Fast 40 000 Soldaten und Sicherheitskräfte, sogar Raketen sollen Spiele schützen. Kosten belaufen sich schon auf elf Milliarden Euro.

London. Großbritanniens größtes Kriegsschiff liegt auf der Themse, Flugabwehrraketen sind in Wohnsiedlungen und Parks stationiert, auf den Straßen sind mehr britische Soldaten als in Afghanistan im Einsatz, und die Regierung ruft landesweit zu Blutspenden auf: London rüstet (sich) für die Olympischen Spiele 2012.

So hatte sich Pierre de Coubertin (1863-1937) die Spiele der Neuzeit wohl nicht vorgestellt. Als er sie 1894 aus der Taufe hob, erklärte der Baron aus Frankreich: "Die wiedergeborenen Spiele sollen der Welt alle vier Jahre Gelegenheit zu einem glückhaften und brüderlichen Zusammentreffen geben." Vom 27. Juli an bietet sich die Gelegenheit zum dritten Mal nach 1908 und 1948 in der Themse-Metropole. Millionen Londoner jubelten bei der Kür des Ausrichtungsortes. Seitdem hat sich ihre Begeisterung empfindlich abgekühlt. Viele fragen sich, ob dem olympischen Motto "Schneller, höher, weiter" nicht ein vierter Komparativ zugefügt werden sollte: "teurer".

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2005, als die Stadt den Zuschlag erhielt, wurden die Steuerzahlerausgaben für die Infrastruktur der 16-tägigen Sommerspiele mit 2,96 Milliarden Euro veranschlagt. Nach der jüngsten Zwischenrechnung werden es fast viermal so viel, nämlich 11,1 Milliarden. Allein der Aufwand für die "Massenkontrolle" musste nach den Erfahrungen des Queen-Thronjubiläums, das 1,3 Millionen Schaulustige zu der verregneten Schiffsparade und eine Million zum Konzert vor dem Buckingham-Palast lockte, um die Hälfte auf 95 Millionen Euro aufgestockt werden. Versprechungen von offizieller Seite, Land und Leute würden handfest von den Spielen profitieren, sind für die Zeitung "London Evening Standard" "schlicht Lüge". Das US-Magazin "Time" prophezeit: "Wirtschaftlich werden die Olympics London kein Gold bringen." Selbst am Eröffnungswochenende haben 850 Hotels noch Zimmer frei. Experten rechnen bestenfalls mit einem Prozent mehr Touristen als sonst.

1300 Ampeln geben grünes Licht für Offizielle und Sponsoren

Indes, die Kosten sind nicht der einzige Enthusiasmusdämpfer. Was die meisten Londoner noch mehr nervt, sind die halbe Million Überwachungskameras und die übrigen Sicherheitsmaßnahmen, die "hysterische Panikmache" ("Evening Standard") in der Stadt. "Die größte Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg", so Stephen Graham, Professor für Städte- und Gesellschaftsforschung, zieht bis zu 60 000 Mann, die 70 000 freiwilligen Helfer nicht mitgerechnet, in London zusammen, darunter 13 500 Soldaten - 4000 mehr als in Afghanistan -, 12 000 Polizeibeamte, 12 500 weitere Sicherheits- und 6000 Ordnungskräfte sowie 1000 bewaffnete Diplomatenschutz- und FBI-Agenten aus Amerika.

Als Einsatzzentrale steht der Hubschrauberträger "HMS Ocean", der mit 21 500 Tonnen und 203,4 Meter Länge größte "Pott" der britischen Marine, bei Greenwich auf der Themse bereit, nachdem er im Mai in Hamburg zu Gast war. (Kommandant ist Kapitän zur See Andrew Betton, 44, der beim Besuch verträumt auf den Michel schaute: "Hier habe ich meine Frau Bettina kennengelernt.") Das der Operationsleitung zur Verfügung stehende Arsenal reicht von Schnellbooten, Scharfschützen und 150-Dezibel-Schallwaffen über Drohnen mit Infrarot- und Lauschausrüstung, Hubschrauber und Kampfjets bis zu teils auf Wohnhäusern stationierten Batterien von Boden-Luft-Raketen. Ein 17,5 Kilometer langer 5000-Volt-Zaun riegelt die "Olympische Zone" von der Innenstadt ab.

Im ohnehin dauerverstopften Zentrum werden mehr als 1300 Ampeln auf 50 Kilometer Straße so geschaltet, dass 40 000 Offizielle in ihren 5000 rot-weiß lackierten Dienst-BMW und 25 000 Sponsoren auf sogenannten Zil-Fahrstreifen, die für andere Autos gesperrt sind, stets grünes Licht haben. Für Normal-Londoner lautet der Rat des Verkehrsamts: "Von Mitte Juli an die Innenstadt und die Umgebung der Austragungsstätten meiden!"

Wirte und Einzelhändler werden in der Nacht mit Waren beliefert

Weitere Behördentipps: Hortet Lebensmittel, nehmt Urlaub, arbeitet von zu Hause oder fahrt ganz früh zur Arbeit - mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Beschäftigten im Nahverkehrhaben den erwarteten Ansturm - täglich fünf statt der üblichen 3,4 Millionen U-Bahn-Fahrten und 800 000 Busfahrgäste mehr als die üblichen 6,5 Millionen - bereits genutzt, um Zulagen bis 2500 Euro auszuhandeln. Pubs, Restaurants und Einzelhandel stellen sich auf nächtliche Lieferungen ein.

Dieser Tage sind sogar alle Blutspender persönlich angeschrieben worden. Die Krankenhäuser sollen für die Dauer der Spiele 30 Prozent Blutkonserven zusätzlich auf Lager haben. So schlimm wird es wohl nicht werden, hoffen die Londoner. Doch von "Freude und guter Geselligkeit" ist in London nicht viel zu spüren - vorerst jedenfalls.