Sie cremen sich ein, lassen ihre Falten messen: 6000 Probanden hat das Unternehmen in der Kartei.

Hamburg. Bettina Primmel cremt sich ein. Genau eine Minute lang verteilt sie die Paste aus dem Tiegel auf ihrem Gesicht. Was genau in der Dose ist, weiß sie nicht. Bettina Primmel cremt für die Forschung. Sie hat sich als Freiwillige beim Konsumgüterriesen Beiersdorf in Hamburg gemeldet: In der Troplowitzstraße in Eppendorf hat der Hersteller von Nivea, Eucerin und anderen weltweit bekannten Hautpflegeprodukten seine Forschungsaktivitäten konzentriert. Mehr als 900 Mitarbeiter arbeiten in diesem Bereich, davon allein rund 450 Wissenschaftler in der Hansestadt. Die Sparte ist eines der Herzstücke des Konzerns - und sie soll trotz weltweiter Krise kräftig ausgebaut werden.

"Schon 2008 haben wir unsere Investitionen in die Forschung und Entwicklung von 127 auf 149 Million Euro aufgestockt und auch 2009 werden sich die Investitionen in ähnlicher Größenordnung bewegen", sagt Beiersdorf-Vorstand Pieter Nota. Rund 6000 Probanden hat das Unternehmen in der Kartei. Sie testen die neuen Produkte. Bevor sie cremen dürfen, müssen sie eine Aufnahmeprüfung bestehen. Gefragt wird etwa, ob die Probanden rauchen, getestet wird, ob die Haut auch gesund ist. Zudem wird der Hauttyp von Dermatologen bestimmt.

Bettina Primmel steht unter Beobachtung. Eine Kamera im Badezimmer zeichnet ihre Bewegungen auf und überträgt sie auf einen Bildschirm im Nebenraum. Dort steht die Mathematikerin Susanne Treibel, die alles genau registriert. Verteilt sich die Creme leicht, oder ist sie zu zähflüssig? Schäumt ein Shampoo beim Haarewaschen zu stark? Verdirbt der Schaum die Freude am Rasieren? Der Leiterin der Konsumentenforschung und ihren 20 Mitarbeitern entgeht nichts. Und wenn doch, so wird der Makel eines Produkts spätestens in einer anschließenden Gesprächsrunde aufgedeckt, in der die Probanden ihre Erfahrungen persönlich schildern.

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Es geht um Gefühle. Die Farbe der neuen Gesichts- oder Körperpflege passt nicht, der Verschluss eines Shampoos lässt sich schwer öffnen. "Die Ergebnisse dieser Gespräche werden an die Forschungsabteilung weitergeleitet", sagt Susanne Treibel. Ist die Creme zum Beispiel zu fest, wird ihre Konsistenz so verändert, dass die Probanden zufrieden sind. Susanne Treibel leitet eine Art Endstation der Beiersdorf-Forschung. Pro Woche sieht sie rund 150 Probanden. Alle Produkte, die sie testen, sind wissenschaftlich schon ausgereift. Die Konsumentenforscher interessiert nur, ob Shampoo und Creme für den Kunden perfekt in der Handhabung sind und gut ankommen.

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Szenenwechsel: Der Raum erinnert an eine Praxis für Privatpatienten. Empfangstresen im warmen Holzton, freundliche Mitarbeiterinnen, die Probanden empfangen und in Untersuchungsräume begleiten. Mit seiner persönlichen Plastikkarte, die die Daten der Probanden speichert, kann sich die jeweilige Testperson schon im Voraus für neue Untersuchungen anmelden.

Verena Heesche (43) kommt zur Faltenmessung, soll ein Produkt testen, das Frauen ab Mitte 40 um die Augen herum jünger aussehen lassen soll. Forscherin Martina Kausch führt sie zu einem Gerät, das an die Untersuchung beim Augenarzt erinnert. Verena Heesche legt ihr Kinn auf, ihre Augenfalten werden gemessen. Nun muss die Probandin acht Wochen lang ein neues Produkt von Beiersdorf testen. Nach einem Monat wird erstmals die Wirkung kontrolliert, am Ende des Tests weiß Joachim Ennen, Leiter des Testcenters, ob die Substanzen zur Faltenreduzierung rund um die Augen etwas taugen.

180 bis 200 Euro bekommt jeder Proband für einen so langen Einsatz. Reich wird Verena Heesche davon nicht. "Aber es macht Spaß", sagt sie. Damit die Testergebnisse auch wissenschaftlichen Kriterien standhalten, benötigt Ennen 50 bis 60 Versuchspersonen. Denn keine Creme wirkt bei jedem Menschen gleich. "Der eine oder andere springt in den acht Wochen zudem ab", sagt er. Aber 45 Probanden müssen es für einen solch wichtigen Test schon sein. Und jeder darf nur an einer Studie teilnehmen und nicht an zwei gleichzeitig. "Der Anspruch ist, dass die neuen Produkte die Faltentiefe um drei bis zehn Prozent reduzieren", sagt Ennen, ein promovierter Biologe. Früher wurde die Faltentiefe - für die Versuchsperson unangenehmer - mithilfe von Silikon gemessen, das die Forscher rund um die Augen der Probanden auftrugen. Seit 1997 ist das nicht mehr nötig - die neue von Beiersdorf entwickelte Technologie kommt ohne Silikon aus. Von den Falten werden Bilder gemacht, die Tiefe wird gemessen.

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Weiter ins nächste Gebäude des Forschungszentrums: Kaum eine Party oder ein Treffen mit Freunden vergeht, an denen Maria Langhals nicht um Tipps gebeten wird. Was ist die beste Hautpflege für mein Gesicht? Wie schütze ich mich besser gegen Sonnenbrand? Die Frau ist Expertin für die Schönheit. Seit acht Jahren ist sie bei Beiersdorf, seit zweieinhalb Jahren leitet sie den Forschungsbereich Gesichts- und Haarpflege sowie dekorative Kosmetik. "Anti-Aging ist das große Thema", sagt Maria Langhals. Aber auch Kosmetik und Pflegeprodukte für junge Menschen beschäftigen die promovierte Chemikerin.

Manchmal dauern die Vorarbeiten für ein neues Produkt fünf bis sechs Jahre. "Aber wenn die Substanzen entwickelt sind, muss es schnell gehen", sagt sie. 18 Monate hat sie mit ihren rund 70 Mitarbeitern Zeit, um eine ausgereifte Substanz marktfähig zu machen. "Bei uns läuft alles parallel. Tests, Veränderungen am Produkt, wieder Tests, dann Studien mit Endverbrauchern", zählt sie die endlose Reihe der Arbeitsabläufe auf.

Dabei sucht sie nicht selten nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. "Von einer neuen Tagespflege gibt es am Anfang 300 bis 400 Varianten. Am Ende bleiben dann drei bis fünf übrig, die von Beiersdorf in unterschiedlichen Ländern auf ihre Akzeptanz hin getestet werden." Wie viele Produkte sie im Jahr entwickelt oder verbessert? Maria Langhals muss kurz nachdenken. "So um die 200 dürften es sein", sagt sie. Die Zahl ergibt sich, weil aus einer einzigen Substanz oft zahlreiche Produkte hergestellt werden. "Ein neuer Nagellack kommt dann in 43 Farben auf den Markt", nennt Maria Langhals ein Beispiel. Nicht nur neue Substanzen gehören zur ihrem Aufgabengebiet, sondern auch die ständige Erneuerung bereits bestehender Produkte. "Wenn sich der Stand der Forschung verändert, arbeiten wir dies ein", sagt sie. Selbst die traditionelle Nivea-Creme wird verändert, wenn die Wissenschaftler Verbesserungen entdecken.

Ein nicht ungefährliches Unterfangen. "Immer, wenn auf einer Verpackung das Wort "neu" steht, riskieren wir, dass einige Verbraucher das Produkt nicht mehr kaufen, weil sie keine Veränderung mögen", sagt sie. Das lasse sich an den Absatzzahlen ablesen, die nach der Erneuerung des Produkts kurz runter- und dann wieder hochgehen. Auch die bahnbrechende Innovation einer Creme mit Co-Enzym Q10, die vor etwa zehn Jahren auf den Markt kam, wurde bereits mehrfach "modernisiert", genauso wie diverse Sonnenschutzmittel angepasst wurden, weil durch die Forschung ein immer höherer Lichtschutzfaktor erreicht werden konnte.

Und warum braucht man all diese neuen Produkte? "Die Haut vergisst nichts", sagt Maria Langhals. Ob zu starke Sonneneinstrahlung, Nikotinkonsum oder Umweltgifte: Alles hinterlässt Spuren, die sich im Alter im besten Fall in Falten ausdrücken.