Gustl Mollath ist ein freier Mann – jedoch mit dem Makel des Gewalttäters. Das Landgericht Regensburg ist überzeugt, dass er seine Ex-Frau misshandelt hat. Wegen der speziellen Rechtslage in einem Wiederaufnahmeverfahren war der 57-Jährige aber freizusprechen.

Regensburg. Gustl Mollath rührt sich nicht. Kein Kopfschütteln, keine geballte Faust oder irgendein anderes Zeichen für das, was er fühlt, als Richterin Elke Escher ihr Urteil spricht. Erst nach der Urteilsbegründung wird er sich unzufrieden zeigen, weil die Richterin in ihm einen Gewalttäter sieht. So groß Mollaths Enttäuschung nun sein mag – sein Fall hat dem Rechtsfrieden in Deutschland viel gebracht.

Mollath ist nach der Entscheidung des Landgerichts Regensburg nun freigesprochen, er muss nicht mehr in die Psychiatrie und bekommt obendrein rund 50.000 Euro Entschädigung für die gut sieben Jahre in Zwangsunterbringung. Doch nach einem Sieg für den Angeklagten sieht es nur auf den ersten Blick aus.

Denn in der Urteilsbegründung stellt die Richterin fest, dass Mollath seine damalige Frau am 12. August 2001 „geschlagen, getreten, gewürgt und in den Unterarm gebissen“ habe. „Der Angeklagte hat damit den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht.“ Nur weil er zur Tatzeit eventuell psychisch krank war, sei er als schuldunfähig und damit aus rechtlichen Gründen als unschuldig einzustufen.

Trotz seines Freispruchs hat sich der ehemalige Psychiatrie-Insasse Gustl Mollath enttäuscht vom Urteil des Landgerichts Regensburg gezeigt. „Das kann man so nicht hinnehmen“, sagte Mollath nach der Urteilsbegründung am Donnerstag. Er wolle prüfen, welche Möglichkeiten bestünden, dagegen vorzugehen. „Diese Art von Freispruch habe ich schon siebeneinhalb Jahre genossen“, sagte Mollath mit Blick auf seine zwangsweise Unterbringung in der Psychiatrie.

Als Mollath am 6. August vergangenen Jahres die Psychiatrie in Bayreuth mit einer selbst gezüchteten Blume auf dem Arm verlassen hatte, da hatte er noch die vollständige juristische Rehabilitation als sein Ziel ausgegeben. Er sah und sieht sich als Opfer seiner Ex-Frau, die für die HypoVereinsbank Schwarzgeld in die Schweiz geschafft haben soll und ihn nach seiner Lesart in der Psychiatrie kaltstellen wollte, damit er dies nicht öffentlich machen kann.

Doch an diese Lesart glaubten weder Staatsanwaltschaft noch Gericht. Und wer die Beweisaufnahme verfolgt und der präzisen Urteilsbegründung zuhört, sieht auch keinen Grund mehr, Mollaths Darstellung zu glauben. Denn der brutale Höhepunkt des Rosenkriegs von Mollath und seiner früheren Frau kann schlicht nichts mit den wegen Verjährung nicht mehr aufzuklärenden Schwarzgeldvorwürfen zu tun gehabt haben: Als Mollath das erste Mal von Schwarzgeldgeschäften sprach, lag der Angriff auf seine Frau schon lange zurück.

Mollath sieht dies bis heute anders. „So war das nicht“, sagt er zur Darstellung in der Urteilsbegründung. Er hat noch immer viele Unterstützer, diese kommentieren das Urteil vor Ort zum Teil abfällig. Aber auch wenn ihnen die Entscheidung des Gerichts nicht passt, dürfen sie sich zusammen mit Mollath auch als Gewinner fühlen. Denn durch seinen Fall stehen die Regeln für die teils willkürlich erscheinende Dauer von Zwangsunterbringungen auf dem Prüfstand. Das Bundesverfassungsgericht hat kritische Anmerkungen gemacht, politisch laufen die Vorbereitungen für präzisere gesetzliche Vorschriften.

Mollath hat keine Handhabe mehr, in seinem Fall noch einmal juristisch vorzugehen – weil er freigesprochen wurde, kann er nicht in Revision gehen. Er will nun versuchen, sein auch ein Jahr nach der Entlassung aus der Psychiatrie noch immer ungeordnetes Leben zu regeln. „Man muss sein Leben etablieren, muss sehen, dass man im Beruf Fuß fasst“, sagt er nach dem Urteil.

Er habe mehrere Jobangebote, berichtet der gelernte Mechaniker, der früher Luxusautos restaurierte. Konkret sagt er aber nichts, weder zur Arbeitsplatzfrage noch zu seinem künftigen Wohnort. Am liebsten würde er in seine Heimatstadt Nürnberg zurückkehren, aber da gebe es ja noch die Kreise um seine Ex-Frau, sagt er vieldeutig.

Eine diffuse Angst scheint Mollath umzutreiben – und auch das Gefühl, von Ungerechtigkeit und Verschwörung umgeben zu sein. Das Ende des Prozesses wollte er bei einer Bekannten in Taufkirchen bei München feiern. Die Frau sei gerade aus der Forensik entlassen worden. Wie er sei sie dort jahrelang einfach festgehalten worden, beklagt Mollath.

So funktionieren Wiederaufnahmeverfahren

Wiederaufnahmeverfahren haben das Ziel, rechtskräftige Gerichtsurteile nachträglich zu überprüfen. Tauchen zum Beispiel neue Zeugen oder das Ergebnis einer DNA-Untersuchung erst auf, nachdem das Urteil rechtskräftig geworden ist, kann dieses nur noch durch ein Wiederaufnahmeverfahren abgeändert werden.

Auch schwere Verfahrensmängel oder Straftaten, die Einfluss auf das Urteil haben konnten, sind Wiederaufnahmegründe. Das ursprüngliche Verfahren wird dann wiederholt. Deshalb muss auch wieder dieselbe Anklageschrift wie im ersten Prozess verlesen werden.

Bei einem Wiederaufnahmeverfahren zugunsten eines Angeklagten kann der Angeklagte zu keiner höheren Strafe verurteilt werden. Da Gustl Mollath im ersten Prozess 2006 wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde, war ihm auch im Wiederaufnahmeverfahren ein Freispruch sicher, auch wenn das Gericht ihn am Donnerstag für schuldig hielt, seine damalige Ehefrau misshandelt zu haben.

2012 gab es laut Statistischem Bundesamt im deutschen Strafrecht 908 Wiederaufnahmeverfahren zugunsten eines Angeklagten und 566 zuungunsten eines Angeklagten. Das Verfahren ist an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft. Am Ende können Verteidigung und Staatsanwalt gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen. Nicht nur im Straf-, sondern auch in allen anderen Gerichtsverfahren gibt es die Möglichkeit zur Wiederaufnahme.