Dr. Matthias Burisch ist Professor für Psychologie an der Universität Hamburg und einer der führenden Burnout-Experten in Europa.

JOURNAL: Was sind die ersten Anzeichen für ein Burnout?

MATTHIAS BURISCH: Meist fängt es mit einem lebensgeschichtlichen Einschnitt an. Der kann durchaus erfreulich sein wie der Berufseintritt, ein neues Projekt oder die erste Chefposition. Erste Warnzeichen sind dann ein vages Gefühl "Irgendwas stimmt nicht", das auch nach der Arbeit anhält.

JOURNAL: Sie bezeichnen das Ausbrennen als langwierigen Prozess. Wie sieht der aus?

BURISCH: Eine von mehreren Möglichkeiten: Am Anfang bewältigen wir mit großem Einsatz unsere Aufgabe, brennen für die Arbeit, wollen uns beweisen. Wenn wir an unseren Ansprüchen scheitern, wenn wir selbst und unsere Leistungen nicht anerkannt werden, entwickeln wir einen Widerwillen gegen die Arbeit. Unser Leben beginnt dann nach Feierabend. In der Folge lässt unser Einsatz deutlich nach. Wir engagieren uns weniger für Patienten, Kunden, Schüler. Ziehen uns eventuell von Kollegen und Freunden zurück, auch, weil wir gar keine Interessen mehr haben.

Man wird gereizter, weinerlicher, aggressiver, kurz: weniger belastbar. Wo uns früher keine Aufgabe zuviel war, da machen wir jetzt gerade mal das Nötigste. Wir haben Schuldgefühle. Kleine Fehler schleichen sich ein. Allmählich fühlt man sich erschöpft. Man ist voll mit sich selbst beschäftigt. Auch das Gefühl gegenüber der Familie verflacht, man meidet soziale Kontakte. Viele nehmen Betäubungsmittel, häufig Alkohol.

JOURNAL: Gibt es auch körperliche Beschwerden?

BURISCH: Ja, gegen Ende des Prozesses, eventuell auch schon ziemlich am Anfang, signalisiert der Körper eine Störung. Alle klassischen psychosomatischen Symptome können auftreten, von Herz-Kreislauf- über Magen-Darm-Probleme und Muskel-Gelenk-Schmerzen bis zu Schlafstörungen, Hörstürzen. Jede Erkältung wird mitgenommen. Und irgendwann kommt die große Verzweiflung, die Kapitulation. Das kann im besten Fall dazu führen, dass man in eine Klinik geht, im schlimmsten Fall zum Suizid.

JOURNAL: Gibt es eine Möglichkeit, rechtzeitig auszusteigen?

BURISCH: Ich rate jedem, dem eine lebensgeschichtliche Veränderung der genannten Art bevorsteht, sich vorbeugend eine Begleitung in Form von psychologischem Coaching zu holen. Manche Großfirmen bieten das ihrem Führungspersonal an; notfalls muss man es selbst bezahlen.

Das Ergebnis so eines Klärungsprozesses kann tatsächlich die Erkenntnis sein: Ja, es ist besser für mich, wenn ich früh aussteige; zum Beispiel das Projekt abgebe, weil es vom Typ "Mission Impossible" ist; denn damit muss ich scheitern. Oder die Erkenntnis: Ich sollte mir im Unternehmen eine andere Nische suchen, weil ich mit dem neuen Chef nicht klarkommen werde.

JOURNAL: Kann ich mich so gegen einen Verschleiß wappnen?

BURISCH: Wichtig ist die Entwicklung größtmöglicher Souveränität, die es mir gestattet, Ziele auch gelassen aufzugeben, wenn mir der kühle Verstand sagt, dass sie nur für einen unrealistisch hohen Preis zu erreichen wären, wenn überhaupt. Dazu muss man sehr ehrlich zu sich selbst sein können. Man sollte klar wissen, was man will und kann und wie weit man bereit ist, Kompromisse einzugehen. Und man sollte lernbereit bleiben. All das schafft - bei aller Flexibilität, die heute vielerorts unabdingbar ist -, einen stabilen inneren Kern, der kaum zerstörbar ist.

JOURNAL: Wie offen sollte ich zu meinen Kollegen sein?

BURISCH: Man sollte eine professionelle Meinung gehört haben, bevor man sich als "ausgebrannt" outet. Und bei meiner Meinung zum Outing bin ich hin- und hergerissen. Mein erster Reflex ist: Vorsicht! Das kann mancherorts das Aus bedeuten. Andererseits: Diese Wahrheit braucht nun wirklich einen Mutigen, der sie ausspricht, sonst ändern sich die Verhältnisse nie. Die Kollegen merken es meistens sowieso. Chefs sollte man am besten rechtzeitig mit der Realität konfrontieren, zum Beispiel damit, dass man mehr Entlastung braucht auch damit, dass man sich gründlich übernommen hat. Das ist besser, als wenn man den Anruf aus der Klinik machen muss.

JOURNAL: Wie sollten Kollegen reagieren, wenn sie bei einem Mitarbeiter einen Verdacht auf Burnout haben?

BURISCH: Wenn Kollegen von sich aus auf Burnout tippen, sollten sie mit dem Mitarbeiter das Gespräch suchen. Aber das ist nicht ganz einfach. Es kann sein, dass das Angebot mit Erleichterung aufgenommen wird, die Reaktion kann auch sein: "Ihr spinnt wohl! Lasst mich in Ruhe!" Oft ist schon Anerkennung die halbe Miete.