Rund 3,5 Millionen Menschen in Deutschland verabreden sich im Internet zu ungezwungenem Sex. Die Betreiber von Sex-Portalen verzeichnen steigende Nutzerzahlen. Das Ziel: online kennenlernen, sich auf einen Drink an der Bar treffen – und dann ab aufs Hotelzimmer.

München. Das kann es doch noch nicht gewesen sein, dachte sich Gabriele – und zog aus der bayerischen Provinz nach Berlin. Nach dem Tod ihres Mannes, mit dem sie „eine glückliche, eine aktive Ehe“ führte, wollte sie sich nicht zufriedengeben damit, Liebe, Lust und Leidenschaft auf Nimmerwiedersehen zu sagen. Gabriele ist 69 Jahre alt, auch wenn sie mindestens 15 Jahre jünger aussieht – und sie tummelt sich auf einer Internet-Plattform, in der es vor allem um eines geht: Sex.

Gabriele hat sich die Fingernägel rot lackiert, sie sitzt auf dem Sofa eines Münchner Fünf-Sterne-Hotels, in das die Betreiber eines Sex-Portals geladen haben. Gabriele lacht laut und sagt: „So alt kann ich gar nicht werden, dass nix mehr geht.“ In ihrem Alter aber sei es gar nicht so einfach, einen Mann kennenzulernen. Ihre Tochter brachte sie auf die Idee, im Internet nach einem Mann zu suchen. Erst probierte sie es in einer braveren Variante der Partnerbörse – irgendwann entdeckte sie die erotische Version für sich. Frei nach dem Motto: „Mr. right now“ statt „Mr. Right“.

Online-Verabredungen zu ungezwungenem Sex in der echten Welt werden nach Angaben der einschlägigen Portale immer beliebter. Beim großen deutschen Sex-Portal „C-Date“ sind es nach Angaben auf der Homepage 25 000 neue Mitglieder am Tag. Das Portal „Secret“, ein Ableger des braveren „Friendscout 24“, hat nach Betreiberangaben vom Mittwoch rund 160 000 aktive Nutzer – und pro Tag kommen 2000 dazu. Laut Singleboersen-vergleich.de, einem nach eigenen Angaben unabhängigen Vergleichsportal, sind in Deutschland rund 3,5 Millionen Menschen auf oft kostenpflichtigen Seiten unterwegs, bei denen es vor allem um das Eine geht.

„Wir sind die Hennen im Korb“

Dieser Trend, den Experten „Casual Dating“ (ungezwungenes Treffen) nennen, ist vor allem ein männlicher. Wie Marion Modes von „Secret“ sagt, bekommen Frauen noch immer anerzogen: „Du bist eine Schlampe, wenn Du so was machst.“ Rund 70 Prozent der Mitglieder in einschlägigen Portalen sind nach Angaben von Singleboersen-vergleich.de Männer, viele davon sind verheiratet. „Wir sind die Hennen im Korb“, sagt Gabriele und lacht wieder.

„Die Menschen haben heute weniger Vertrauen in den Zufall und hoffen durch eine geordnete Auswahl auf eine höhere Trefferquote“, erklärt Professor Dieter Naber den Trend zum Online-Dating. Er ist Chef der Psychiatrie im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) in Hamburg, die einen Schwerpunkt Sexualforschung hat.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer sieht dabei durchaus auch ein Gefahrenpotenzial – wenn eine Frau vor einem Treffen beispielsweise zu viel von sich preisgibt. „Sexting kann zum Problem werden“, sagt der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) und berichtet von diversen Fällen, in denen Frauen von ihrem Chat-Partner mit Nacktfotos erpresst wurden.

Ingesamt gilt für Pfeiffer aber: So lange vor allem Frauen sich daran halten, für das erste Date nicht die eigenen vier Wände und ein einsames Waldstück auszusuchen, könne bei Verabredungen in der virtuellen Welt auch nicht viel mehr passieren als in der echten. „Es gibt einzelne Fälle, in denen die Dinge ganz fürchterlich enden, aber das kann auch in einer Disco passieren, wenn man sich im Halbdunkeln auf jemanden einlässt.“

Vor Enttäuschungen ist natürlich niemand gefeit – das weiß auch Gabriele, die sich mit den Sex-Dates eigentlich nur die Zeit vertreibt, bis sie doch einen festen Partner gefunden hat. „Ich wünsche mir einen gestandenen Mann in meinem Alter, aber das ist gar nicht so einfach.“