Der Strafverteidiger Gerhard Strate hat die Freilassung von Gustl Mollath und den Prozess gegen die HSH-Vorstände erstritten. Den 63-Jährigen treiben vor allem knifflige Fälle an.

Hamburg. Ein Altbau am Holstenwall, nicht zu protzig, aber schick genug, um die Exklusivität der Anwaltskanzlei zu betonen. Hier residiert Gerhard Strate, und der Weg zum Hamburger Star-Verteidiger führt über einen gesicherten Aufzug. Zunächst muss die Sekretärin Besucher anmelden und eine Security-Karte durchziehen, erst dann setzt sich der Lift in Bewegung.

Oben angekommen, verschlägt es einem fast den Atem. Rechter Hand erstrecken sich die Regale einer Privatbibliothek mit unzähligen Büchern. Wer nach links geht, betritt einen Raum, der das Etikett Büro kaum verdient. Ein Panoramafenster bietet eine grandiose Aussicht auf die Dächer der Neustadt, in der Ferne schimmert grünlich der Rathausturm. An den Wänden hängt zeitgenössische Kunst neben einem Audrey-Hepburn-Poster, das wiederum neben einem Porträt des Dichterfürsten Goethe hängt. Der Schreibtisch quillt über von Akten und Dokumenten.

Was will einem dieser wilde Stilmix bloß sagen? Dass hier jemand arbeitet, der durch und durch chaotisch ist? Oder hat dieser jemand die Einrichtungsdetails mit Bedacht so arrangiert, dass man ihn für einen vielseitig interessierten, mit Sicherheit aber nicht eindimensionalen Menschen halten muss?

Gerhard Strate, ein kleiner Mann mit grauen Haaren und runder Brille, sitzt hinter seinem Schreibtisch. Gerade steht er mal wieder bei den Medien hoch im Kurs, weil er die Freilassung von Gustl Mollath erstritten und ein Wiederaufnahmeverfahren beim Landgericht Regensburg durchgesetzt hat. Kaum hatte das OLG Nürnberg die spektakuläre Entscheidung verkündet, sprach Strate von einer „Wiederherstellung des Rechtsstaates in Bayern“. Der Mann weiß genau, wie er griffige Schlagzeilen generieren kann.

Es fällt schwer, sich dem Charme des 63-Jährigen mit der kratzigen Brummstimme zu entziehen. Zwischendurch lacht er immer wieder spontan auf. Ein herzliches Lachen, das eine Zahnlücke entblößt, die ihn sehr jungenhaft und irgendwie schlitzohrig erscheinen lässt. Auch für einen zotigen Herrenwitz ist sich der im thüringischen Zella-Mehlis geborene Strate nicht zu schade.

Er wirkt dann ein bisschen hemdsärmelig, aber das mag auch der Koketterie geschuldet sein, mit der er vertraulicher, ein bisschen weniger unnahbarer daherkommen möchte. Dabei zählt zu seinen selbst von Gegnern nicht bestrittenen Talenten neben der messerscharfen Analyse vor allem die genaue Beobachtung und die skeptische Distanz. Nicht unbedingt der Herrenwitz.

Und nun hat es Gerhard Strate mal wieder geschafft: Er hat dem berühmtesten Zwangsuntergebrachten der Republik zu einem Sieg gegen die Justiz verholfen. Er hat ein scheinbar aussichtsloses Verfahren komplett gedreht. Sein Mandant, der vermeintlich gemeingefährliche Gustl Mollath, hat am Dienstag nach sieben Jahren die Psychiatrie in Bayreuth verlassen dürfen und bekommt nun eine zweite Chance.

Quasi nebenbei hat das OLG Nürnberg die Richter des Landgerichts Regensburg düpiert. Erst vier Wochen zuvor hatte die siebte Strafkammer den Wiederaufnahmeantrag von Mollath als unbegründet abgewiesen. Für Strate war das nur ein weiterer Beleg für eine „nicht enden wollende Folge von Rechtsbeugungen“ in Bayern. Unmittelbar nach der Entscheidung rechnete er denn auch mit den Richtern ab, sprach von einer „schallenden Ohrfeige“ und einem „Tadel im Klassenbuch“.

So süffisant teilt Strate aus, wenn ihm ein Fall persönlich am Herzen liegt. Im Fall Mollath konnte er das Unrecht förmlich mit den Händen greifen. Der Hamburger Jurist hatte den Franken Ende 2012 kennengelernt, er war angetan von der Klarheit des 58-Jährigen, der „am Ende eines Satzes noch wusste, was er am Anfang gesagt hat“.

Kaum hatte sich Strate in die Akten vergraben, sei er einer Aneinanderreihung von Rechtsbrüchen gewahr geworden. Der Jurist war sich sicher, dass er Mollath rasch aus der Psychiatrie würde loseisen können, hatte aber die Fährnisse des bayrischen Justizsystems unterschätzt. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich acht Monate mit so harten Bandagen kämpfen muss.“ Er hat sich dann in den Fall regelrecht verbissen. Wie in so viele andere. Ein Fall, der Strate besonders beschäftigt hat, den er über Jahre zäh und unnachgiebig verfolgte, spielte indes zunächst außerhalb des Gerichtssaals. Nach Hinweisen auf ein zwielichtiges Milliardengeschäft unter dem Namen „Omega 55“ ermittelte er auf eigene Faust gegen den früheren Bankvorstand der HSH-Nordbank. 2009 schließlich beschäftigte sich auf seine Strafanzeige hin die Hamburger Staatsanwaltschaft damit.

Strate errang für Kindsmörderin Monika Weimar zuerst einen Freispruch

Sechs Top-Manager, darunter Ex-HSH-Chef Dirk Jens Nonnenmacher, müssen sich deshalb wegen schwerer Untreue vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Der Prozess hat schon jetzt Geschichte geschrieben – es ist das erste Mal, das sich in Europa ein kompletter Bankvorstand wegen eines vergeigten Milliardendeals vor Gericht verantworten muss. Unerträglich sei für ihn die Vorstellung gewesen, dass die Verantwortlichen „Milliarden von Euro auf Kosten des Steuerzahlers“ versenkt hätten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, sagt er. Besucht hat er die Verhandlung aber bisher noch nicht. „Ich hatte etwas anderes zu tun“, sagt Strate schelmisch.

Den 63-Jährigen treiben vor allem knifflige Fälle an. Gegner schätzen und fürchten seinen Scharfsinn und seine Fähigkeit, Detailwissen auch in hochkomplexen Zusammenhängen zielgerichtet einzusetzen. Ein intensives Aktenstudium schreckt ihn nicht, es gehört für ihn zum Handwerk des Strafverteidigers. „Die Aufgabe des Juristen ist es, Komplexität zu reduzieren. Zu komplizierte Fälle gibt es nicht“, sagt er.

Strate hat Burim Osmani, der nicht gerade als ehrbarer Kaufmann in Hamburg beleumundet war, den Terrorverdächtigen Mounir al-Motassadeq und die letzte deutsche Kiez-Größe Ringo Klemm vertreten, alles große Prozesse. Und er hat die als Kindsmörderin verurteilte Monika Weimar verteidigt. Strate erreichte die Wiederaufnahme.

Es folgte ein Freispruch – und dann erneut die Verurteilung. Wie sein Kollege und Duz-Freund, der Hamburger Kachelmann-Anwalt Johann Schwenn, gilt Strate als Spezialist für Wiederaufnahmeverfahren. Letztere kommen in der juristischen Praxis so gut wie nie vor, sondern werden nur unter strengsten Voraussetzungen angeordnet. Im Fall Mollath etwa war das „Haar in der Suppe“ eine unechte Urkunde, die vom Landgericht Regensburg zuvor als echt eingestuft worden war.

Auf Strates Schreibtisch türmen sich etliche rote Kladden. Es gibt reichlich zu lesen, Akten zu durchwühlen, Widersprüche aufzutun. Er zieht eine Zigarette, Marke Camel, nach der anderen durch. Bis zu 30 raucht er täglich. Eine ganze Reihe von Etiketten trägt er mit sich herum – Star-Anwalt, Top-Verteidiger, Dr. Iur.hc. oder auch „Quälgeist der Justiz“ („Die Zeit“). Für Strate klingt Letzteres wie ein ehrbarer Titel.

Auch wenn er gutes Geld verdient und man sich Strate inzwischen leisten können muss – er hat etwas von einem Punk in Robe. Strate verteidigt am liebsten Unsympathen, frei nach dem Motto seines Vorbilds, der amerikanischen Anwaltlegende Alan Dershowitz: „Je unsympathischer, desto besser.“ Nicht selten geht der notorische Zweifler, der es immer ganz genau wissen will und lieber ein Gutachten mehr als zu wenig verlangt, den Richtern auf die Nerven. Für Strate ist die Strafprozessordnung seine stärkste Waffe.

Einem Sammler hat er einst Kennedys erste Kreditkarte aus Pappe abgekauft

Das war nicht immer so, zeitweilig zog es Strate in die Politik. In den 80er-Jahren saß er für die GAL in der Deputation der Justizbehörde, als Student war er Mitglied im Kommunistischen Studentenverband, und Anfang der 90er-Jahre wurde er sogar als Kandidat für den Posten des Hamburger Justizsenators gehandelt. Doch seine bevorzugte Arena ist das Gericht, Strate kann hier mehr bewegen. Er gilt als hartnäckig und unnachgiebig, als jemand, der einen Fall nicht verloren gibt. Diese Leidenschaft am „Hauen und Stechen“ teilt er mit anderen renommierten Hamburger Strafverteidigern wie Johann Schwenn oder Uwe Maeffert.

„Ich wollte meiner Mutter damit eine Freude machen, dass ich etwas Solides studiere“, sagt Strate und lacht. Zudem ließ sich mit einem Abschluss in Rechtswissenschaften Eindruck schinden, etwa bei der Freundin aus Prag, deren Vater Chef des höchsten tschechischen Gerichts gewesen sei.

Nicht weniger als die Klassiker in seiner Privatbibliothek faszinieren ihn die Vereinigten Staaten, wo er jedes Jahr Urlaub macht. Überall im Büro hängen Porträts und Bilder des von Strate hochverehrten John F. Kennedy. Einem Sammler hat er einst sogar JFK’s erste Kreditkarte aus Pappe abgekauft.

Wenn Strate sich nicht mit Kennedy, Kunst oder Klassikern beschäftigt, greift er zu Pfeil und Bogen. Als Jugendlicher war er mal Landesmeister im Bogenschießen. Passt ja irgendwie: spannen, das Ziel anvisieren, ins Schwarze treffen. Dazu braucht es neben scharfen Augen, eine ruhige Hand, aber vor allem Training und Talent. Wer ein guter Schütze werden will, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, wenn es nicht gleich hundertprozentig klappt.

Dass Strate einen langen Atem hat, hat er oft bewiesen. Fünf Verfahren sind in der Causa Mollath noch offen, Strate will die Verantwortlichen vor Gericht bringen – und wird nicht ruhen, bis Mollath vollständig rehabilitiert ist.