In Paris wird bei Jugendlichen das "Flachlegen" großer Geländewagen durch Reifenstechen zum Trendsport, in den USA sind Aufkleber mit dem Schriftzug "SUV saufen Terroristenöl" beliebt. Das Statusargument starker Motor dürfte zugunsten von gesellschaftlich verantwortungsbewussten Fahrzeugen in den Hintergrund treten.

Roboter als Fahrer

Autos sollen Menschen von A nach B bringen, und zwar selbstständig, und dabei den Weg finden, ihre eigenen Entscheidungen an Kreuzungen treffen, genügend Abstand halten und den Fahrer zur Not bei der Ankunft in der Garage wecken. An dieser Zukunftsvision arbeiten Roboterforscher der Stanford University. Ihr Ziel: Die Zahl der Unfälle senken, weil Maschinen weniger Fehler machen als Menschen. Allerdings haben die Hersteller Bedenken. Sie argumentieren, dass sich die Autofahrer den Fahrspaß nicht nehmen lassen wollen. Außerdem gebe es ein Haftungsproblem: Wer wäre an einem Unfall Schuld, der Fahrer, der Autobesitzer oder der Hersteller?

Auto repariert sich selbst

Die Forscher von Daimler haben das Science-Fiction-Gefährt "Silverflow" entwickelt, das nicht nur seine Form je nach Fahrbedingung ändern kann: Es repariert sich sogar selber.

Trend zum Carsharing

Der Verbraucher mietet das Auto per Handy, öffnet es auf dem Parkplatz mit seinem Führerschein und rechnet die Fahrtdauer minutengenau ab. Ein Verkehrskonzept der Zukunft könnte es den Menschen auch erlauben, zum Skifahren mit dem Geländewagen zu fahren, für den Sommerurlaub ein Cabrio zu nehmen und zum Shoppen in die überfüllte Großstadt ein Minimobil zu wählen. Für die Hersteller würde das bedeuten, langfristig nicht mehr Autos zu verkaufen, sondern eine bestimmte Mobilitätsleistung.

Autos für Senioren

Schon 2008 waren 30 Prozent aller Autokäufer älter als 60 Jahre. Der Trend wird sich verstärken und provoziert neue Technologien: Der Computer sucht die Parklücke, manövriert durch komplizierte Kreuzungen und warnt den Fahrer beim Sekundenschlaf. Kameras und Radarsensoren sehen Fußgänger und Radfahrer früher als jeder Mensch und helfen gerade den immer zahlreicher werdenden älteren Autofahrern.

Konkurrenz aus Fernost

Die weltweite Nachfrage wird weiter wachsen, 2020 dürften weltweit 70 Millionen Neuwagen verkauft werden, 22 Prozent mehr als 2008. Auch in den gesättigten Märkten Europas dürften Ökosubventionen oder -strafen die Kunden zum Neuwagenkauf bewegen. Die Branche dürfte daher auch in Deutschland immer noch weit mehr als eine Million Menschen beschäftigen und eine der Schlüsselindustrien bleiben. Regionen mit Newcomern in der Autobranche werden dagegen einen Ausleseprozess erleben: In China gibt es derzeit noch rund 200 verschiedene Autohersteller. Die großen unter ihnen dürften auf westliches Know-how schielen und weiter zukaufen. Chinesen hatten in der Vergangenheit bereits Rover gekauft, Tata aus Indien übernahm Land Rover und Jaguar.

Revolution bei Zulieferern

Der derzeit sich ankündigende Systemwechsel zur Elektromobilität wird besonders auch bei den Zulieferern zu massiven Einschnitten und Veränderungen führen, sagte Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Nürtingen-Geislingen dem Abendblatt. Bosch muss keine Einspritzpumpen mehr bauen, Eberspächer wird seine Abgasreinigungsanlagen nicht mehr absetzen können, Kolbenschmidt wird mit Kolben keine Chance mehr im Markt haben. Diese Produkte werden mit dem Ende des Verbrennungsmotors, das mit dem Versiegen der Ölquellen unvermeidlich ist, zum Fall für das Automuseum.