Hamburg. Am 1. März schließen sich Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt und der Altkreis Parchim dem Mega-Verbund im Norden an.

Gerade hat man sich an die höhere Geschwindigkeit gewöhnt, der Wagen rollt mit gut 120 Stundenkilometern zügig dahin. Rechts und links Felder, in der Ferne die Harburger Berge. Die Autofahrt von Stade nach Hamburg wäre ein Katzensprung – stünde in der Höhe von Jork nicht dieses schnöde Schild, das auf das Ende der Autobahn 26 hinweist. Jetzt beginnt die Ochsentour über die Dörfer.

Das könnte längst anders sein. Aber: „Der frühere Hamburger Bausenator Eugen Wagner wollte die A 26 nicht“, sagt Michael Roesberg, seit 2006 Landrat des Landkreises Stade. Deshalb habe es bis kurz nach der Jahrtausendwende gedauert, bis der Bau der Trasse begann.

Seit 1992 arbeitet Michael Roesberg in der Verwaltung von Stade. Er gehört sicher zu den größten Anhängern einer engen Zusammenarbeit zwischen den Landkreisen und Kommunen des „Speckgürtels“ und der Hansestadt Hamburg. „Ich kann Scholz, Horch oder Rieckhof direkt anrufen, wenn es ein Problem gibt“, sagt er. Der Hinweis auf die guten persönlichen Kontakte zum Hamburger Bürgermeister, zum Wirtschaftssenator oder zum Verkehrsstaatsrat klingt weiter weniger eitel, als man meinen würde.

Eine Kopie des Staatsvertrags der Metropolregieon Hamburg.
Eine Kopie des Staatsvertrags der Metropolregieon Hamburg. © dpa

Auf Augenhöhe reden

Vielmehr ist Roesberg sich sicher: „Der Erfolg einer Metropolregion Hamburg hat vor allem damit zu tun, dass man auf Augenhöhe miteinander redet.“ Einmal im Jahr treffen sich alle Landräte aus dem Verbund mit Olaf Scholz. „Ganz ohne Tagesordnung – und jedes Thema kann angesprochen werden“, sagt Roesberg. „Das allein ist durch die Metropolregion möglich.“

Allerdings weiß auch er: Ohne konkrete Ergebnisse für die etwas mehr als fünf Millionen Menschen, die in ihr leben, sind all die politischen und administrativen Anstrengungen bedeutungslos. „Was bringt die Metropolregion für die Bürger? Die Antwort auf diese Frage entscheidet am Ende über das Wohl und Wehe der Region.“ Und während Roesberg aus dem Fenster seines Büros schaut, fällt einem wieder die A 26 ein. Mitte der 20er-Jahre soll der westliche Teil, der Stade mit der A 7 verbindet, endlich fertig sein.

Auch Parchim dabei

Verbindungen schaffen, sich als eine Region verstehen – diese Werte werden die Regierungschefs von Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg am kommenden Montag betonen. Dann, wenn Erwin Sellering, Torsten Albig, Stephan Weil und Olaf Scholz (alle SPD) im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses die Erweiterung der Metropolregion besiegeln werden. Am 1. März stoßen nämlich Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin und der Altkreis Parchim zu dem Verbund dazu. Dieser erstreckt sich dann in Nord-Süd-Richtung von Fehmarn bis Schwarmstedt im Heidekreis über 189 Kilometer und in West-Ost-Richtung von Wremen im Landkreis Cuxhaven bis zum Plauer See über 209 Kilometer.

Auch der Altkreis Parchim gehört jetzt dazu, hier das Rathaus in Sternberg
Auch der Altkreis Parchim gehört jetzt dazu, hier das Rathaus in Sternberg © Edgar Hasse

Es wird allerdings nicht nur eine flächenmäßige Erweiterung der Metropolregion geben. Zu Hamburg als Metropole und den 17 Landkreisen sowie vier kreisfreien Städten kommen zehn Kammern, der Unternehmerverband Nord und der Deutsche Gewerkschaftsbund hinzu. Das, so erwarten vor allem Vertreter der Wirtschaft, soll das bisherige Verwaltungskonstrukt effizienter und bürgernäher machen. Kritiker hingegen fürchten, dass demokratisch nicht legitimierte Kräfte wie Wirtschaftsverbände oder Gewerkschaften die Stoßrichtung der Metropolregion künftig in ihrem Sinne beeinflussen könnten.

300.000 Pendler

Wie dem auch sei: Im Herzen seiner Einwohner ist die Metropolregion noch längst nicht angekommen. Und das, obwohl täglich fast 300.000 Menschen aus dem Speckgürtel nach Hamburg zur Arbeit pendeln, obwohl Hunderttausende Bewohner des Umlands das kulturelle und sportliche Angebot der Hansestadt ganz selbstverständlich nutzen, obwohl die Natur in den Nachbarkreisen Ziel vieler Hamburger zum Entspannen und Durchatmen ist.

Man muss am Wochenende nur einmal in die Fischbeker Heide fahren, um zu erleben, wie viele Hamburger sich auf den Wanderwegen tummeln. Oder in den Sachsenwald, nordöstlich von Hamburg gelegen, der vor allem im Herbst seine Pracht entfaltet.

Eine Umfrage über den Bekanntheitsgrad der Metropolregion und ihrer Bedeutung für ihre Einwohner gebe es nicht, sagt Marion Köhler, Sprecherin der Geschäftsstelle. Zum Glück, möchte man hinzufügen. Bei aller Weltoffenheit und Internationalität spielt nach wie vor ihre regionale und lokale Verwurzelung für die Menschen eine größere Rolle als der eher vom Standortmarketing geprägte Begriff „Metropolregion“.

Ein Grund dafür, dass die Menschen sich kaum mit ihm identifizieren, dürfte in den Anfängen des Verwaltungskons­trukts liegen. Zwar erkannten Politik und Verwaltung bereits in den 1920er-Jahren die wirtschaftlichen Chancen, die in einem Miteinander der Stadt Hamburg und der sie umgebenden preußischen Provinzen lagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, der Sozial-demokrat Hermann Lüdemann, der vorschlug, Schleswig-Holstein, Hamburg und die Gemeinden südlich der Elbe zu einem Bundesland Unterelbe zu vereinigen.

Gehört längst zur Metropolregion: Lüneburger Heide
Gehört längst zur Metropolregion: Lüneburger Heide © picture alliance | SPA

Mit Gegenwind rechnen

Doch der Widerspruch war heftig. Hamburg hielt den Wiederaufbau des Hafens nach Kriegsende für wichtiger. Die Länder und dabei vor allem die Landräte trieb die Sorge vor der Sogkraft Hamburgs um, die eigenen Interessen schaden könnte. Heute weiß jeder Politiker: Immer an den Nordstaat denken, aber niemals darüber reden. Wer es dennoch tut wie der frühere CDU-Bürgermeister Ole von Beust oder der ehemalige SPD-Landesvorsitzende Mathias Petersen, muss mit Gegenwind rechnen.

Womöglich trägt auch die Geschichte der Hansestadt als freie Republik, die sich in den Jahrhunderten des Absolutismus erfolgreich gegen alle Einverleibungsversuche behauptete, zu dem Widerwillen bei, Teile der Eigenständigkeit aufzugeben. „Hamburg als schönste Stadt der Welt“ meint natürlich auch ihre unmittelbare Nähe zum Meer, den leichten Zugang zu der lieblichen Landschaft der Lüneburger Heide und die schier unendliche Weite Schleswig-Holsteins. Und doch sieht der Hamburger – zumindest vom Gefühl her – sich am ehesten als Hamburger.

Eine engere Zusammenarbeit entwickelte sich seit den 50er-Jahren bei der Lösung praktischer Probleme. Die Abfallentsorgung stellte den Stadtstaat vor große Herausforderungen. Die Planung von Autobahnen und überregionalen Straßen setzte die Verständigung mit den Anrainern voraus. Die Siedlungsentwicklung entlang der Verkehrswege – in Hamburg wird seit 100 Jahren vom Achsenkonzept gesprochen – verlangte danach, dass die Planungsbehörden miteinander redeten. Dass alles war und ist sehr technisch und notwendig – und dennoch für viele Bürger kaum fassbar.

Verluste nicht ausgeglichen

In den 70er-Jahren geriet Hamburg in einen umfassenden Strukturwandel und musste zugleich erleben, wie die Umlandgemeinden ökonomisch aufblühten. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass Lohn- und Einkommenssteuer der Pendler nicht mehr am Arbeits-, sondern am Wohnort erhoben wurden. Für Hamburg bedeutete jeder Arbeitnehmer, der ins Umland zog, eine Schwächung der eigenen Finanzkraft. Die im Länderfinanzausgleich vereinbarte „Besserstellung“ eines Hamburger Einwohners glich diesen Verlust nicht mehr aus.

Dass trotz des ökonomischen Drucks die Metropolregion weit weniger zusammenrückt(e) als geboten, hat mit einer Gegenströmung zu tun, die man nicht unterschätzen darf. In Zeiten der Globalisierung gewinnt für die Menschen die kulturelle Identität ihres Landstrichs an Bedeutung. Heimat ist längst weit mehr als Blut und Boden. Viele Menschen sind beides: weltoffen und heimatliebend.

Hamburgs Vorrecht

Zwar hat die Metropole Hamburg längst ihr Vorrecht verloren, „modern“ zu sein. Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann, Toleranz gegenüber Migranten, ein vorurteilsfreier Umgang mit Homosexualität – all das ist auch „auf dem Lande“ inzwischen selbstverständlich. Im Gegensatz zur Stadt haben sich hier jedoch familiäre Strukturen und die Verbundenheit mit der eigenen Scholle erhalten. So mancher Landrat – ausgestattet mit weitgehenden Planungsrechten – schöpft auch daraus sein Selbstbewusstsein, wenn es darum geht, mit „denen aus Hamburg“ zu verhandeln.

Inzwischen wächst Hamburg wieder. Doch noch immer ziehen jedes Jahr mehr Menschen von Hamburg ins Umland als umgekehrt. Der absolute Einwohnerzuwachs der Hansestadt ergibt sich aus der Fernwanderung. Angesichts der weltweiten Konkurrenz von Metropolen wächst der Druck auf Hamburg und Umlandkreise, sich zusammenzutun – vor allem aber bürokratische Hemmnisse abzubauen.

Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Zusammenarbeit zwischen Hamburg und seinen Nachbarn intensiver geworden. 1996 wurde das regionale Entwicklungskonzept beschlossen. Seitdem sprechen die Verantwortlichen offiziell von der Metropolregion. „Es geht nicht darum, den Zusammenschluss der Länder voranzutreiben“, sagt Sprecherin Köhler. Stattdessen sollen eine Identität und ein Gefühl für gemeinsame Ziele entwickelt werden. „Freiwilligkeit“ und „Konsens“ sind dabei wesentliche Kriterien der Zusammenarbeit.

600 Millionen Euro

Mehr als 50 Projekte hat die Metropolregion Hamburg in den vergangenen 20 Jahren zur Entwicklung der Region umgesetzt. Dafür stehen jedes Jahr 2,7 Millionen Euro zur Verfügung – sehr wenig Geld, wenn man bedenkt, dass Hamburg allein für Unterbringung und Inte­gration von Flüchtlingen in den vergangenen beiden Jahren jeweils rund 600 Millionen Euro zur Verfügung stellte.

Auch Marion Köhler weiß, dass die Bürger von dem Wirken der Metropolregion nicht so viel wahrnehmen wie gewünscht. Sie verweist auf Projekte im Tourismus und in der Naherholung, auf Verbesserungen für Pendler bis hin zu der vor wenigen Tagen vorgelegten Studie über künftige Radschnellwege.

Die sogenannte Ahrensburger Liste, in der die norddeutschen Länder ihre Verkehrsprojekte bündelten, um mehr Geld vom Bund zu bekommen, wäre ohne die Verständigung in den Gremien des Verbundes nicht gekommen. Das gemeinsame Statistische Landesamt oder das Hanse-Office sind ebenfalls Ausdruck der engeren Kooperation – und letztlich zum Nutzen der Bürger.

Hans-Jörg Schmidt-Trenz, noch Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg
Hans-Jörg Schmidt-Trenz, noch Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg © dpa

Wo Lob für die Metropolregion ist, ist auch Kritik. Letztere mehrt sich in der Wirtschaft. „Es gibt keinen Grund, uns die Welt schönzureden!“, befand Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, im Januar bei der Vorstellung eines Standpunktepapiers. Hamburg habe im Wettbewerb mit den sechs anderen deutschen Großstadt-Regionen keinen Boden gutmachen können.

Vor allem die Bürokratie verärgert Wirtschaft und Bürger gleichermaßen. Wer als Pendler in der Hansestadt arbeitet und einen neuen Ausweis benötigt, muss sich einen Tag frei nehmen und in die nahe Kreisstadt fahren. In Hamburg einen Ausweis zu beantragen sei für Einwohner aus dem Landkreis Stade oder Pinneberg unmöglich, sagt Dierck Süß, Chefvolkswirt der Handelskammer. „Unternehmen, die einen Gefahrguttransport planen, müssen in jedem Bundesland eine Genehmigung beantragen.“

Dass es besser geht, zeige der Öffentliche Personennahverkehr, sagen Süß und Stades Landrat Michael Roesberg. Im Einzugsbereich des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) gilt ein gemeinsamer Tarif, Umsteigezeiten sind mehr oder weniger aufeinander abgestimmt. „Der HVV ist ein Beispiel für eine stark integrierende Wirkung der Metropolregion“, sagt Süß und fügt hinzu: „Viele Menschen setzen den Geltungsbereich eines HVV-Tickets mit der Metropolregion gleich.“

Land und Stadt

Ein weiteres Spannungsfeld ist der Wohnungsbau. Obwohl gerade die Notwendigkeit, neue Siedlungsgebiete untereinander abzustimmen, zu den Urgründen für eine Metropolregion gehörte, kann bis heute von einer abgestimmte Wohnungsbaustrategie keine Rede sein. „Jeder plant für sich“, sagt Süß. Während Hamburg darauf setzt, bei Neubauprojekten stets auch Sozialwohnungen zu errichten, tun Landkreise sich schwer damit. Auch Geschosswohnungsbau ist auf dem Land nicht so wohlgelitten wie in der Stadt.

Für die Hamburger bedeutet dies vor allem Verdichtung der Stadt und Wegfall von wertvollen Grünflächen. 10.000 Wohnungen pro Jahr will die Hansestadt errichten und muss – wie Bausenatorin Dorothee Stapelfeldt meint – dafür an seine „grüne Reserven“ gehen. Jenseits der Stadtgrenze hingegen gibt es Flächen im Überfluss. Stades Landrat sieht das nicht ganz so dramatisch. „Es braucht nicht eine einheitliche, sondern eine abgestimmte Planung“, sagt er. „Wir wissen schon, welche Art Wohnungen unsere Menschen nachfragen.“

Stades Landrat Michael Roesberg kennt aus eigenem täglichen Erleben, dass die Menschen bei der Wahrnehmung der Metropolregion zuallererst die Frage nach dem Nutzen und erst dann die nach einem gemeinsamen Lebensgefühl stellen. „Die Nähe zu Hamburg bedeutet für jeden der rund 30.000 Pendler aus unserem Kreis zunächst die Herausforderung, wie er am besten in die Stadt hineinkommt.“ Fragen des Alltags werden so – vor allem wenn sie als Pro­blem erlebt werden – zum wichtigsten Kriterium für eine Metropolregion.