Ob Brillenfassung, Ölwechsel oder Mittagsmenü - jeder zahlt, was er will. Verbraucher sollten jedoch genau hinschauen, was sie bekommen.

Hamburg. "Sie bestimmen den Preis" - mit weißer Aufschrift auf orangefarbenen Plakaten buhlt der Optiker Apollo um Kundschaft. Mit Erfolg, die Sachbearbeiterin Anastasia Papadoudis aus Hamburg hat sich gerade spontan eine neue Brille ausgesucht. Den Preis dafür darf sie sich selbst ausdenken - zumindest für die Fassung, die Gläser muss sie regulär bezahlen. Trotzdem, an diesem Angebot konnte Papadoudis nicht vorbeigehen. "Ich suche schon einige Zeit nach einer Brille, da kommt mir die Aktion natürlich gelegen", sagt sie.

Branchenübergreifend setzen immer mehr Hamburger Unternehmen auf Werbeaktionen, bei denen der Kunde für ein Produkt das zahlt, was er für angemessen hält. "Das ist ein längerfristiger Trend", sagt Ulf Kalkmann, Geschäftsführer des Hamburger Einzelhandelsverbands. "So können sich Geschäfte aus der Masse abheben." Das hat auch Wirtin Tina Petersen erkannt. In ihrem Lokal Le Kaschemme nahe der Reeperbahn bietet sie jeden Donnerstag unter dem Motto "Zahl, was du willst" ein Überraschungsmenü an. "Beim Umsatz macht sich das Angebot zwar nicht bemerkbar, es sorgt aber für Aufmerksamkeit", sagt die 36-Jährige. "Und es ist eine schöne Möglichkeit, um herauszufinden, wie viel den Gästen das Essen wert ist." Zu Beginn hätten sich die Kunden bei der Bezahlung oft unwohl gefühlt, meistens sei aber ein angemessener Preis zwischen zwölf und 20 Euro gezahlt worden.

Was in der Gastronomie zu funktionieren scheint, ist im Internet bereits gescheitert: Das Hamburger Musiklabel 2nd Rec hat mit einer ähnlichen Aktion Verluste eingefahren. "Wir haben fast 500 CDs an unsere Kunden verschickt, die sie testen und dann selbst entscheiden sollten, wie viel sie zahlen wollen", sagt Geschäftsführer Johannes Schardt. Nur 127 Kunden überwiesen Geld, im Schnitt 8,87 Euro pro Album. Ein Grund für den Misserfolg könnte die Anonymität des Internets sein. "Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man schnell vergisst zu bezahlen, wenn man es nicht muss", sagt Schardt. Ganz aufgegeben hat das Label das Angebot nicht - allerdings dürfen die Kunden nicht mehr den Preis für ein ganzes Album bestimmen, sondern nur noch für einzelne Lieder.

Verbraucherschützer sehen diese vermeintlichen Rabatte kritisch. "Niemand hat etwas zu verschenken - oft zahlen die Kunden dann an anderer Stelle mehr", sagt Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass viele Kunden unterbewusst auf Rabatte anspringen und sich dadurch in ihren rationalen Verkaufsentscheidungen beeinflussen lassen. "Die Unternehmen wollen natürlich vor allem Kunden anlocken und ihre Umsätze steigern."

Das Prinzip läuft auch bei der Autowerkstatt Stop + Go an der Kieler Straße erfolgreich. Auf seiner Internetseite wirbt das Unternehmen in großen Lettern "Sie bestimmen den Ölwechselpreis". Der Haken: Das auf August begrenzte Angebot gilt ausschließlich für die Arbeitsstunden. Öl und Filter werden regulär berechnet. "Die meisten zahlen zwar nur zwischen fünf und zehn Euro für die Dienstleistung", sagt Betriebsleiter Daniel Pursch von Stop + Go. "Aber viele Kunden, die für den Ölwechsel kommen, lassen gleich noch andere Arbeiten an ihrem Auto machen." Ein lohnendes Geschäft auch für die Werkstatt.

Brillenträgerin Anastasia Papadoudis weiß noch nicht genau, wie viel ihr die neue Fassung von Apollo-Optik wert ist. "Ich muss ohnehin erst zum Augenarzt, deshalb kann ich noch eine Nacht darüber schlafen", sagt die Hamburgerin. Selbst wenn sie deutlich weniger als den Originalpreis zahlt, verdient Apollo an den geschliffenen Gläsern - und hat eine neue Kundin gewonnen. Der Brillenhändler nennt zwar keine Zahlen zum Umsatzwachstum, gibt sich aber mit dem Verlauf der Aktion, die bis Mitte Oktober andauert, zufrieden. "Viele Neukunden kommen auf Empfehlung von Personen, die das Angebot bereits genutzt haben", sagt Volker Reeh, Marketingdirektor bei Apollo-Optik. Die Bandbreite der bezahlten Preise für die Fassungen reiche von 50 Cent bis 99 Euro. "Die Hamburger sind dabei eher großzügiger als der Bundesdurchschnitt."