Junge Menschen interessieren sich wieder für Politik, sagen Soziologen und die Jungen selbst. Sie gehen auf Demonstrationen, treten Parteien bei und arbeiten in Entwicklungsländern. Auch in Hamburg leben viele “Multi-Aktivisten“, die versuchen, die Welt besser zu machen. Eine Beobachtung.

Vom Dach des Sozialzentrums trägt der Wind Gitarrenklänge auf die staubigen Straßen herunter. Ein wenig schief klingen einige Töne. Kinder kichern fröhlich. Sie sitzen oben auf dem grauen Betonrohbau und trommeln auf Dosen und Mülleimern; auf selbst gebastelten Percussion-Instrumenten spielen sie. Den Takt gibt eines der Kinder mit einer reisbefüllten Plastikflasche vor. Für kurze Zeit vergessen die Kids, dass sie am Rande der Gesellschaft leben, in Guasmo, einem Elendsviertel in einer der ärmsten Gemeinden Guayaguils in Ecuador. Einem Ort, an dem Hoffnungslosigkeit, Rebellion und Groll das Leben dominieren. An dem es kaum Freizeitangebote gibt und Talente selten erkannt werden. Guasmo hat die Hamburgerin Magdalena Abrams vor vier Jahren in seinen Bann gezogen und seitdem nicht wieder losgelassen. Abrams ist 23 Jahre alt und Musikstudentin. In Ecuador hat sie damals ein soziales Jahr gemacht.

Angeblich steht es nicht gut um Deutschlands Jugend. Konsumistisch soll sie sein, hedonistisch und nicht am Gemeinwohl interessiert. Aber auch pragmatisch, zielorientiert und ehrgeizig. Jugendliche sind lieber Hauptpersonen in einem Film. Ihrem eigenen. Das ist das gängige Klischee, das ist der Vorwurf. Aber es sind Tausende von Schülern, die in Hamburg und anderswo auf die Straße gehen, wenn sie mit den Entscheidungen der Bildungspolitiker nicht einverstanden sind. Und es sind Tausende von jungen Menschen, die nach Gorleben fahren und gegen den Castortransport und Atomkraft demonstrieren. Laut einer aktuellen Untersuchung der Bundesregierung engagieren sich außerdem zwei Drittel aller jungen Menschen zwischen 14 und 24 ehrenamtlich. Und wo seit Mitte der 90er-Jahre das politische Interesse der Jungen kontinuierlich sank, ist jetzt eine Trendwende zu spüren: Die jetzt junge Generation schickt sich an, eine "Generation tu was" zu werden. Die Welt ist unübersichtlich geworden. Wo im postmodernen Anything goes jeder alles, aber auch nichts werden kann, wo niemand mehr qua Geburt einen Platz in der Gesellschaft findet und erst einmal schauen muss, wo er bleibt, sind persönliches Engagement, öffentliches Aufbegehren und politische Arbeit wieder hip.

Martin Helfrich sitzt in Saal B des Rathauses am Kopfende eines Tischvierecks. Ein Kronleuchter senkt sich von der gewölbten Decke, Hamburger Politiker blicken von alten Porträts. Weinroter Teppich, riesige Fenster, die Wände holzvertäfelt. Heute geht es um Klimaschutz und um Fahrradwege. Die Delegierten beratschlagen und stimmen ab, dann sagt Helfrich: "Hamburg muss viel mehr Geld für die Solarenergie ausgeben." Helfrich ist Vorsitzender des Umweltausschusses. Ein sehr junger Vorsitzender, er ist erst 16 Jahre alt. Im Hamburger Jugendparlament ist das kein Problem. Das tagt heute, mit 130 Teilnehmern. Ein bunter Haufen von Hamburger Schülern, dessen einwöchiges Treiben im Rathaus zeigt, wie "jung" Politik und Engagement sein kann, auch in der eigenen Stadt.

Magdalena Abrams sitzt derweil in der Cafeteria der Hochschule für Musik und Theater im Stadtteil Rotherbaum, nur ein paar Schritte von der Alster entfernt. Hier studiert die 23-Jährige Schulmusik mit Sonderpädagogik und Musiktherapie. Die roten Locken fallen ihr über die Schultern. Ihre Finger zupfen die bunt geringelten Pulswärmer zurecht, und dann erzählt sie. Von Guasmo. Davon, wie sie sich nach dem Abitur für ein freiwilliges soziales Jahr in Mittelamerika entschied. Für Arbeit mit Kindern, für Häuser bauen oder Brunnen graben, was immer gebraucht würde, wollte sie tun. Hauptsache, sie könnte sich mit dem Projekt identifizieren. Doch viele Organisationen wollten Geld dafür haben, dass sie dort aushilft. So begann sie, zu recherchieren und stieß auf "Mi Cometa", zu deutsch "mein Drachen". Das Projekt in Guasmo unterstützt die Entwicklung der Gemeinde und setzt sich für eine stärkere Bürgerbeteiligung ein.

Magdalena Abrams sollte junge Menschen mithilfe von Musikunterricht von der Straße holen. So weit so gut. Als sie in Guasmo ankam, musste sie gleich feststellen, dass es hier nichts gab. Keine Hilfe, keine Instrumente, keine finanzielle Unterstützung. Es gab nicht einmal eine Gruppe von Schülern, die sie hätte unterrichten können. Eigeninitiative und Improvisation waren gefragt. "Ich hängte Zettel mit Kursangeboten aus", sagt Magdalena Abrams. Was sie nicht bedachte: Die wenigsten Kinder dort können lesen. 40 Prozent gehen nicht zur Schule. Also sammelte sich Magdalena Abrams die Schüler kurzerhand von der Straße auf. "Ich fühlte mich alleingelassen", sagt Magdalena Abrams. Von der Organisation Mi Cometa, für die sie arbeitete, gab es kaum Hilfe. "Ich wollte schon aufgeben, als ein Schüler mir sagte, dass er jetzt wieder wüsste, warum er morgens aufstehe", erzählt Magdalena Abrams. "Da begriff ich, wie wichtig das Projekt ist." Für viele wurde die Musik zum Lebensinhalt.

Von dem Geld aus Auftritten und Spenden konnte sie neue Instrumente wie Schlagzeug, Bass und Verstärker kaufen. Ein enormer Motivationsschub. Bald gab es Bands, größere Konzerte, kontinuierliches Arbeiten. Als Magdalena zu einer dreiwöchigen Reise durch Ecuador aufbrach, lag das Projekt in den Händen der Jugendlichen. "Ich dachte, es würde alles drunter und drüber gehen", sagt sie. "Doch als ich zurückkehrte, empfingen sie mich mit einem Konzert." Das war der Moment, an dem der jungen Frau klar wurde, dass sie das Projekt nie aufgeben könnte.

Wieder zurück in Deutschland suchte sie Mistreiter in der Musikhochschule aus. "Musiker ohne Grenzen - wer hat Lust zu helfen?" stand auf Flugblättern, die sie verteilte. Zum Infoabend kamen mehr als 30 Leute. Die Geburtsstunde von "Musiker ohne Grenzen". "Damit hatte ich nicht gerechnet", sagt Magdalena, die gemeinsam mit ihrer Oma in Othmarschen lebt.

Seitdem reist jedes Jahr eine Gruppe von Studenten für vier bis sechs Wochen in die Musikschule in Guasmo, um das Projekt weiterzuentwickeln.

Wer etwas bewirken will, kann das auch in Poppenbüttel tun, findet Martin Helfrich, der in dem nördlichen Hamburger Stadtteil wohnt und dort bei den Jusos organisiert ist. Hier kann es schon reichen, dass immer Müll auf der Straße liegt, damit sich junge Leute für Umweltschutz engagieren wollen. "Fast alle Jugendlichen interessieren sich für Politik", behauptet Helfrich. Eine steile These, die der 16-jährige Gymnasiast, dann auch einzuschränken sucht - "es ist aber so, dass die meisten es beim Interesse bewenden lassen".

Die 130 Schüler, die vergangene Woche in der Bürgerschaft tagten, sind aktiv geworden. "Jugend im Parlament" ist ein Planspiel, in dem Jugendliche Debatten führen und am Ende einer Sitzungswoche dem Präsidenten der Bürgerschaft eine Resolution übergeben. Im Umweltausschuss begegnen die zwölf Schüler dem Vorsitzenden Martin Helfrich mit Respekt. Denn der ist bei den Jusos, der Nachwuchsorganisation der SPD, und deswegen schon ziemlich smart. Wenn Helfrich etwas verneint, dann sagt er: "Das stimmt ausdrücklich nicht." Er redet geschliffen, ist eloquent wie Politiker in Talkshows. Zu dem kindlichen Gesicht will das so gar nicht passen. Sein dunkelbraunes Haar liegt brav, er trägt Karopulli und Sakko, "um der Würde des Hauses zu entsprechen", wie Helfrich halb ernst, halb spöttisch sagt. Er ist für sein Alter vor allem eines: bemerkenswert selbstbewusst. Und er kokettiert gerne mit seiner Unverbrauchtheit, dann lobt er die Sitze des Plenarsaals und schiebt trocken hinterher: "Für manche Parlamentarier sind sie wohl zu bequem." Die Frechheit der Jugend, Version 2008 - so klingt sie. Helfrich begann sein politisches Engagement bei der Umweltorganisation Greenpeace. Seit anderthalb Jahren ist er bei den Jusos in Poppenbüttel, beim Bürgerschaftswahlkampf erstickte er fast in Arbeit. Er glaubt an die Wirkungsmacht der Jugend und sagt tatsächlich: "Nach den 68ern war Politik lange Zeit nicht so wichtig, bei uns Jungen ist sie es wieder."

Das Klagelied auf teilnahmslose Jugendliche wird immer wieder angestimmt. In den alle vier Jahre in Deutschland erscheinenden Shell-Studien, die ein Soziogramm der Jugend erstellen, wird stets dasselbe Bild gezeichnet: Junge Leute sind oft interessiert und nehmen gesellschaftliche Probleme wahr, sie haben allen Grund, zu rebellieren, bleiben aber passiv.

Mit der Studentenrevolte von 1968 muss sich jede nachfolgende Generation vergleichen lassen. Ende der Sechzigerjahre spielten viele Dinge eine Rolle. Die unheilvolle deutsche Geschichte, die Verstrickung der Eltern, der Vietnamkrieg, der in den Trümmern geübte Freiheitsdrang der Kriegskinder, der strukturelle Wandel der Gesellschaft. "Der Vergleich mit 1968 war immer schon unangebracht, damals war die gesellschaftliche Situation eine ganz andere", sagt Klaus Hurrelmann, Leiter des wissenschaftlichen Teams, das die Shell-Studie veröffentlicht. Hurrelmann beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Deutschlands Jugend, er weiß, wie sie denkt und fühlt, er sagt: "Die Jugend wird zunehmend wieder politischer, persönliches Engagement liegt im Trend." Es gebe eine Re-Politisierung der jungen Generation, "und das ist für unsere Gesellschaft sehr wichtig".

Der Bielefelder Soziologe, Jahrgang 1944, hat eine gänzlich andere Atmosphäre als noch vor einigen Jahren ausgemacht. Weil es Schlüsselerlebnisse gibt wie den Protest gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm im vergangenen Jahr, weil es die Möglichkeit gibt, Aktionen durchzuführen - wie zum Beispiel jetzt wieder in Gorleben -, weil es das Internet gibt, mit dessen Hilfe sich die "Generation @" vernetzt. "Die Jugendlichen wollen etwas erreichen und wirklich die Chance haben, etwas zu verändern."

Etwas verändern, darum geht es. Darum geht es Magdalena Abrams. Darum geht es den Castor- und Globalisierungsgegnern, die nach Gorleben und nach Heiligendamm fahren, und darum geht es Simon Wiegner. Wiegner ist Leiter eines Jugendparlaments. In Hamburg, im Stadtteil Horn. "Das ist ein Getto", sagt der 24-Jährige, er sitzt in einem Cafe an der Sievekingsallee unweit des Horner Kreisels. Hier geht es in Richtung Innenstadt, und selbst bei eisiger Kälte stehen welche da, die per Anhalter raus wollen. "Berlin" steht meistens auf ihren Pappschildern. Wiegner will nicht raus aus Hamburg, er fühlt sich ganz wohl in Horn. Seit acht Jahren setzt er sich gemeinsam mit Jugendlichen für die Belange von Jugendlichen ein. Schiebt Projekte an wie die Anlage für Inlineskater auf der Trabrennbahn, kümmert sich um Bolzplätze oder veranstaltet Aktionswochenenden, in denen Bewerbungstraining und Selbstverteidigungskurse angeboten werden. Das Jugendparlament ist bundesweit ein Pilotprojekt, das die jungen Horner an den demokratischen Entscheidungsprozessen des Stadtteils teilhaben lässt. "Wir entscheiden mit, wenn bei uns stadtpolitisch etwas beschlossen wird", sagt Wiegner mit Stolz in der Stimme. Das Jugendparlament, das alle nur "Jupa" nennen, hat Stimmrecht in den Ausschüssen und ein jährliches Budget von 10 000 Euro. "So sieht Politik aus", sagt Wiegner zufrieden. Er studiert Verfahrenstechnik in Bergedorf, ist ein recht kräftig gebauter junger Mann mit Kinnbart und dunklen Haaren. Eine blonde Strähne fällt auf. Er wird "Logge" gerufen, das ist Hamburgisch für "Locke". "Die Leute kennen mich - wegen meiner Frisur. Ich möchte mich nirgendwo zweimal vorstellen müssen", erzählt Wiegner und grinst. Wer aktiv ist und etwas für das Gemeinwesen tut, wird zu jemandem. Simon Wiegner ist auch in der Evangelischen Kirchengemeinde und bei den Pfadfindern. Das öffentliche Interesse am "Jupa" schmeichelt ihm, sogar Diplomarbeiten werden über das Jugendparlament geschrieben, und wenn in Horn Schulschließungen debattiert werden, spricht Wiegner in der Aula vor Schülern und Eltern. "Selbstbewusst war ich schon vorher", sagt Wiegner. Er verabschiedet sich mit festem Händedruck, dann zupft er sein T-Shirt zurecht.

Anne Peuckmann trägt ein kariertes Hemd, wenn sie bei Rewe in Niendorf arbeitet und sonst ganz normale Kleidung, die sie nicht bei H&M kauft. Sie ist 18 Jahre alt, und sie weiß, was sie will: ein bisschen Geld verdienen, um ihren Kontostand aufzubessern. Vor allem will Anne aber nach Marokko im nächsten Jahr, 15 Monate will sie dort in einem Frauenhaus arbeiten. 15 Monate, in denen sie Menschen helfen will, in denen sie etwas tut, was mit dem Wort "idealistisch" am besten beschrieben ist. "Ich mache nichts einfach nur, um einen schönen Lebenslauf zu haben", sagt Peuckmann. Sie ist das, was Soziologen eine "Multi-Aktivistin" nennen. Sie fährt nach Gorleben, um dort gegen den Castor-Transport zu demonstrieren, berät ehrenamtlich Migranten und Flüchtlinge. Sie setzt sich mit ihren Freunden vor Burger King auf die Spitalerstraße und wirbt für "Slowfood", alternatives Frühstück mit Biokuchen. Sie setzt sich angesichts des Kraftwerks in Moorburg in ein Kanu und bringt ein Transparent an der Lombardsbrücke an: "Die Jugend lässt sich nicht verkohlen" steht darauf geschrieben. Seit einem Jahr ist sie in der BUND-Jugend. Eine intelligente, junge Frau, die eine Klasse in der Schule übersprang und einen Abiturschnitt von 1,5 hinlegte. Sie ist ehrgeizig und zielstrebig und dabei ein Freigeist, einer, der nichts gibt auf Zensuren und Klischees. Während andere lieber Erfahrungen in Südamerika sammeln, will sie in ein muslimisches Land. "Weil vielleicht auch ich Vorurteile habe." Im Spätsommer war sie in Syrien, besuchte vier Wochen eine Sprachschule. Danach war sie zwei Wochen unterwegs. Allein. "Meine Eltern waren nicht begeistert", sagt Peuckmann und lacht.

Sie glaubt fest dran, dass Jugendliche etwas bewirken können, "sonst würde ich mich nicht engagieren". Aber wie alt jemand ist, sei ohnehin egal, "in Gorleben waren Menschen jeden Alters da, und alle waren kreativ - toll". Kreativität habe ihr in der Schule gefehlt. Die kritisiert sie ohnehin. "Schule erzieht nicht zu kritischem Denken und zu Protest", behauptet sie. Sie will keine Vorwürfe machen. Aber verantwortungsvoll leben, "das soll jeder, egal wo er sich mit seinen Fähigkeiten einbringt".

Klaus Hurrelmann, der Jugendforscher, nimmt die, die mit Politik nichts am Hut haben, in Schutz. "Das ist eine Reaktion auf die gesamtgesellschaftliche Lage, auf den desaströsen Arbeitsmarkt." Wer sich erst mal darauf konzentrieren müsse einen Job, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, sagt Hurrelmann, "dem fehlt die Kraft, sich anderswo zu engagieren".

Philipp Mißfelder hat schnell gemerkt, dass Engagement und Politik Spaß machen. Und außerdem Stunde um Stunde, Woche um Woche, Jahr um Jahr von der Zeit fressen, die andere für die schönste Zeit des Lebens halten. Von der Unverbindlichkeit der Jugend hat Mißfelder wohl wenig gekostet. Aber der 1979 in Gelsenkirchen geborene CDU-Politiker hat, wie er selbst sagt, nie an seiner Entscheidung gezweifelt, der Jungen Union beizutreten. Und er ist überzeugt, dass das Engagement ein Identifikationsmodell für junge Leute ist: "Junge Menschen interessieren sich seit einigen Jahren wieder stärker für Politik. Das Niveau in politischen Diskussionen mit Schülergruppen zum Beispiel ist sehr hoch, weil die Schüler intensiv das Internet für Recherchen nutzen." Im Hinblick auf seine eigene Vita weiß der Chef der Jungen Union, wie wichtig der politische Nachwuchs für die Parteien ist. "Sie leben davon, dass auch junge Menschen Politik machen wollen. Wir sind oft unbequem, weil wir unsere Positionen offen vertreten. Aber nur mit lauten Tönen geht es nicht, als junge Menschen müssen wir auch politische Substanz haben."

Mißfelder sitzt seit 2005 im Bundestag, und seit dieser Woche gehört er als jüngstes Mitglied aller Zeiten auch dem CDU-Präsidium an. "Ich werde mich weiter für die Interessen der jungen Generation starkmachen."

"Ich habe Unterricht als Folter empfunden", sagt Nico Semsrott. Trotzdem war er Schul- und Klassensprecher, Streitschlichter, machte Schülerzeitung, organisierte Schülerratsreisen und gestaltete die Schulhomepage. Seine Art der Auflehnung gegen das Schulsystem. "Ich bin süchtig danach, selber zu gestalten", sagt der 22-jährige Niendorfer.

Jugendengagement ist manchmal kurzlebig, weil alles in Bewegung ist. Das Leben kommt dazwischen. Jemand aus dem Projekt zieht in eine andere Stadt, der nächste steckt in Prüfungen oder beginnt ein Studium. Da kann ein Jahr Engagement in einem Projekt schon sehr lang sein. Semsrotts Erfahrung nach ist das Engagement punktuell auf ein Problem konzentriert. Ist das gelöst, sucht man sich ein neues Projekt.

Die theoretische Begeisterung bei jungen Menschen ist da. Was fehlt, sind positive Vorbilder, Wissen, Angebote und ein konkreter Rahmen. "Das Bildungssystem müsste die Beteiligung am Schulsystem erfahrbar machen", sagt Semsrott. Das bedeutet, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern Schüler mitgestalten zu lassen, indem man beispielsweise Schülervertretungen stärkt. "Jugendliche brauchen ein Selbstwirksamkeitserlebnis", sagt er. "Sie müssen den Eindruck gewinnen, Engagement lohnt sich."

Die jungen Menschen, die sich engagieren, bilden Netzwerke. Man kennt sich. Nico Semsrott und Kübra Yücel zum Beispiel. Die 20-jährige Deutsch-Türkin bildet gemeinsam mit Marie-Charlott Goroncy (21) die Chefredaktion des Jugendmagazins "Freihafen", einem 2005 ins Leben gerufenen Projekt der Jungen Freien Presse Hamburg. Semsrott war auch mal Mitglied.

Auch die beiden Frauen finden, dass es besserer Information bedarf, um Angebot und Engagement zusammenzubringen. Besonders an Schulen sogenannter Problemstadtteile seien die Lehrer in der Pflicht, Perspektiven aufzuzeigen, Projekte attraktiv zu machen oder zu motivieren, sagen Yücel und Goroncy. Sie könnten externe Referenten einladen, die informieren. Das könne man wunderbar in die Klassenlehrerstunde einbinden, die einmal die Woche stattfindet. Viele wüssten nicht einmal, wie die Schülervertretung organisiert ist, geschweige denn, dass es einen Landesschülerrat gibt. Viele würden mehr Verantwortung übernehmen, wenn sie nur wüssten wie - das ist ihr fester Glaube.

Magdalena Abrams hat bereits Verantwortung übernommen, gerade war sie wieder mit einer Gruppe Studenten in Ecuador, auch Abenteuerlust und Fernweh gehören zu ihrem Antrieb. "Aber das Nachtreffen mit meinen Mitstreitern hat hier stattgefunden", sagt sie und muss dann los. Zur Vorlesung.

Im Umweltausschuss in der Bürgerschaft, wo die Jugend immer noch debattiert, werden jetzt die letzten Vorbereitungen für ein Expertengespräch getroffen. "Ihr müsst den Typen von Greenpeace kenntnisreich gegenüber treten", schwört Martin Helfrich die Ausschussmitglieder ein. Sie sollen gut gebrieft, sie wollen bestens informiert sein. "Wir können wirkliche Lösungsansätze liefern", sagt Helfrich, der im Gespräch über das große Thema "Jugend und Politik" reden und dabei geschickt politische Meinungen einstreuen kann. Er ist Profi, auch wenn er noch gar nicht weiß, ob er später wirklich in die Politik will.

Im Hier und Jetzt wollen die Schüler erst einmal zur Recherche ins Internet, drei Laptops stehen im Sitzungsraum. Aber mit keinem einzigen kommen sie ins Netz.

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