Er malt am liebsten nachts, ganz allein, wenn niemand um ihn herum ist. Noah Wunsch braucht die Stille, um Gesehenes auf die Leinwand zu bringen. Das Ergebnis ist eine Explosion von Farbe und Farbtönen. Ein Besuch in seinem Atelier - kurz vor der nächsten großen Ausstellung.

Dunkel ist das Treppenhaus in dem 120 Jahre alten Lagerhaus in der Speicherstadt. Ein paar enge Treppen geht's hinauf zum "2. Boden". Von oben ist Fußgetrappel vom Teppichhändler aus dem nächsten Stockwerk zu hören. Neben der Tür hängt ein handgepinseltes Schild: WUNSCH ATELIER.

Was drinnen, in einem lichtdurchfluteten Loft wie in der 23. Straße in Chelsea, ins Auge fällt, sind die Farben. Gold. Rot. Blau. Die Bilder von Noah Wunsch. Und er selbst: ein großer, feingliedriger Mann mit einem spontanen, erfrischenden Lachen und einem neugierigen Blick auf die Welt. In seinem Atelier ist alles vorbereitet für die nächste Ausstellung, "Freude", Anfang Juni in Madrid, die danach in Toulouse und Genf zu sehen ist. Ein Jahr lang hat er diese Schau vorbereitet. "Ich habe viele New Yorker Impressionen hineingelegt", sagt er. "Und aus Hamburg."

Freude. Der Titel ist Programm. "Ich bin ein glücklicher Mensch", sagt Wunsch. Seine Bilder, die Explosion der Farben, strahlen Lebensfreude aus, aber auch eine tiefe Ruhe. Wie das zentrale Prachtstück, der "Sonnenaufgang in New York", ein großformatiges, meterlanges Gemälde, mit zwölf verschieden glänzenden Goldtönen, in der Wunsch-typischen Mischtechnik aus Öl und Acryl mit Pinsel und Spachtel auf die Leinwand gewuchtet. Viele seiner neuen Werke sind zwei Bilder in einem, erst gegenständlich, darüber baut sich langsam die abstrakte Schicht auf. "Das Ergebnis ist das, was ich als Ehrlichkeit verstehe." Auf manchen Bildern sind literweise Farbe und mehrere Ölschichten verteilt. Die kann der Künstler kaum mehr allein schleppen. Aber: "Das bin ich", sagt er über seine aktuellen Bilder. "Farbe ist die Musik der Malerei." Oft erschließt sich der Inhalt auf den zweiten Blick, wie bei der Hamburger Abendstimmung mit den Kirchen St. Nikolai und St. Katharinen. Wunsch belastet seine Bilder nicht mit irgendwelchen Botschaften, sie sollen einfach nur Momentaufnahmen seiner Wahrnehmung sein. Die 20 Originale, die teilweise noch feucht an den Wänden lehnen, sind noch nicht signiert. Den Namenszug erhalten sie erst kurz vor dem Transport.

Wenn Noah Wunsch malt, zieht er sich in die Stille seines Ateliers zurück. Nachts, wenn der Baulärm der Hafen-City ebbt, schaltet er das Licht ein, und sein Mobiltelefon ab. "Wenn ich male, bin ich auch nicht erreichbar." Er zieht das Jackett aus, arbeitet auch auf dem Fußboden, zieht bei Ölfarben schon mal weiße Stoffhandschuhe an. Die Tür zum Atelier sichert er von innen mit einem Vorhängeschloss.

"Zum Malen muss ich ganz allein sein", sagt er. "Man ist ja nackt, bis auf die Seele entblößt." Deswegen hat der Ästhet für den Besuch des Fotografen auch das Material versteckt. Kein Pinsel, keine Farbreste, beinahe klinisch reiner Parkettboden.

"Erst sammle ich die Dinge, dann setze ich sie im Kopf zusammen. Und schließlich kommt es wie bei einem Vulkan heraus. Wie eine elektrische Entladung, wie die Geburt eines Kindes. Der Körper meldet sich, dann muss ich malen!"

Hier, in der Speicherstadt, aber auch in zwei anderen Ateliers in Eppendorf und in Uhlenhorst. Eines der beiden ist zugleich seine Wohnung. Die Adressen dieser "Rückzugsgebiete" gibt er aber nicht preis.

Noah Wunsch, 38, kann inzwischen von der Malerei leben. Für einen echten Wunsch, zwei mal drei Meter groß, sind locker 17 000 Euro fällig. "Alle Bilder werden irgendwann verkauft. Manchmal gibt es schmerzliche Trennungen. Eines meiner Lieblingsbilder hängt jetzt in einer Arztpraxis. Na gut, sage ich, dann geht's anderen eben besser. Aber ich weiß: Nur wenn ich loslasse, entsteht etwas Neues. Ich investiere immer schon in das nächste Bild. Und ich teste gern neue Stile. Man muss jeden Tag hören, fühlen und probieren. Ich lerne das Sehen täglich neu." Er kann sich vorstellen, sein ganzes Leben lang zu malen. "Das ist wie Essen und Trinken. Und es ist meine Sprache. Bis zum Ende. Wie Picasso." Dieser Picasso, sein Vorbild, in dessen Büchern er schon als Sechsjähriger blätterte.

Eigentlich konnte Ulf Noah Wunsch nur Maler werden. Der Sohn der Hamburger Malerin Ursula Unbehaun entdeckte früh, "dass die Malerei die einzige Art ist, mich auszudrücken, meine Gefühle mitzuteilen". Im Interesse einer internationalen Karriere ließ er seinen ersten Vornamen ("Ulf kann ja keiner aussprechen") verschwinden. Nun hätte Wunsch in vielen künstlerischen Sparten erfolgreich sein können. Der Mann singt, tanzt, filmt, fotografiert, entwirft Kostüme, gestaltet Kinderbücher, fertigt Skulpturen . . . Stopp! "Die Malerei ist und bleibt der Mittelpunkt meines Lebens."

Nur wenn er mal abschalten will, lebt er sich in anderen Metiers aus, die er "andere Räume meiner Bibliothek" nennt. So, wie am 19. Juni, wenn er in den Kammerspielen mit einer Begleitband ein Konzert mit Liebesliedern mit den Zeilen "Perhaps love is like a window, perhaps an open door" von John Denver eröffnet.

Nur einmal, vor sieben Jahren, stand er am Scheideweg. Damals führte ihn eine Reise in die Toskana. Als ihn ein Mönch in einem kleinen Kloster in der Nähe von Florenz zum Essen einlud und fragte, was er denn so treibe, antwortete Wunsch: "Ich singe oder male. Und ich bin hier, um das herauszufinden." Er blieb ein Vierteljahr, malte ein Altarbild für den Gästetrakt und genoss die Zeit: "Die Freiheit, Singen und Malen zu können. Ein Traum. Beinahe wäre ich für immer dort geblieben. Ich hatte mich fast schon entschieden." Dann zog es ihn doch wieder nach Hamburg. Mit vielen neuen Ideen und Aufträgen im Gepäck. Seither hat er zwischen Hamburg und New York, Mallorca und Tijuana ausgestellt.

Der Glaube ist eine Kraftquelle seiner Kunst. "Religion - das ist Hoffnung und Vertrauen. Viele Bilder entstehen daraus", sagt Wunsch. Viele zeigen religiöse Motive. Eines seiner liebsten Projekte waren die Illustrationen für eine Kinderbibel.

Und Hamburg? Der Künstlerflucht aus der Stadt mag er sich nicht anschließen. "Hamburg ist Heimat. Hamburg sind Freunde, der Reichtum des Lebens. Das Vertraute gibt mir Halt. Deswegen komme ich immer wieder hierher zurück."

Noah Wunsch ist ein Maler der Extreme. Er liebt große Formate, zuletzt ein zwölf Meter langes Wandgemälde in Mexiko. Aber er kann's auch kleiner. Sein erstes Bild, das er bei Sotheby's versteigerte, hatte gerade eben DIN-A5-Format. Für die Trilogie mit Gesichtern (Titel natürlich: "Lebensfreude") kam "ein kleiner vierstelliger Betrag" für ein Schulprojekt zusammen.

Seine Inspiration zieht er aus seinen Reisen. Ob er in Afrika einen Film als Fotograf begleitet. Ob er im Waldorf Tower in New York beflügelt arbeitet, weil in der Suite genau unter ihm einst Gershwin oder Sinatra hausten. Ob ihn der Dirigent Waleri Gergejew bei einem Fotoshooting am Flügel begleitet. Oder ob eine Arztfamilie in Arizona auf einen Umzug verzichtet, weil sie das Wunsch-Wandgemälde nicht mitnehmen kann. Der Statiker hatte abgeraten.

Noah Wunsch ist ein großherziger Mensch, der gern mal Wünsche erfüllt, ein Bild für die Sri-Lanka-Hilfe zur Verfügung stellt, eine Patenschaft für das Football-Team der St.-Pauli-Buccaneers übernimmt, Kinder in Mexiko unterrichtet.

Manchmal kann er auch grausam sein. Zu sich selbst. Dann, sagt Noah Wunsch, vernichtet er ein Bild. Weil er nicht mehr dazu stehen konnte. "Das tut mir in dem Moment auch nicht weh. Vielleicht hinterher."