Otto-Vorstandschef Schrader über den möglichen Jobabbau, die Umstrukturierung des Hamburger Versenders und lukrative Auslandsmärkte

Hamburg. Zunehmende Konkurrenz aus dem Internet, Verluste in Frankreich und Gegenwind vom Betriebsrat wegen eines möglichen Stellenabbaus: Der Chef des Hamburger Versandhandelskonzerns Otto, Hans-Otto Schrader, kämpft derzeit an mehreren Fronten.

Hamburger Abendblatt: Das Sparprogramm Fokus, das eine engere Verzahnung der drei deutschen Versender Otto, Baur und Schwab vorsieht, hat zu erheblicher Unruhe im Konzern geführt, der Betriebsrat befürchtet einen Stellenabbau. Was kommt auf die Beschäftigten zu?

Hans-Otto Schrader: Eines vorweg: Fokus ist kein Sparprogramm. Es geht darum, die Stärken unserer Marke Otto noch weiter auszubauen, die für immerhin 17 Prozent des Konzernumsatzes steht. Wenn Sie so wollen, ist Fokus also eine Investition in die langfristige Zukunft. Entscheidungswege sollen kürzer und flexibler werden.

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Bedeutet dies, dass die beiden kleineren Versender Baur und Schwab vom Markt verschwinden werden?

Schrader: Nein, auf keinen Fall. Es geht um eine effiziente Zusammenarbeit der drei Marken - jede für sich hat ihre Stärken, die es gilt zu nutzen. Inwiefern es gegebenenfalls Auswirkungen auf die Standorte Hamburg, Burgkunstadt und Hanau hat, lässt sich noch nicht sagen.

Aber es wird einen Abbau von Arbeitsplätzen geben.

Schrader: Die strategische Neuausrichtung wird unweigerlich auch zu Personalveränderungen führen, da es eine Reihe von Aufgaben gibt, die bei den drei Versendern doppelt besetzt sind.

In welcher Größenordnung?

Schrader: Ich spekuliere ungern über diese Dinge. Aber es ist für uns selbstverständlich und wird auch vom Betriebsrat ausdrücklich begrüßt, dass wir nie mit der Rasenmähermethode vorgehen, wenn es um Mitarbeiter geht. Ende Juli werden wir ein konkretes Bild vor Augen haben. Dann kann ich Aussagen darüber treffen.

Schließen Sie betriebsbedingte Kündigungen aus?

Schrader: Es wäre unredlich, das zu tun. Aber wir wollen möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen, so wie es auch früher schon bei Otto gehandhabt wurde.

Im Netz gerät Otto durch preisaggressive Anbieter wie Zalando unter Druck. Ist Fokus auch eine Reaktion darauf?

Schrader: Keineswegs. Otto ist nicht unter Druck, wir agieren aus einer Position der Stärke heraus. Wir sind der größte Onlinehändler für Mode und Lifestyle in Deutschland, haben die besten Kundenbewertungen für unseren Shop und haben im vergangenen Jahr einen deutlich höheren Gewinn als im Vorjahr erzielt. Für diese Erfolge hätte ich den Mitarbeitern auf der jüngsten Betriebsversammlung sicherlich erst einmal danken müssen, bevor wir über das neue Projekt Fokus sprachen.

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Aber der Versandhandelsmarkt ist um rund zwölf Prozent gewachsen, während Sie 2,1 Prozent an Umsatz eingebüßt haben. Sie verlieren Marktanteile.

Schrader: Sie sollten uns nicht mit dem Gesamtmarkt, sondern mit der Entwicklung im Modebereich vergleichen, da dieses Segment den größten Teil des Umsatzes von Otto ausmacht. Da sehen die Zahlen schon ganz anders aus: Der Distanzhandel mit Mode hat es generell schwer in Deutschland und ist im vergangenen Jahr gerade mal um ein Prozent gewachsen.

Selbst im Vergleich dazu war die Entwicklung bei Otto aber schlechter.

Schrader: Das hat einen einfachen wie guten Grund: Der Umsatz steht bei uns nicht im Vordergrund, sondern die Rendite. Aus unserer Sicht ist es nicht sinnvoll, Marktanteile um jeden Preis zu verteidigen, sondern Geld zu verdienen. Eben diese Strategie hat zu dem guten Ergebnis der Otto-Einzelgesellschaft geführt. Ich würde an dieser Stelle auch infrage stellen wollen, ob eine umsatzgetriebene Strategie - wie Wettbewerber sie bevorzugen - eigentlich langfristig Erfolg versprechend ist.

Bei Unterhaltungselektronik scheinen die Kunden aber nur auf den Preis zu schauen. Kann Otto da mithalten?

Schrader: Wir streben nicht die Preisführerschaft an. Dies würde zulasten der Arbeitsbedingungen gehen, aber auch ganz klar zulasten des Kundenservice. Beides wollen und werden wir nicht in Kauf nehmen.

Kauft denn noch jemand Kameras bei Ihnen, wenn das Otto-Angebot nicht vorn in den Preissuchmaschinen auftaucht?

Schrader: Wir stellen in der Tat fest, dass wir nicht ganz oben in diesen Rankings auftauchen müssen, da viele unserer Kunden ein großes Vertrauen in die Marke Otto haben und es schätzen, dass beispielsweise die Retouren oder andere Serviceleistungen bei uns reibungslos funktionieren.

Der Betriebsrat hat Ihnen vorgeworfen, der Otto-Konzern erinnere derzeit mehr an einen Reparaturbetrieb als an einen Großkonzern mit einer klaren Strategie. Was entgegnen Sie darauf?

Schrader: Otto ist ganz sicher kein Reparaturbetrieb, und das weiß auch der Betriebsrat sehr gut. Wir verfolgen vielmehr eine klare, langfristig orientierte Strategie. Das Fokus-Programm zielt beispielsweise darauf ab, dass wir unsere Strukturen so rechtzeitig anpassen, dass wir im Jahr 2049 mit Sicherheit das 100-jährige Bestehen von Otto feiern können. Daneben gibt es im Konzern aber noch mehrere andere Programme. Mit CFS, das für Corporate Functions und Services steht, optimieren wir etwa die zentralen Verwaltungsaufgaben im Unternehmen. Otto hat sich stets erneuert, um wettbewerbsfähig zu bleiben - wir tun mit den derzeit aufgesetzten Projekten genau das.

Wie sieht Ihre Vision für Otto als Gesamtkonzern aus?

Schrader: Erstens treiben wir die Internationalisierung voran, indem wir in wachstumsstarke Märkte wie Russland, Brasilien oder die Türkei investieren. Zweitens bauen wir die renditestarken Bereiche Finanzdienstleistungen und Services aus, hinter denen vor allem die erfolgreichen Dienstleistungsgruppen Hermes und EOS stehen. Und drittens treiben wir den Multichannel-Einzelhandel voran, in der erfolgreichen Kombination aus Katalog, Internet und stationären Läden - mit dem ganz klaren Treiber Onlinehandel.

Was versprechen Sie sich vom brasilianischen Markt, in den Sie investieren?

Schrader: Da der brasilianische Onlinemarkt für Mode noch ganz am Anfang der Entwicklung steht, sehen wir hier erhebliches Potenzial. Wie in Russland wollen wir in fünf Jahren zum Marktführer im Mode-Onlinehandel aufsteigen und den Umsatz auf eine halbe Milliarde Dollar steigern. Dazu haben wir mit dem brasilianischen Handelsunternehmen Posthaus das Joint Venture DBR gegründet. Über einen gemeinsamen Marktplatz wollen wir in den nächsten Jahren unsere Marken wie beispielsweise Bonprix lancieren.

Andere Beteiligungen im Ausland bereiten Ihnen derzeit aber kaum Freude. Wann trennen Sie sich vom defizitären Frankreichgeschäft?

Schrader: Wir haben uns erst einmal dazu entschlossen, das Geschäft der Gesellschaft 3Suisses zu sanieren und in den Ausbau des Angebots, der Logistik und IT zu investieren.

Wie lange reicht Ihre Geduld?

Schrader: Bis Ende dieses Jahres müssen sich signifikante Verbesserungen im Ergebnis zeigen, schwarze Zahlen erwarten wir 2012 aber noch nicht.

Was ist in Frankreich falsch gelaufen?

Schrader: Wie andere Versandhändler dort auch haben wir möglicherweise zu lange mit dem Einstieg ins Onlinegeschäft gewartet. Zudem war das Geschäft von besonderen Rabattsystemen getrieben, die sich nicht auf das Internet übertragen lassen.

Wie sehen Ihre Erwartungen für den Konzern im laufenden Geschäftsjahr 2012/2013 aus?

Schrader: Bei Umsatz und Ergebnis werden wir voraussichtlich über dem Vorjahr liegen. Das gilt übrigens auch für die Otto-Einzelgesellschaft im Inland, die in den ersten zwei Monaten gut ins neue Geschäftsjahr gestartet ist.