Hamburg/München. FC Bayern bestätigt schwere Erkrankung des Weltmeisters von 1974. Bomber der Nation wird am 3. November 70 Jahre alt.

Wer dabei war, wird diesen Moment nie vergessen. Wie Gerd Müller, tapsig-suchend auf die Bühne der Hamburger Fischauktionshalle schritt, begleitet von seinem Freund und Weggefährten Franz Beckenbauer. Jeder der 1000 Gäste des „Sportbild-Awards“ ahnte spätestens in dieser Nacht im August 2013, wie krank der einstige „Bomber der Nation“ war; viele hatten bei der Ehrung für sein Lebenswerk Tränen in den Augen.

Beckenbauer war es dann, der die festliche Stimmung irgendwie rettete. „Gerd, du bist der wichtigste Spieler der Bundesliga“, sprach der Kaiser. Und sagte dann: „Mit dir habe ich mehr Zeit im Bett verbracht als mit meiner Frau.“ Gerd Müller war in all den so erfolgreichen 70er-Jahren bei den Bayern sein Zimmerkollege gewesen.

Die Verbundenheit mit dem Verein blieb, auch als er ins Pflegeheim ziehen musste

Schon früh wussten Eingeweihte, dass der wohl weltbeste Stürmer seiner Zeit an Alzheimer erkrankt war, mehr als einmal war Müller orientierungslos angetroffen worden. Doch mit Rücksicht auf dessen Privatsphäre hielten sich die Medien an die vom Club erbetene Regelung, dies nicht zu schreiben. Zu groß war auch der Respekt der Reporter vor der Lebensleistung des ewigen Torjägers. Sagenhafte 68 Tore hatte Müller in nur 62 Länderspielen erzielt. Sein wichtigstes schoss er 1974 im WM-Finale in München gegen die Niederlande. Sein Treffer, eines seiner typischen Tore aus der Drehung zum 2:1, machte Deutschland zum Weltmeister. Am späten Dienstagnachmittag bestätigte der FC Bayern nun offiziell die Alzheimer-Erkrankung eines seiner größten Idole, wenige Wochen vor dessen 70. Geburtstag am 3. November.

Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge: „Er war ein Torjäger, wie es ihn vermutlich nicht mehr geben wird.“ Rummenigge kündigte an, dass „Gerd in der Bayern-Familie immer seinen festen Platz haben werde“. Der Verein werde ihn und seine Familie immer unterstützen. Seine einstigen Weggefährten bewahrten Gerd Müller – Mitte der 80er-Jahre alkoholkrank und völlig verarmt – schon vor 30 Jahren vor dem totalen Absturz. Müller hatte 1979 nach 15 erfolgreichen Jahren beim FC Bayern bei den Fort Lauderdale Strikers in den USA unterschrieben. Es war ein Wechsel mit fatalen Folgen, denn Freunde rieten ihm, seine erkickten Dollar in ein Steak-Haus in Florida zu investieren, obwohl Müller mit seiner abgebrochenen Weber-Lehre keine Gastronomie-Erfahrung hatte. Statt sich um Küche oder Management zu kümmern, trank er sich mit deutschen Touristen an der Bar das Heimweh nach Deutschland schön. Das Restaurant floppte, Müller kehrte nach fünf Jahren nach Bayern zurück – und verfiel, bar jeder Aufgabe, nur noch mehr dem Alkohol. Ehefrau Uschi, seine Jugendliebe, wollte die Scheidung, später versöhnte sich das Paar allerdings.

Lediglich Prominenten-Kicks sorgten für Abwechslung, obwohl Müller nur noch ein paar Minuten mithalten konnten. Mitspieler rochen den Alkohol und alarmierten Bayern-Manager Uli Hoeneß, der seinem Freund einen Therapieplatz besorgte und später zum Jugendtrainer machte. Endlich hatte Müller wieder eine Aufgabe, voller Stolz kam er jeden Tag im Club-Trainingsanzug zur Säbener Straße. Einmal fragte ein Mitglied des FC Bayern bei einer Versammlung, ob das nicht rausgeschmissenes Geld sei. 10.000 Mark pro Monat für einen Trainer, der diesen Job doch nie gelernt habe. Der Wutausbruch von Hoeneß blieb legendär: „Wo wären wir denn ohne die Tore vom Gerd?“, fauchte Hoeneß mit hochrotem Kopf. Alles, aber auch alles, habe der Rekordmeister seinem einstigen Torjäger zu verdanken.

„Wenn ich damals keinen Job gehabt hätte, wäre die ganze Scheiße damals wieder losgegangen“, sagte Müller Jahre später der Münchner „Abendzeitung“: „Allein hätte ich das nicht geschafft. Ich habe damals gelitten, sehr gelitten.“ Wobei das Engagement auch für die Bayern ein Glücksfall war. Müller konnte keine Abseitsfallen bauen oder Viererketten sezieren. Aber zu ihm, der Legende, schauten die jungen Bayern-Spieler voller Ehrfurcht auf.

Es war dann die Krankheit, die Müllers Trainerkarriere beendete, zu weit war der Alzheimer fortgeschritten. Doch die Verbundenheit mit dem Verein blieb, auch als Müller in ein Pflegeheim ziehen musste. „Mit der großartigen Unterstützung seiner Ehefrau und der vorbildlichen Loyalität des FC Bayern ist es über viele Jahre gelungen, Gerd Müller ins Vereinsleben zu integrieren“, sagte gestern sein Arzt Prof. Dr. Hans Förstl. Der Respekt und die Sympathie der Bayern-Familie, der Fans und der Medien seien gerade für ihn wichtig gewesen. Denn jedem Menschen mit beginnender Alzheimer-Demenz wäre zu wünschen, dass er sich „so lange wie möglich in seinem vertrauten Umfeld aufhalten könne“.