Endspurt: für die acht Frauen und Männer von der Abendblatt-Marathon- Gruppe: Schon in drei Wochen wollen sie die 42,195 Kilometer lange Strecke beim Olympus Marathon bewältigen. Die Abendblatt-Sportler haben bewiesen, wie wichtig auch beim Individualsport Laufen der Teamgedanke sein kann.

Gail, Edda, Claudia, Lanta (Alexandra), Charles und Andreas sind ihren ersten Marathon schon gelaufen und haben sich sehr wohl dabei gefühlt. 42,195 Kilometer, vom drängeligen Start am Holstenglacis über die Westschleife Richtung Othmarschen, den Rückweg an Elbe und Speicherstadt entlang, vorbei an Binnen- und Außenalster auf dem Weg zur großen Nordschleife über Stadtpark, Barmbek, City-Nord, Ohlsdorf, Groß Borstel, Eppendorf, Rothenbaumchaussee, Wallanlagen bis hin zum Zieleinlauf vor dem Fernsehturm. Nicht einmal 15 Minuten haben die sechs aus der Abendblatt-Marathongruppe dafür gebraucht, keinen Schritt mußten sie machen, ihre Augen waren geschlossen. Sie brauchten nur der ruhigen Stimme von Til Steinmeier auf dem gedanklichen Weg durch Hamburg zu folgen.

Das mentale Training mit dem ärztlichen Betreuer unserer Laufgruppe war Teil eines anderthalbtägigen Marathon Camps im Hotel Waldhof auf Herrenland, einem ehemaligen Gutshaus über Mölln, am ersten März-Wochenende. Auf dem Programm standen Vorträge zum Ausdauertraining und zur Strategie für den Marathon sowie zwei zweistündige Laufeinheiten - damals noch im Schnee. Und nicht zuletzt sollte beim privaten Zusammensein auch der Gruppengeist gestärkt werden.

Keine Frage, daß Marathonlaufen ein extremer Individualsport ist. Durchbeißen muß sich schließlich jeder allein. Doch wie hilfreich es für den Einzelnen ist, wenn andere mitleiden und sich mitfreuen, zeigt die Entwicklung der Abendblatt-Laufgruppe. Seit Mitte November trainiert das bunt zusammengewürfelte Team überwiegend nach einem maßgeschneiderten Plan jeder für sich, sonnabends unter Anleitung von Heiko Lehmann gemeinsam. Spätestens beim ersten Dreistundenlauf im Stadtpark setzte entsprechend den unterschiedlichen Fitnesszuständen und Tempi die Grüppchenbildung ein. Claudia, Edda und Lanta pflegen ihre Laufgemeinschaft zudem unter der Woche durch regen E-Mail-Kontakt. Bestes Beispiel dafür, wie mitreißend die Gruppe sein kann, ist unser Fotograf Andreas Laible: Was als Job begann, ist längst Leidenschaft: Andreas ist regelmäßig dabei - als Läufer.

Zwischen 120 und 150 Stunden war jeder Teilnehmer in den vergangenen fünf Monaten unterwegs, hat mehr als 1000 Trainingskilometer absolviert. Hochgefühle über die rasch erkennbare Leistungssteigerung wechselten mit Frust über Zwangspausen durch Krankheit oder Überlastung, mit Lustlosigkeit wegen der hohen zeitlichen und körperlichen Beanspruchung (begleitet von der Frage: "Warum tu ich mir das eigentlich an?") oder mit Zweifeln an den Trainingsplänen.

Doch über alle Mißstimmungen - im Februar war sogar eine Krisensitzung nötig - half der gute Gruppengeist hinweg. Und längst ist auch klar, wie sinnvoll die Trainingspläne von Heiko Lehmann aufgebaut sind. Das Leistungsvermögen aller Kandidaten hat sich stetig verbessert, solange auch wirklich das Pensum erfüllt wurde.

Offensichtlich war aber auch, wie schwierig es für den Einzelnen sein kann, sich die nötige Zeit fürs Laufen freizuhalten. Selten war die Gruppe beim gemeinsamen Training komplett. Insbesondere Corny Littmann wurde durch die Doppelbelastung als Theaterchef vom Schmidts Tivoli und Präsident des FC St. Pauli allzu stark anderweitig beansprucht - die Querelen im Klub und um seine Person sorgten dafür, daß er die größten Schwierigkeiten hatte, den Trainingsplan einzuhalten - was ihn zum Wackelkandidaten für den Olympus Marathon am 24. April macht.

Das Marathon Camp in Mölln, bei dem Corny und Abendblatt-Redakteurin Daniela fehlten, hat den Teilnehmern zusätzlichen Schub für den Marathon gegeben. Til Steinmeiers Vortrag über die biochemischen Prozesse im Körper beim Ausdauertraining sorgte für Aha-Erlebnisse: "Jetzt verstehe ich die Trainingspläne erst richtig", stellte Edda Kohse fest, die sich vorher über die sehr unterschiedlichen Vorgaben für die acht Teilnehmer gewundert hatte und plötzlich verstand, wie differenziert das Training sein muß, um bei verschiedenen Kandidaten die gleichen Effekte zu erreichen: nämlich im wesentlichen eine Ökonomisierung von Herz- und Lungenarbeit, die Aktivierung der Fettverbrennung, die Erhöhung der Laktat-Toleranz.

Wer entsprechend vorbereitet sei, sagte Steinmeier, müsse sich nur noch an "drei goldene Marathonregeln" halten, um den Lauf erfolgreich zu absolvieren: nicht zu schnell beginnen, genug trinken und sich rechtzeitig ernähren. Beispielsweise, indem man seinem Körper alle fünf Kilometer durch einen Energieriegel Kohlenhydrate zuführt - was unbedingt vor dem Lauf geübt werden sollte. "Marathon ist die Kunst der Energie-Einteilung über eine relativ lange Strecke. Man muß den Körper in einen eigenen Rhythmus, in eine Eigendynamik bringen, damit man locker und entspannt ins Ziel kommt."

Beflügelt vom gemeinsamen Lauferlebnis im verschneiten Möllner Wald inklusive Schneeballschlacht, begeistert von Til Steinmeiers mentalem Marathon und animiert von der guten Stimmung und den Gesprächen am Kamin oder beim Essen im lichtdurchfluteten Wintergarten, waren alle zuversichtlicher denn je: "Ich habe jetzt eine große Sicherheit, daß ich es schaffe", sagte beispielsweise Gail Marie Wollny. Doktor Steinmeier verordnete den Kandidaten, sich täglich 10 bis 15 Minuten Zeit zu nehmen ("idealerweise morgens im Bett nach dem Aufwachen"), um Trainingsstrecken im Geiste abzulaufen.

Die doppelte Ernüchterung folgte am Wochenende darauf: Zunächst der fünfte Dreistundenlauf (diesmal am Elbufer bei Wittenbergen), der nichts an Widrigkeiten ausließ: Dauerregen, Schneefall, Kälte, Wind. Und tags darauf, meist bei Nieselregen, das gemeinsame Abfahren der Strecke des Olympus Marathon per Rad, damit die Distanz vorstellbar wird - ein unerwünschter Nebeneffekt war allerdings die erschreckende Erkenntnis, wie lang 42,195 Kilometer wirklich sind. Kaum vorstellbar, das alles laufend in vier bis fünf Stunden zu bewältigen.

Das Wochenende vor Ostern schließlich rückte die Verhältnisse wieder zurecht. Fünf Kandidaten machten bei frühlingshaftem Wetter den Härtetest auf der längsten Distanz des Volkslaufes beim Schiffshebewerk in Scharnebeck am Elbe-Seitenkanal: ein anspruchsvoller Halbmarathon im Gelände, mit langgezogenen Anstiegen auf sandigen Waldwegen, den alle bravourös absolvierten. Andreas Loos brauchte eine Stunde und 54 Minuten für die 21,1 Kilometer. Lanta lag nur vier Minuten über zwei Stunden, Claudia kam in 2:14 ins Ziel, Edda mit 2:18 (sie belegte sogar den zweiten Platz in ihrer Altersklasse) und Daniela mit 2:27. Auch wenn sich anschließend keiner vorstellen mochte, die gleiche Strecke sofort noch einmal zu laufen: Der Marathon hatte wieder ein Stück von seinem Schrecken verloren. Fast wie beim mentalen Training.

Informationen über Wochenend-Laufseminare im Hotel Waldhof auf Herrenland in Mölln gibt Heiko Lehmann unter Tel. 0172/543 35 54. Unter dem Motto "Laufen an der Ostsee mit Thomas Wessinghage" bietet die Reha-Klinik Damp (www.damp.de, Tel. 04352/80-666) zahlreiche Laufseminare an. Ein umfangreiches Angebot hat auch Laufsport Andreas in Dersau am Plöner See (www.laufsport.de, Tel. 04526/15 11).