Sie wird seit Jahren verfolgt und überwacht. Trotzdem engagiert sich die Journalistin für Meinungsfreiheit in ihrem Heimatland Tunesien - jetzt von Hamburg aus.

Sie lächelt höflich, ihre Stimme ist sanft, wie eine Kämpferin wirkt sie nicht. Doch die zierliche Frau mit den dunklen Locken wehrt sich - gegen eine ganze Staatsmacht. Sihem Bensedrine wird in ihrem Heimatland Tunesien auf Schritt und Tritt verfolgt, darf nicht arbeiten und ist stets vom Gefängnis bedroht. Mehrmals schon war sie in Haft. Ihr Verbrechen: Sie fordert Bürgerrechte ein. Tunesien. Das Sonnenland in Nordafrika lockt Jahr für Jahr Millionen von Touristen an. Für seine Bürger aber ist es, wie Sihem Bensedrine sagt, "zum Gefängnis geworden". Seit der Machtübernahme des Staatspräsidenten Ben Ali 1987 werde jede Opposition unterdrückt, "es gibt weder demokratische Parteien noch Gewerkschaften, unabhängige Richter oder gar Pressefreiheit", so Bensedrine. Dafür sei der Polizeiapparat "auf das Fünffache" aufgestockt worden. Sihem Bensedrine (52) klagt das Regime an, das sich nicht an die demokratische Verfassung halte - ein Nährboden für die ebenfalls verfolgten Islamisten, die zunehmend Sympathien in der Bevölkerung finden. Sie redet sachlich, ohne sichtbare Emotionen, weiß mit Worten umzugehen. Die Journalistin hat selbst erlebt, wie das Regime seine Kritiker behandelt. Sie wurde als Redakteurin entlassen, als sie über Demonstrationen, willkürliche Verhaftungen und Folterungen berichtete. Sie setzte sich in der tunesischen Liga für Menschenrechte ein, die bald verboten wurde. Sie gründete einen eigenen Verlag, der geschlossen wurde - "wegen unhygienischer Zustände", so Bensedrine, "ein Gesetz, das sonst nur für Gemüsehändler gilt!" Seit Jahren wird sie beschattet, ihr Telefon wird abgehört oder einfach abgeschaltet. Die Bremsleitungen ihres Autos werden manipuliert. 2001 darf sie, nach sechs Jahren ohne Pass, wieder reisen. Bei ihrer Rückkehr aus Europa wird sie verhaftet, weil sie einem englischen Fernsehsender ein kritisches Interview gegeben hatte. Nach zwei Monaten Haft ohne Verfahren kommt sie frei und wird am Tag ihrer Entlassung verprügelt. Doch Sihem Bensedrine gibt nicht auf. Im Jahr 2000 erscheint die erste Ausgabe von "Kalima" - als Online-Zeitschrift im Internet. Als Chefredakteurin verantwortet sie alle zwei Monate neue Informationen über Politik und Kultur, "propagandafrei", wie sie sagt. Seit einem Jahr betreibt sie das Online-Projekt in französischer und arabischer Sprache von Hamburg aus. Auf Einladung der Stiftung für politisch Verfolgte lebt sie mit einem Stipendium in der Hansestadt. Sie will informieren, hält Vorträge in ganz Europa, spricht im Auswärtigen Amt vor oder diskutiert im Irak über die Pressefreiheit. Freiheit. Ein Thema, das ihr ganzes Leben durchzieht. Sie stammt aus einer wohlhabenden, konservativen Familie, wuchs in Tunis mit neun Schwestern und einem Bruder auf. Der Vater, ein Richter, legte Wert auf gute Schulbildung, alle Töchter durften studieren - aber nicht allein auf die Straße. Da war die Tradition stärker als jedes fortschrittliche Frauenrecht. Sihem litt unter der "eingesperrten Wirklichkeit". Nach dem Abitur diskutierte sie ein halbes Jahr, ehe sie der Vater in Frankreich studieren ließ. In Toulouse gewann die junge Philosophiestudentin prägende Eindrücke: allein als Frau im Bus fahren, aber auch Menschen erleben, die ohne jede Hilfe auf der Straße leben. Es war die Zeit der politisierten Universitäten, ein Jahr nach den 68er-Unruhen. "Ich entdeckte, wie man sich für Ideen einsetzt", sagt sie. Sie gründete selbst eine Organisation für tunesische Studenten, stand den Marxisten-Leninisten nahe, distanzierte sich sechs Jahre später jedoch von dieser "totalitären Ideologie". 1977 geht sie zurück nach Tunesien. Sie wird Journalistin, "weil ich mein Land besser kennen lernen wollte". Unter den Repressalien leidet auch die Familie. Ihr Mann kann nicht mehr als Landwirt arbeiten. Das Paar muss mit drei Kindern in eine Zwei-Zimmer-Wohnung ziehen. Sie haben Schulden, überleben nur mit Hilfe von Verwandten und Freunden. Die Söhne (27 und 21) studieren in Frankreich, die Tochter (15) ist bei ihrem Mann in Tunis. Auch sie will zurückgehen, trotz aller Gefahren. "Im Exil" sieht sie sich nicht, "das wäre ja, als würde ein Baum entwurzelt", sagt sie. "Und wer soll für unsere Rechte kämpfen, wenn alle weggehen?" Umkehren kann und will sie nicht. "Wenn mich in Tunesien fremde Menschen grüßen oder sagen: ,Mach weiter', dann rührt das mein Herz." Die Online-Zeitschrift im Internet: www.kalimatunisie.com