Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Holger Matthies, Grafikdesigner.

Sie hat was Diabolisches. Diese hochgezwirbelte linke Augenbraue. Unabsichtlich, sagt er. Alles natürlich gewachsen. Schade auch. Denn sie verrät viel. Über den Mann, der ein teuflisches Vergnügen daran hat, mit seinen großformatigen Werken Tabus zu brechen, zu provozieren, Diskussionen anzufachen. Holger Matthies, einer der weltweit renommiertesten und preisgekrönten Plakatgestalter. In allen Bereichen. Theaterplakaten, metaphorischen Bildern, politischen Aussagen und Objektinszenierungen.

Gerade hat er auf der Biennale im amerikanischen Colorado den Award Culture eingeheimst. Das müssen Sie sehen, sagt er. Dieses Plakat, das international Furore gemacht hat. Und holt es aus einer Ecke in seinem Atelier im idyllischen Eimsbüttler Generalsviertel. Nur da wollte er sich zum Gespräch treffen. Hier wohnt und arbeitet er in zwei benachbarten Häusern. "Je nachdem, wo das Chaos gerade nicht überhandnimmt."

Hier zumindest hat es System. Zwischen Schweinen in allen Größen und Formen bis hin zum Lampenständer und unter der Plakattrilogie "Drei Scheren", eine Auftragsarbeit für den zweitgrößten Fashionkonzern Tokios, gibt's den Kaffee.

Das preisgekrönte Plakat also. Die Namen aller Mitglieder der Alliance Graphique Internationale sind drauf. Eines erlauchten Klubs, in dem die einflussreichsten Grafik- und Kommunikationsdesigner aus 27 Nationen versammelt sind. Ist er Mitglied? Aber ja, sagt er. Mit Stolz und leichtem Pathos. Gesundes Selbstbewusstsein oder Eitelkeit? Beides, sagt er. Selbstbewusst stimmt. Und eitel auch. Auf jeden Fall.

Holger Matthies ist nicht zu stoppen, wenn er in Fahrt gerät. Mit dieser angenehm volltönenden Stimme, die keinen Widerspruch und nur ungern eine Zwischenfrage duldet. Ja, sagt er kurz abschweifend, die hab ich extra für Sie gestern Abend mit viel Wein nachgeölt.

Holger Matthies, der Unbequeme, der sich in keine Schablone pressen lassen mag, sich nirgendwo binden will. Ein notorischer Einzelkämpfer mit schnell ausfahrbaren Stacheln. Klartext muss sein, sagt er. Immer. Auch bei Freunden. Die auch ertragen müssten, dass er den Finger in die Wunde legt. Am liebsten den gesalzten. Aber manchmal bereue er es auch.

In seinen frühen Jahren galt Holger Matthies als Enfant terrible der Kunstszene. Ließ bei einer Vernissage im Museum für Kunst und Gewerbe einen Stuhl in Flammen aufgehen; seine Schüler an der Hochschule für Gestaltung mit neun Quadratmeter großen provokanten Plakaten die Stadt aufmischen. Lehrte einige Intendanten das Fürchten. Wie mit dem Kopf, auf dem zwei Penisse als Teufelshörner prangten, für "Liebeskonzil" am Berliner Schillertheater. Und mit einem seiner bekanntesten auch: Die abgeschnürte Banane für "Der Hofmeister" am Schauspielhaus Kiel. Symbolisch für das Kastrieren des Hofmeisters, sagt er. Und gleichzeitig, um das Schmerzempfinden beim Zuschauer hervorzulocken. In China werde er seitdem "die strangulierte Banane" genannt.

Das sei sein Impetus, sagt er. Die inhaltliche Klammer zu finden, sie visuell umzusetzen. In langen Denkprozessen. Daran kranke heute die Plakatkunst. Fast jeder könne auf dem Mac eins raushauen. Im Galopp ohne gedankliche Emulsion. Eine Vulgarisierung! Da drehe sich ihm zuweilen doch der Magen um. Wie nur, wie kriegt man diesen Mann weg vom Thema Plakate?

Eine Frage? Na gut, sagt er. Wo finde ich Holger Matthies? Na, ja, er habe ja schon gesagt, dass er visuelle Kommunikation unterrichte. Nee, das lassen wir auch mal raus. Das auch? Ja. Also gut, sagt er leicht widerstrebend, Holger Matthies privat können Sie in der Szene finden. Im Karoviertel, im Schanzenviertel, im Thalia-Theater, "Ulrike Maria Stuart habe ich zweimal gesehen", bei den neuesten Jazzgruppen von Karsten Jahnke. Weniger bei den Konzerten von Hans-Werner Funke. Obwohl bei ihm seine Karriere als Plakatkünstler begann? Nicht Künstler, sagt er, Gestalter sei ihm lieber. Das mit der Kunst werde erst posthum entschieden. Aber mit Funke, das stimme schon. Damals, an der Grindelallee, als Funke noch selber Karten verkauft. Auch an den Studenten Matthies, der die Konzerte gut findet, die Plakate aber Scheiße, es auch sagt und auf unverbindlicher Basis Abhilfe anbietet. "Unverbindlich gleich kostenlos - das gibt den Ausschlag."

Holger Matthies, ein Einzelkind, wächst bei Mutter und Großmutter auf, spielt mit Puppen. Wird verhätschelt? Nein, sagt er, das schlagen Sie sich mal aus dem Kopf. Seine Mutter sei Lehrerin gewesen, habe strikt durchgegriffen. Seine Einsen in Deutsch und Künstlerischem Gestalten als Warnsignal gesehen. Einen Künstler will sie nicht. Er macht eine handwerkliche Lehre nach der mittleren Reife. Als Farblithograf. Eine Basis, auf die er heute noch stolz ist.

Ist er überhaupt zu einer Zweierbeziehung fähig, dieser Mann, der als autoritär gilt. Nein, sagt er, er habe Autorität. Das sei etwas ganz anderes. Undiplomatisch sei er und nicht gerade kooperativ. Aber immerhin seit vierzig Jahren verheiratet. Und er lacht plötzlich laut und sehr nett. Das ginge gut. Zwei Dickköpfe. Jeder auf seinem Territorium. Und fast sanft erzählt er vom grünen Daumen seiner Frau, die den verrotteten Bauernhof zwischen Heide und Friedrichstadt in ein Paradies verwandelt habe. Mit einer riesengroßen Brombeerhecke, die das Haus verschlinge wie im Märchen von Dornröschen. Ein Labsal für seine Seele, diese Oase der Ruhe, aber nach ein, zwei Tagen brauche er wieder den Großstadtstress.

Also, da könne er ihr aber nicht reinreden. Sie aber habe bei seinen Entwürfen ein starkes Einspruchsrecht. Sei ein gutes Korrektiv. Und als Kunsterzieherin vom Fach.

Die Zeit läuft davon. Holger Matthies, der Sammler von Schweinen in allen Variationen, fehlt uns immer noch. Obwohl wir mittendrin sitzen in diesen Exponaten. Das Schwein in seiner Doppeldeutigkeit. Als Glückssymbol und Verunglimpfung. Vom Jahrmarktblechschwein hin zum minoischen Öllämpchen in Schweineform. Eine Ausstellung in Hamburg sei sein Traum. Den Titel hat er schon: Wir lassen die Sau raus.

Und dann kommen auch noch leise Töne auf. Holger Matthies redet zögernd von der Dunkelkammer des Bewusstseins und dieser Psychokiste, in der er sich auch schon mal tummelt. Von der Strapaze, vor einem leeren Blatt zu sitzen. Von dieser ewigen quälenden Auseinandersetzung mit sich selbst. Von einem seiner Lieblingsbücher "Nachtzug nach Lissabon". Dieses wunderbare Gedankengebäude, sagt er. Ein Totalaufbruch, ohne sich irgendwo abzumelden. Ein Anarchist im menschlichen Bereich!

Er sei ein Zwilling, sagt er zum Abschied. Vom Sternbild her. Schnell entflammbar im Positiven wie im Negativen. Ein Strohfeuer manchmal auch nur. Habe ich Sie etwa breitgeredet, fragt er vor der Haustür. Unter den Augen eines schwarzen Katers auf dem Treppenabsatz. Mit einem unergründlichen Blick und dem Namen - Luzifer.