Auf dieser Seite sehen Sie schwarz. Das hat seinen Grund: Wir versetzen uns in die Welt der Blinden - beim Dialog im DUnkeln in der Speicherstadt. Alexandra zu Knyphausen hat den Selbstversuch mitgemacht: die Umwelt nicht mit den Augen, aber mit allen anderen Sinnen zu erfassen. Probieren Sie es auch mal!

Ich reiße die Augen auf - und sehe nichts, wie nachts ohne Mondschein. Nur noch dunkler. Keine Schatten, keine Unterschiede. Nichts, an das man sich halten könnte. So ist das also, blind zu sein. Mir wird heiß.

Ich empfinde Enge, als wären die Wände ganz nah und die Decke ganz niedrig; fasse zu den Seiten hin, zur Decke: nichts dergleichen. Ich taste mich voran, in der Hoffnung, dass ich die anderen nicht anstoße. Stockdunkel - hat dieser Ausdruck mit dem Blindenstock zu tun, den ich umklammere? Blödsinn.

Jeder kann heute jederzeit abbrechen, hat uns jemand am Eingang der Ausstellung versprochen, in der wir das Unsichtbare entdecken sollen. Dieser "Dialog im Dunkeln" versteht sich als "Plattfom zur Begegnung von behinderten und nicht behinderten Menschen". Hier ist der Sehende der Behinderte, sogar Uhren mit Leuchtziffern müssen eingesteckt werden. Aber abbrechen wäre schade: Welche Ausstellung zieht den Besucher wohl so mitten ins Geschehen hinein wie diese?

"Halten Sie den Stock 20, 30 Zentimeter vor sich und nach unten, damit Sie andere nicht verletzen" - so hat der Türsteher uns ins Ungewisse geschickt. Dort hören wir als Erstes Eva, unseren weiblichen Guide. Eva ist blind.

"Jetzt gehen wir erst in den Park, da stehen Bäume", sagt sie. "Sie müssen also aufpassen. Wenn Sie Ihren Stock verlieren: in die Hocke gehen und aufheben. Denn wenn Sie sich nach vorne bücken, könnten Sie jemanden anstoßen." Ich versuche, die natürliche Grenze einzuhalten, die zwischen Menschen liegen sollte, damit jeder sich wohl fühlt. Keine Chance: Immer wieder stoße ich mit dem Stock an die Füße und Waden der anderen.

Eva zieht weiter. "Gleich kommen Sie auf Rasen, dann gehen Sie schräg nach oben rechts, auf den Kiesweg. Bleiben Sie da stehen. Kommen Sie auf meine Stimme zu. Hierbinnich!" - Geflüstere. "Nee, Eva soll rechts liegen bleiben", höre ich. Das würde ich wirklich gerne sehen, aber nicht mal für diese Vorstellung bleibt Zeit, denn jetzt stoße ich jemanden an. "Sie haben einen schönen Pullover an", sagt eine Stimme.

Ja, wer nicht sehen kann, muss fühlen, muss hören, riechen und schmecken. Hier riecht es nach Nässe, Erde und Rasen. Dann sind die Ohren dran: Plätschern. Doch lange lauschen ist nicht drin, denn Eva fordert: "Fühlen Sie links, da sind Pflanzen." Ich strecke meine Hand aus, berühre nasse Fäden. Pflanzen? Vielleicht exotische mit ledrigen Blättern.

Ich gewöhne mich an das Dunkel und scharre im Kiesbett mit den Füßen: Muss echt sein. Evas "Hierbinnich" lotst uns über eine Brücke. Bloß nicht ins Wasser fallen! "Gibts hier Spinnen?", tönt es ängstlich hinter mir. "Nein, dann hätte ich meinen Arbeitsvertrag nicht unterschrieben", beruhigt Eva. Alles grinst. Oder schließe ich nur von mir auf andere? Endlich wird das Plätschern klar: Ich fasse in einen Wasserfall. Er ist so laut, dass ich das Gefühl verliere, ob jemand in meiner Nähe ist.

Jetzt federt der Boden. "Rasen", verrät Eva. "Wir werden nun eine Hängebrücke überqueren, die wackelt." Das vermittelt Jahrmarktsgefühle von Irrgärten und Zitterfußböden. Eine Frauenstimme stellt aber nur fest: "Hier ist es windig." Stimmt: War uns eben noch heiß, streift uns jetzt ein kühler Luftzug. Keine Zeit, es zu genießen, denn Eva fordert: "Jetzt in den Dschungel, da gibts auch keine Spinnen und Schlangen." Abhängig von ihrem "Hierbinnich" fühle ich mich sonst ziemlich orientierungslos.

Im Urwald schreien Papageien und andere Tiere - vom Band. "Da sind auch Lianen, da müssen Sie durch", ruft Eva. Leicht gesagt. Ich öffne die Augen, so weit es geht, aber außer den Helligkeitserscheinungen, die man auch bei geschlossenen Augen hat, sehe ich nichts. "Das ist die Netzhaut, deshalb sehen Sie vielleicht graue oder weiße Ränder, sogar Gespenster", erklärt einer, der nach Augenarzt klingt.

"Haben alle ihn angefasst?", fragt plötzlich Eva. "Wen?", hake ich nach. "Den Marterpfahl", antwortet sie, erwischt meine Hand und führt sie an eine Rundung. "Das", sagt sie, "ist das Auge einer Eule." Ich befühle die gut einen Meter hohe Holzskulptur.

Weiter geht es durch die "Stadt", Evas Stimme nach, auf Kopfsteinpflaster. "Einmal Bordsteinkante nach oben." Es klirrt. Ist jemand gegen das angekündigte Straßenschild gerannt?Auf einmal riecht es nach Sellerie, meine Hand berührt etwas: einen Apfel, zwei Äpfel, ein ganze Kiste voll. Vor meinem inneren Auge sehe ich sie knackig-grün da liegen. Wir sind auf dem Markt.

Ich trete auf etwas Weiches, bücke mich laut Anweisung und hebe das Etwas auf: Porree. Stimmen, Straßenlärm und Hundegebell lenken mich vom Gefühl für den Ort und die Position der anderen ab. Ich glaube, ich stehe im Menschengewühl. Leicht hat mans als Blinder nicht, und gefährlich kann es auch werden.

Jemand haut auf etwas hohl Klingendes. Mühsam finde auch ich den Gegenstand, befühle ihn. "Ein Fiat", spekuliere ich. "Eine Ente", antwortet Eva und ruft ihr "Hierbinnich" schon wieder aus einer anderen Ecke. Verwirrend. Da gefällt mir unsere ruhige Bootsfahrt besser. Es schwankt zwar, aber man kann genauer auf eigene Empfindungen achten.

"Glaubst du", fragt mein Nachbar, "dass wir in 'nem echten Boot sitzen? Vielleicht haben die einfach nur eine riesige Wasserwanne aufgestellt und schaukeln uns ein bisschen." Immerhin mit Möwengeschrei und Hafengeräuschen. "Willst du 'n Pfefferminz?" Ich will, obwohl die Übergabe nicht ganz einfach ist.

"Haben wir hier einen schönen Blick", schwärmt eine Dame: "Venedig!" Schon sehe ich uns in einer Gondel im Rhythmus der Wellen im Canal Grande schaukeln. Dann werden wir nass gespritzt - das ist nun schon wieder Realität. Im Sitzen, auf den Blindenstock gestützt, die Augen halb geschlossen, den Kopf so gewendet, dass ich gut hören kann, gebe ich dabei vermutlich genau das Bild ab, das Sehende von Blinden haben: nach innen gekehrt.

Im Ruheraum danach darf man liegen. Tropfen hallen laut durch die künstliche Nacht, Trommeln, Rasseln und afrikanische Gesänge. Oft vibriert der Boden mit. Bis Eva kommt und uns mit ihrem "Hierbinnich, ich komm auf Sie zuhuuuuuu" in die Bar mitnimmt. Dort kann man trinken, essen und sich mit den Guides unterhalten. "Hier steht ein Schild mit den Worten ,Willkommen in unserer Unsichtbar'", behauptet Eva.

Alle lachen, keiner glaubts. Andererseits: Schließlich soll hier alles so sein wie in der Welt der Sehenden, die hier eben nichts sehen. Doch draußen wartet das Licht. Die erste kleine Dosis nach anderthalb Stunden scheint schon zu viel fürs Auge zu sein. Trotzdem sind wir heilfroh: endlich wieder sehen können!

  • Dialog im Dunkeln: Die Ausstellung zum Selber-Erfahren. Bis März 2005, Speicherstadt (U-Bahn Messberg), Alter Wandrahm 3, 20457 HH. Di-Fr 9-17 Uhr. Sa, So + Feiertage 11-19 Uhr. Mo geschlossen. Tickets: Kinder 4, Erw. 10, ermäßigt 7 Euro. Platzreservierung erforderlich unter Tel.: 0700 44 33 2000 (12ct/min).