Der Ginsterhof in Rosengarten ist für viele Menschen die letzte Hoffnung. Oder die erste, nachdem das Leben schon hoffnungslos geworden war.

Klingt nach Paradies. Zuerst. Der Ginsterhof in Rosengarten ist kein Paradies, eher vielleicht ein Heilgarten. Denn hierhin kommt, wer draußen nicht mehr weiter weiß. Wer den Stress nicht mehr ausgehalten hat, ihn nicht mehr ertragen konnte und davon krank wurde. So wie Katharina C. (Name von der Redaktion geändert) , die jetzt seit zwei Wochen hier ist. Sie war am Ende angekommen. Es ging nicht mehr. Katharina C. ist Lehrerin. Und 56 Jahre alt. Für sie war es ein Traumberuf - mit Menschen umgehen, Kindern etwas beibringen. Das gefiel ihr immer. Doch in den vergangenen Jahren hat sich die Arbeitsbelastung extrem erhöht. Große Klassen, härtere Prüfungsbedingungen, ständig steigender Druck. Irgendwann war es so weit: "Ich saß vor Stapeln von Arbeiten und konnte sie nicht mehr korrigieren, Angst stieg in mir hoch, ich schaff' das alles nicht mehr, ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen", sagt Katharina C. Sie erlebte einen "einen kompletten Zusammenbruch". Die Erinnerung daran lässt ihre Stimme brüchig werden. Der Arzt schrieb sie krank. Diagnose: ausgebrannt - das klassische Burn-Out. Burn-Out - für viele schwer zu akzeptieren. Schwäche eingestehen, zugeben, dass man nicht mehr "funktioniert". Versagen ist nicht geplant und nicht angesehen in einer Gesellschaft, in der es schon maßgeblich um Erfolg und Leistung geht.

Der Ginsterhof liegt in idyllischer Landschaft im kleinen Ort Tötensen. Ganz in der Nähe wohnt Dieter Bohlen, und auch sonst ist es eine dem Leben zugewandte Gegend - hell und freundlich. Der Ginsterhof, das Krankenhaus Ginsterhof, müsste man sagen, ist ein Ort, an dem "Menschen mit Beschwerden behandelt werden, die seelische Ursachen haben", wie es in der Eigenbeschreibung heißt.

Katharina wohnt auf Station sechs. Das Zweibettzimmer, das sie allein bewohnt, hat Hotelcharakter. Man kann sich darin auch wohlfühlen, nicht nur krank. Bett, Schreibtisch, zwei Korbstühle mit Tisch am Fenster - hell, einfach, komfortabel. Katharina C. fühlt sich wohl. Seit Langem wieder. Urlaub ist der Aufenthalt hier allerdings nicht. Um sieben Uhr steht Katharina auf, um Viertel vor acht kann sie bei einer Viertelstunde Frühsport mitmachen. Zwischen kurz nach acht und neun Uhr frühstücken die Patienten einer Station gemeinsam. Schon ab Viertel nach acht leuchten im Flur des Haupthauses die ersten Lampen oberhalb der verschlossenen Türen auf: "Therapie, bitte nicht stören".

Dreimal in der Woche hat Katharina C. 45 Minuten Einzeltherapie, zweimal in der Woche je 100 Minuten Gruppentherapie. Für sie heißt das, sich ihrem Problem zu stellen. Wie konnte sie in die Schraube geraten, sich jahrelang zu überfordern, immer mehr zu arbeiten, alles perfekt machen zu wollen? Konnte sie nicht Nein sagen, hat sie ihre Grenzen nicht erkannt? Wem wollte sie es recht machen? Hat der geliebte aber anspruchsvolle Vater etwas damit zu tun?

Der Weg zur Heilung ist steinig, manchmal tieftraurig. "Wir bekommen das als Erste mit", sagt Krankenschwester Karin Heming (38). Wenn ein Patient nicht schlafen kann, wenn seine Depression ihn antriebsarm macht, "überlegen wir gemeinsam, was ihm guttun könnte, auch ohne Tabletten", sagt sie.

Kunsttherapie oder Bewegungstherapie einmal wöchentlich helfen, den Themen auf der Gefühls- und Körperebene zu begegnen. In der Bewegungstherapie gibt es Übungen, die dabei helfen, sich in einer Gruppe auch einmal abgrenzen zu können.

Das wird auch praktisch im Klinikalltag geübt. Zum Beispiel bei der Patientenvollversammlung auf den Stationen, immer freitags. Dann werden organisatorische Dinge geklärt, wer macht Tischdienst, wer gießt die Blumen. "Wenn es einem mal eine Woche nicht gut geht, dann darf man hier auch Nein sagen", erklärt Ärztin Maria Anna Deters. Für Katharina C. bedeutet das: "Hier werde ich so akzeptiert, wie ich bin, das tut mir gut."

Zwischen halb zwölf und halb eins isst sie mit ihren Mitpatienten zu Mittag. Und wenn am Nachmittag keine Therapiesitzung, Krankengymnastik, eine entspannende Massage oder Sport anstehen, dann ist Zeit zum Rausgehen, Zeit für Ausflüge, Zeit um mit anderen Patienten etwas zu unternehmen, Zeit um Luft zu holen.

In der Gemeinde Rosengarten - benannt nach dem gleichnamigen Staatsforst südlich von Harburg - ist das dann doch wieder paradiesisch. Wander- und Radwege schlängeln sich durch die Mischwälder und die Nordheide, vorbei an Bauernhäusern, Ackerflächen und Pferdekoppeln. Und auch auf dem Gelände selbst, das eher an einen Park erinnert, lässt es sich gut aushalten. Kein weißer Kittel, keine Krankenhausatmosphäre weht durch das Haus. Eher schon ein Hauch von Sanatorium. Der Ginsterhof ist eine der ältesten psychosomatischen Kliniken in Deutschland. 1932 baute der Arzt Armin Hof das Anwesen einer Kaufmannsfamilie zum Privatsanatorium um. "Den alten Akten nach wurden hier Schlafkuren verordnet oder eine Stunde Terrasse", sagt Rainer Papenhausen, der ärztliche Direktor am Ginsterhof.

Schon damals war das Haus ein Zufluchtsort. Im Krieg wurde es zum Lazarett, 1954 übernahm die Evangelische Stiftung Krankenhaus Ginsterhof die Trägerschaft. "Die Spätheimkehrer aus russischer Gefangenschaft sollten psychologische Unterstützung bekommen", sagt Pastor Burkhart Mecking. Der Seelsorger wohnt in dem alten roten Backsteingebäude, gleich neben dem flachen Haupthaus.

Gut aufgehoben sein, keine Angst mehr haben zu müssen, die Hoffnung, dass alles wieder gut wird - das sind die Werte, die hier auf dem Ginsterhof zählen. Katharina C. hatte die Freude am Leben verloren. Freunde hatten ihr vom Ginsterhof erzählt, damit sie einen Ort hätte, an dem sie zur Ruhe kommen, die Gedanken einmal abgeben könne und sich nicht für alle und alles verantwortlich fühlen müsste. Diesen Freunden ist sie schon jetzt wohl auf ewig dankbar.