Bordeaux-Wein muss nicht hochpreisig sein. Der Hamburger Weinhändler Claudio Link über Image und Irrtümer, guten Geschmack und günstige Alternativen.

Der Rheinländer Claudio Link (42) führt seit achteinhalb Jahren den Weinhandel "WineLink" am Valentinskamp in Hamburg. Link hat in Frankreich studiert und ist Experte für Bordeaux-Wein. Über den hochpreisigen Wein hat er eine feste Meinung: "Ich habe mir seit einigen Jahren abgewöhnt, auf diese Grand-Cru-Proben zu gehen. Da steht ein Wein für 300 Euro auf dem Tisch, und die Gespräche laufen so ab: ,Dieser Wein hat ja ein wunderschön frisches Aroma, aber ehrlich gesagt ziehe ich den 59er vor.' Wenn ich so etwas in meinem Laden machen würde, wäre ich in zwei Wochen pleite!"

JOURNAL: Sind die Rekordpreise für den Spitzen-Bordeaux gerechtfertigt?

CLAUDIO LINK: Rein wirtschaftlich gesehen ist ein Preis gerechtfertigt, wenn er gezahlt wird. Der Jahrgang 2005 ist seit 2000 das größte Jahr. Aber ich halte die Weine eindeutig für zu teuer. Das ist ärgerlich für diejenigen, die den Wein aus anderen Gründen haben wollen: für ihre Kunden, für den privaten Gebrauch oder weil er den Geburtsjahrgang ihres Kindes hat. Die Geschichte der Bordeaux-Weine ist eine Geschichte wechselhafter Marktpreise.

JOURNAL: Was sind das für Kunden, die sich diese teuren Spitzenweine leisten?

LINK: Das kann man nicht pauschal sagen. Wenn Sie für eine Flasche Chateaux Margaux 400 oder 500 Euro bezahlen, sind Sie bei einer Zwölferkiste inklusive der Frachtkosten bei 5000 Euro für zwölf Flaschen Wein. Ich bitte Sie! In erster Linie haben Amerikaner eine läppische Bereitschaft, viel Geld für ultimative Luxusgüter auszugeben. Wer an der Elbchaussee eine Villa kauft, hat den Ferrari und den Bentley - und im Keller Mouton Rothschild, Margaux, Lafite Rothschild oder Petrus. Das gehört zum gesellschaftlichen Status. Ich habe solche Keller gesehen: Da liegt mal eben für 100 000 Euro Wein. Wir müssen aufhören, so ein Produkt als Fetisch zu betrachten. Es sind nur 0,75 Liter Wein. Ein Lebensmittel!

JOURNAL: Warum ist es gerade der Bordeaux?

LINK: Bordeaux ist und bleibt, was Wein angeht, das Maß aller Dinge. Kein Wein der Welt hat die Größe, die Lagerfähigkeit und den Mythos des Bordeaux. Bordeaux hat es geschafft, sich ein Image von großer Langlebigkeit, hoher Komplexität, hoher Finesse und Eleganz aufzubauen und gilt heute - neben der Champagne - als alkoholische Luxusregion Nummer 1.

JOURNAL: Wie wirken sich die hohen Preise auf den "normalen" Weinmarkt aus? Viele Leute sagen: Bordeaux ist teuer.

LINK: Ich rede seit vielen Jahren gegen dieses Image an. Wer sagt, Bordeaux sei teuer, meint nur diese fünf bis acht Prozent der großen Weine. Aber Bordeaux produziert im Jahr zwischen fünf und sieben Millionen Hektoliter Wein. Und über 90 Prozent davon sind von hoher Qualität - aus kontrolliertem Anbau und, aus meiner Sicht, für ganz wenig Geld. Es gibt Leute, die behaupten, in Bordeaux gibt es die preiswertesten Weine der Welt. Ein guter Bordeaux für 15 oder 20 Euro ist sein Geld allemal wert.

Die Preisanstiege betreffen nur die großen Marken. Die Weine für 5 bis 15 Euro stehen weiter stark unter Druck des internationalen Wettbewerbs, jede Woche macht irgendein Familienbetrieb dicht. Kein Weingut kann sich Erhöhungen zwischen 100 und 300 Prozent leisten. Ich habe sogar die angefragten 1 bis 1,5 Prozent Preiserhöhung abgelehnt.

JOURNAL: Hat man in Bordeaux die Zeichen der Zeit nicht erkannt?

LINK: Vielleicht hat man sich zu lange auf den Lorbeeren ausgeruht. Bis vor 10, 15 Jahren gab es tatsächlich eine gewisse Hochnäsigkeit gegenüber der Rest-Weinwelt. Das hat sich komplett geändert. Der Marktdruck hat ein Umdenken erzwungen. Eine Kampagne wirbt dafür, dass Bordeaux eben nicht teuer sein muss. Und um den Einbruch auszugleichen, wird erwogen, erstmals einen Landwein aus Bordeaux herzustellen.

JOURNAL: Sie können ja das Produkt nicht ändern.

LINK: Oh doch, Sie können schon etwas ändern. Es gibt traditionelle Weinbereitung, und es gibt moderne Weinbereitung. Sie können den Wein etwas runder machen, indem Sie etwa für eine gewisse Zeit Sauerstoff durchpumpen, das macht ihn geschmeidiger, netter, marktgerechter. Überspitzt gesagt, haben wir eine Art McDonald's-Effekt im Weinbau. Traditionalisten sagen: Ich mache meinen Wein, Sie mögen ihn oder nicht. Moderne Weinbauern versuchen, einen bestimmten Publikumsgeschmack zu treffen.

JOURNAL: Welche Rolle spielt das Aussehen der Flasche?

LINK: Das Flaschendesign ist ein ganz wichtiger Punkt. Weltmeister ist da, ähnlich wie bei Autos oder Mode, Italien. Bei vielen französischen Weinen haben Sie Traditionalismus pur: einen beigefarbenen Hintergrund auf dem Etikett, einen Schriftzug, ein Weingut darauf und vielleicht ein paar Reben. Das gilt übrigens auch für deutsche Weine. Wenn ich meinen Kunden zwei gleichpreisige Weine zeige, neigen besonders die Jüneren unter 30 dazu, das optisch ansprechendere Produkt zu wählen.

JOURNAL: Der Marktanteil des Bordeaux in Deutschland ist rückläufig. Hat das auch damit zu tun, dass immer mehr exotische Weinerzeugerländer auf den Markt drängen?

LINK: Wir Deutschen sind Reiseweltmeister. Viele Leute haben die Mittel, nach Südafrika zu fliegen, nach Chile, nach Fernost oder sogar Australien. Man lernt beim guten Essen den Wein kennen. Das will man dann hier auch genießen. Vielleicht hat sich Bordeaux aus einer gewissen Hybris heraus auch zu wenig erneuert.

JOURNAL: Wein ist ja in erster Linie eine Geschmacksfrage. Wofür steht da der Bordeaux?

LINK: Es gibt nicht den trockenen oder den herben Bordeaux, den zu leichten oder zu schweren Bordeaux. Bordeaux hat 57 verschiedene kontrollierte Herkunftsbezeichnungen (AOC). Manchmal sind zwei Lagen nur durch eine Straße getrennt. Die eine verkauft sich für 5 Euro, die andere für 500. Den Bordeaux gibt es nicht, das ist Unsinn. Er hat viele Farben.

JOURNAL: Wie preiswert darf ein guter Wein sein?

LINK: Unter 2,50 Euro Verkaufspreis ist die Qualität eines Weines problematisch.

JOURNAL: Und ein Bordeaux?

LINK: Für 6,70 Euro bekommen Sie einen guten Wein kontrollierter Herkunft von einem Familiengut. Der ist gut, fruchtig und hält ein paar Jahre. Das ist, auch wenn man Gäste hat, keine Schande. Für 6 bis 8 Euro erhalten Sie ein hervorragendes Produkt, das sich für jeden Tag eignet. Zwischen 8 und 10 Euro bekommen Sie auch prämierte Weine, die etwas länger halten. Über 10 Euro gibt es herausragende Weine, die ein Jahrzehnt lagern können. Und über 20 Euro können Sie schon von einem großen Wein sprechen.

JOURNAL: Und wie wird der Jahrgang 2006?

LINK: In Deutschland hatten wir ein Jahr der Extreme: einen Rekordjuli, aber auch die höchsten Niederschläge im August, der bekanntlich den Most macht. Dafür gab es wieder einen ganz netten September. An der Mosel beginnt jetzt die Ernte, sollte sich das Wetter halten, wird die Qualität gut. In Franken soll sie gut sein, in Baden hatten sie Fäulnisprobleme. Es wird ein heterogenes Jahr. Auch aus Frankreich höre ich sehr unterschiedliche Berichte. Aber noch ist es für ein Urteil zu früh.