Wenn es laut wird und das Baby nicht einmal mit der Wimper zuckt, stimmt etwas mit den Ohren nicht. Eltern sollten sofort vom Arzt das Gehör testen lassen.

Eigentlich ist der Säugling putzmunter und immer zu einem fröhlichen Lachen aufgelegt. Das Einzige, was den Eltern merkwürdig vorkommt: Selbst auf laute Geräusche in seiner Umgebung zeigt das Baby keine Reaktion, nicht mal ein Wimpernzucken. "Das ist meist das einzige Zeichen einer Schwerhörigkeit, das den Eltern früh auffällt, aber oft wollen sie es nicht wahrhaben, und so dauert es noch geraume Zeit, bis die Diagnose gestellt wird, im Durchschnitt erst im Alter zwischen zwei und fünf Jahren", sagt Prof. Markus Hess, Direktor der Abteilung für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde am Universitätsklinikum Eppendorf.

Was solch eine Innenohrschwerhörigkeit bei Kindern hervorruft, bleibt oft ungeklärt, aber man weiß heute, dass genetische Komponenten dabei eine wichtige Rolle spielen. "Es gibt schätzungsweise 500 verschiedene genetische Erkrankungen, die mit einer Innenohrschwerhörigkeit einhergehen können."

Etwa jedes 500. Neugeborene ist schwerhörig. Wird die Schwerhörigkeit nicht frühzeitig entdeckt und behandelt, kann das schwerwiegende Auswirkungen haben. Denn ein intaktes Gehör ist die Voraussetzung dafür, dass das Kind Sprache erlernen und mit seiner Umwelt kommunizieren kann. Gerade zu Beginn des Lebens gibt es sensible Phasen für das Hörenlernen und den Spracherwerb. Denn das, was als Schall im Ohr ankommt, gewinnt erst durch die Verarbeitung im Gehirn einen Sinn. Nur so können sich im kindlichen Gehirn Sprachverständnis und Sprachfähigkeit entwickeln. "Wenn die Schwerhörigkeit erst im Alter von anderthalb Jahren entdeckt und behandelt wird, kann das Kind sein Leben lang Probleme mit der Sprache haben, mit der Artikulation und eventuell auch mit der Grammatik", sagt Hess.

Deswegen sollten Eltern, wenn sie den Verdacht haben, ihr Kind hört nicht richtig, diesem Verdacht nachgehen und das Kind bei einem Spezialisten mit präzisen Messverfahren untersuchen lassen.

Um einer kindlichen Schwerhörigkeit möglichst früh auf die Spur zu kommen, gibt es in Hamburg seit mehreren Jahren das Neugeborenen-Hörscreening, bei dem alle Kinder, die in den Hamburger Geburtskliniken zur Welt kommen, in den ersten Tagen auf ihr Hörvermögen getestet werden. Dabei arbeiten Geburtskliniken und Praxen eng zusammen und werden hinsichtlich des Qualitätsmanagements vom Senat finanziell gefördert.

Für den Test gibt es zwei Verfahren: "Das eine sind die otoakustischen Emissionen. Dafür wird ein kurzer Klickreiz in das Ohr abgegeben, der die feinen Haarzellen im Innenohr zum aktiven Vibrieren anregt. Dieses Vibrieren sendet selbst Schall aus, der teilweise wieder aus dem Ohr herausgeht und dort mit Mikrofonen gemessen werden kann. Wenn sich diese Bewegung der Haarzellen nachweisen lässt, ist das Gehör bis auf ganz seltene Ausnahmen in Ordnung", erklärt Hess. Das Verfahren kann unabhängig von der Mitarbeit des Kindes angewendet werden und dauert nur circa eine Minute pro Ohr.

Ergibt dieser Test, dass das Kind nicht richtig hört, wird ein zweites Verfahren eingesetzt. Dabei wird eine spezielle Plastikschale, ähnlich einem Kopfhörer, auf das Ohr des Säuglings gesetzt. Während eines wiederholten Schallreizes werden dann über drei Elektroden, die am Kopf des Kindes befestigt sind, die Hirnströme gemessen. Hört das Kind normal, ist nach jedem Schall eine typische Welle abzulesen.

Sind bei dem Kind beide Tests auffällig, wird es von einem Spezialisten genau untersucht. "Es gehört neben der Wiederholung der Tests und dem Ausschluss von Mittelohrproblemen auch die Suche nach Risikofaktoren dazu. Damit gemeint ist alles, was rund um Schwangerschaft und Geburt auffällig war, wie Infektionen von Mutter und Kind oder Frühgeburt des Kindes, Fehlbildungen an Kopf oder Ohren. Sehr wichtig sind Informationen darüber, ob in der nahen Verwandtschaft des Kindes bereits Hörstörungen aufgetreten sind", sagt Hess und appelliert dabei auch an die Eltern,solche Nachuntersuchungen wahrzunehmen. Denn immer wieder gebe es Kinder, die trotz auffälliger Screening-Ergebnisse nicht zu den weiteren Untersuchungen erscheinen.

Das therapeutische Vorgehen hängt davon ab, ob die Schwerhörigkeit auf einem oder beiden Ohren besteht. Mit einer einseitigen Schwerhörigkeit können die Kinder ein weitgehend unbeeinträchtigtes Leben führen, Sprache gut erwerben und die Regelschule besuchen.

Aber zwei Drittel der betroffenen Kinder sind beidseits schwerhörig. "Wenn wir eine beidseitige, bleibende Innenohrschwerhörigkeit feststellen, müssen wir möglichst bis zum 3. Lebensmonat herausfinden, wie schwerhörig das Kind ist. Dann werden beidseits Hörgeräte angepasst, und allerspätestens mit sechs Lebensmonaten müssen beide Hörgeräte täglich getragen werden", betont der HNO-Arzt.

Die dritte Säule der Behandlung ist die Hörfrühförderung durch Pädagogen in der Schule für Hörgeschädigte. "Dabei lernen die Eltern, wie sie mit dem schwerhörigen Kind umgehen müssen, wie sie es fördern können, sodass es trotz seiner Einschränkung Welt und Sprache akustisch wahrnehmen kann und sozial integriert wird. Mit früher Erkennung und Behandlung können die Kinder eine Regelschule besuchen", sagt Hess.

Doch je schlechter das Hören ist, umso schwieriger ist es, mit Hörgeräten diese Defizite auszugleichen und normales Hören zu ermöglichen, damit die Kinder die Sprache lernen können. Bis zum Alter von einem Jahr wird geprüft, ob die Versorgung mit Hörgeräten ausreicht. Wenn das nicht der Fall ist, entschließt man sich zum "Cochlea implant". Dabei wird in einer Operation eine Elektrode unter der Haut ins Innenohr eingeführt. Hinter dem Ohr trägt das Kind einen winzigen Computer mit Mikrofon und Sprachprozessor, in dem Schallreize in elektrische Signale umgewandelt werden. Diese werden dann über die Elektrode direkt auf den Hörnerven im Innenohr übertragen. Zur Förderung nehmen die Kinder unter anderem an einem Intensivprogramm teil, in dem sie spielerisch das Hören neu erlernen.


Info: Informationen im Internet auf der Homepage des Hamburger Neugeborenen-Hörscreenings: www.hahn-hh.de