Hamburg ist eine Stadt der Bäume - 250 000 säumen die Straßen, 600 000 stehen in den Parks. Einige von ihnen können Geschichten erzählen. Der Mensch hat zu den geheimnisvollen grünen Riesen seit jeher ein besonderes Verhältnis.

Mit prächtigen Farben machen sie in diesen Tagen auf sich aufmerksam. Leuchtend gelb bis flammend rot zeigen sich Ahornbäume, rotbraun färben sich Kastanienblätter und Eichen. Sie verabschieden sich bunt und geräuschvoll vom Sommer, wenn ihre herabfallenden Früchte auf parkende Autos trommeln. Bäume zeigen sich im Herbst noch mal von ihrer ganzen Schönheit. Und davon gibt es in der grünen Stadt Hamburg reichlich.

Etwa 250 000 Bäume säumen Hamburgs Straßen. Noch mehr sind es in Parks und Grünanlagen, auf etwa 600 000 schätzen die Experten der Abteilung für Stadtgrün und Erholung ihre Zahl. Besonders in den Parks stehen Bäume, die mehrere hundert Jahre alt sind.

Diese Lebenskraft hat Menschen schon seit Urzeiten fasziniert und inspiriert. Auch wenn der Baum in botanischer Definition schlicht eine Pflanze mit verholztem Stamm ist, sahen ihn unsere Vorfahren doch als lebendiges Wesen mit eigenem Geist. Den Griechen der Antike galt er als "höchstes Geschenk" der Götter. Für den Dichter Hermann Hesse verkörperte der wertvolle Sauerstofflieferant das "Urgesetz des Lebens", und der libanesische Dichter Khalil Gibran übersetzt die Existenz der grünen Riesen zwischen zwei Welten in Poesie: "Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt."

Natürlich hat diese Verehrung auch handfeste Gründe. Der Mensch ist auf den Baum angewiesen, er wärmt sich und baut mit seinen Hölzern, er nutzt seine Rohstoffe, etwa für Papier. Er gestaltete den Baumbestand nach seinen Bedürfnissen - doch ganz wird er ihn nie beherrschen. "Wir können sie nutzen und ausschlachten, aber ihr Eigensinn ist uns unverfügbar", stellen Helmut Schreier und Hans-Helmut Poppendieck in ihrem neuen Buch "Baumland" fest. Beide beschäftigen sich aus Leidenschaft mit der Geschichte der Bäume.

Helmut Schreier, Professor für Erziehungswissenschaft, hat schon einmal ein Buch über Bäume geschrieben: "Sie begleiten und faszinieren mich seit meiner Jugend", schwärmt der 64jährige. Auch Hans-Helmut Poppendieck (57), Kustos am Herbarium der Universität Hamburg, kann sich immer wieder für die Entwicklung eines Baums begeistern: "Jeder Schlag, jeder Blitz hinterläßt Spuren, das macht es so spannend."

Zu den heimischen Baumarten, die viel zu erzählen hätten, gehört die Eiche. Im Jenischpark steht einer der ältesten Bäume Hamburgs, eine knorrige Stieleiche mit weit ausladenden Zweigen. Mit ihren rund 500 Jahren ist sie älter als der Park. "Ihre Gestalt zeigt, daß sie nicht beengt im Wald gewachsen ist, sondern auf einer Weide oder Wiese stand", erklärt Poppendieck. Ein Überbleibsel der norddeutschen Weidewirtschaft. Das Vieh auf der Weide fraß alles ab, aber die Hirten sorgten dafür, daß Eichen stehenblieben, ihre Früchte waren geeignete Nahrung für die Schweine. Die robusten Bäume sind Überlebenskünstler, die bis zu tausend Jahre alt werden können. Überflüssige Äste, die ihnen die Kraft zum Wachsen nehmen, werfen sie einfach ab - wie Blätter im Herbst. Das extrem haltbare Eichenholz war in Hamburg als Baumaterial für Uferbefestigungen, Duckdalben und Molen gefragt. Eichenlaub wurde zum "Sinnbild für Sieg und Heldentum", wie die Französin Mary-Gerard Vaude in ihrem Buch "Bäume Europas" schreibt.

Ein weiterer Methusalem unter den heimischen Bäumen, der locker über tausend Jahre alt wird, ist die Eibe. Ein Uralt-Exemplar des immergrünen, hochgiftigen Nadelbaums mit den roten Früchten steht am Hamburger Elbdeich. Ihren Ruf als Todesbaum und "brutaler Auftragsmörder" verdankt die Eibe nicht nur ihrem Gift, sondern auch ihrem harten Holz, aus dem in Kriegszeiten Waffen gefertigt wurden. Der Bedarf führte im Mittelalter zum schwunghaften Holzhandel. Schließlich konnte das begehrte Holz gar nicht so schnell nachwachsen, wie es verlangt wurde. "Die Eibe verschwand aus den Wäldern, in denen sie einmal sehr gut überleben konnte", so Helmut Schreier. Dabei hat die Eibe trotz ihres hohen Giftgehaltes auch eine heilbringende Seite. Aus ihrer Rinde wird der Stoff für das Krebsmedikament Taxol gewonnen.

Ein freundlicheres Wesen sprachen die Menschen von jeher der Linde zu. Auf vielen Dorfplätzen wurzeln Linden, die mit 400 bis 500 Jahren heute oft älter sind als die Häuser, die um sie herumstehen. Man fällte unter ihr Urteile oder tanzte unter dem Baum der Liebe und Freundschaft. Ob am Brunnen vor dem Tore oder neben einer Kirche - der schattenspendende Blattschirm der Linde ließ nicht nur Dichter träumen. Die Linde wurde auch zu einem beliebten Element der Landschaftsgestaltung. Herrscher ließen die Bäume mit dem weichen Holz und den üppigen Trieben für ihre geometrischen Barockgärten zurechtstutzen und schnurgerade Lindenalleen anlegen. Zu bewundern noch heute in Jersbek, etwa acht Kilometer nördlich von Ahrensburg.

Verschwunden sind dagegen die Lindenalleen am Jungfernstieg, der Palmaille in Altona oder der Kirchenallee in St. Georg. Wenigstens eine Ahnung der Barockkultur vermitteln die übriggebliebenen Kasten- und Knüppellinden, Lindengänge und Terrassen. Die schönste Lindenterrasse in Nienstedten mit Blick auf die Elbe verewigte der Maler Max Liebermann in seinem berühmten Gemälde. Doch der Lindenbaum wurde auch zum Politikum, denn Kritiker sahen in dem barocken Baumschnitt eine unnötige Bezwingung der Natur und forderten im Geist der Aufklärung einen "freien Wuchs". Das ist noch heute ein Thema, auch wenn manche Linden regelmäßig geschnitten werden müssen, um nicht instabil zu werden.

Mit den Modetrends vergangener Jahrhunderte verbreiteten sich andere Bäume. Die Blutbuche etwa, deren Farbstoffe für schwarzrote Blätter sorgen. Oder Exoten wie die Sumpfzypresse, der Ginkgo oder der Trompetenbaum. Die Hamburger Kaufleute holten sie sich als Prestige-Objekte in ihre Gärten oder Parks wie den Kellinghusen-Park.

Heute leben Straßenbäume in der Großstadt gefährlich. Sie müssen sich das Erdreich mit Rohren und Kanälen teilen und werden bei Erdarbeiten schnell verletzt, auch ihre Rinde wird durch Autos häufig geschädigt. "Solche Verletzungen sind Eintrittspforten für zerstörerische Pilze", sagt Gerhard Doobe, Baumexperte bei der Abteilung für Stadtgrün und Erholung. Sein Amt sorgt für die Kontrolle und Sanierung von Stadtbäumen. Derzeit leidet besonders die Roßkastanie (Baum des Jahres 2005) unter einem beharrlichen Schädling - der Miniermotte. Auch der Baum des Jahres 2006 , die europäische Schwarzpappel, kämpft ums Überleben. "Leider geht ihr natürlicher Lebensraum, die Flußaue, immer mehr zurück", bedauert Poppendieck. Noch ist sie an der Elbe zu sehen, etwa in der niedersächsischen Elbtalaue bei Hitzacker.

Ein Herbstausflug lohnt sich immer zu unseren Freunden, den Bäumen. Nehmen Sie ein Wort von Alexander von Humboldt mit: "Habt Ehrfurcht vor dem Baum, er ist ein einziges großes Wunder, und euren Vorfahren war er heilig."

Zum Weiterlesen:

Helmut Schreier, Hans-Helmut Poppendieck: Baumland. Porträts von alten und neuen Bäumen im Norden. Murrmann Verlag 2005, 200 Seiten; 24,90 Euro.

Mary-Gerard Vaude: Bäume Europas. RvR Verlag 2005, 192 Seiten, 200 Abbildungen; 22,80 Euro.