Eine Rundreise auf Sizilien zeigt die Konsequenzen der Mafiaherrschaft – und den Kampf der Bevölkerung gegen die Schutzgelderpressungen.

Fortunata sitzt mit ihren Mitstudenten am Dorfplatz von Corleone. Sie albern herum, starren auf ihre Handydisplays. Corleone! Man denkt an die Mafia und an den Film „Der Pate“ von Francis Ford Coppola. Die Titelmelodie von Ennio Morricone und Nino Rota kommt einem in den Sinn. Tatsächlich: Corleone war Namensgeber der dreiteiligen Familiensaga „Der Pate“ und eine Hochburg der Mafia – viele bekannte Bosse des organisierten Verbrechens stammen aus dem 11.000-Einwohner-Ort, mehr als eine Stunde von Palermo entfernt.

Fortunata, die 20-jährige Studentin und ihre Freunde sind wie Hunderte anderer Schüler und Studenten an diesem Sonnabend in Corleone, um an die Ermordung des Anti-Mafia-Staatsanwaltes Giovanni Falcone am 23. Mai 1992 und seines engsten Mitarbeiters und Kollegen Paolo Borsellino zwei Monate später zu erinnern. Auf dem Dorfplatz hängen Schulkinder Zettel und Briefe mit Worten wie „Mafia no“ an einen Baum, an einem Balkon prangen Poster mit den Porträts der beiden Mafiajäger. Jedes Jahr reisen Zehntausende Schüler und Studenten aus Italien am Tag der Ermordung nach Sizilien, um ein Zeichen im Kampf gegen die Mafia und für die „legalità“, die Rechtsstaatlichkeit, zu setzen.

„Wir wollen mit dieser Demonstration an die Ermordung von Falcone und Borsellino erinnern undzeigen, dass wir gegen die Mafia sind“, sagt Fortunata auf Englisch, worauf hin sie von ihrem Mitstudenten angestupst wird. Das Wort „Mafia“ nimmt man hier nicht gern in den Mund. „Pssst“, sagt der junge Mann neben ihr auf der Parkbank.

Die Mafia, die auf Sizilien unter dem Namen Cosa Nostra (italienisch für „unsere Sache“) operiert, ist auf der größten Mittelmeerinsel nicht nur Klischee und Touristenfolklore, sondern gehört noch immer zum Alltag. – auch wenn es T-Shirts mit Marlon Brandon als „Der Pate“ in den Souvenirläden zu kaufen gibt, und in machen Gassen touristischer Orte wie Taormina die Titelmelodie des „Paten“ aus Lautsprechern erklingt. Ja, das auch. Aber nicht nur. Doch vor allem ist der Widerstand gegen das organisierte Verbrechen allgegenwärtig. Das lässt sich auf einer mehrtägigen Busreise über die Insel erleben. Corleone ist eine Station der Tour „Legende und Gegenwart – auf den Spuren der Cosa Nostra“, die dabei auch Städte wie Taormina mit dem antiken griechischen Theater und Ragusa sowie das Ätna-Gebirge streift.

Ganz offen spricht Maurizio di Palermo vom örtlichen Kulturverein über die Mafia in Corleone. Wichtig ist dem studierten Architekten, auf den Widerstand gegen die „ehrenwerte Gesellschaft“ hinzuweisen. Hier und in der Inselhauptstadt Palermo sei das Zen­trum der Auflehnung. Bernadino Verro heißt der Mann, der hier vor 100 Jahren von der Mafia getötet wurde. Er war der erste sozialistische Bürgermeister im Ort, der sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen in der Landwirtschaft eingesetzt hatte. Zum Missfallen der Mafia-Paten.

Maurizio führt die Reisegruppe durch Corleone, vorbei an den ockerfarbenen Häusern, an deren schmiedeeisernen Balkonen die Wäsche zum Trocknen hängt. Die Fensterläden sind auf Sizilien grundsätzlich geschlossen. Wie dunkel muss es in diesen Wohnungen sein? Jetzt sind noch angenehme 20 Grad, aber im Sommer kann es bis zu 40 Grad heiß werden. Maurizio berichtetbeim Gehen: „Die beste Waffe gegen die Mafia sind Informationen und Kultur.“

Nach einem Gang durch die Gassen geht es in ein unscheinbares Eckhäuschen oberhalb der Ortsmitte. In einer Ausstellung erzählen Gemälde dort von der Geschichte, von den Tätern und Opfern der Mafia. Im Erdgeschoss werden Pasta, Olivenöl und Käse verkauft – Produkte, die von konfiszierten Mafia-Gütern stammen. Toto Riina, Auftraggeber zahlreicher Morde, stammt aus der Stadt. 1993 wurde er festgenommen. Im April 2006 hat man Bernardo Provenzano, auch ein Mafia-Boss aus Corleone, verhaftet. Das Eckhäuschen, Geburtshaus des Paten Provenzano, hat vor Jahren die Polizei beschlagnahmt. Nun führen Maurizio und seine Mitstreiter wie Annalisa Salpietra von der Organisation „Libera Terra“ (freies Land) durch die Ausstellung. „Mein Ziel ist es, Corleone nicht länger als die Stadt der Mafia zu zeigen, sondern der Menschen, die ehrenhaft sind und ein ehrliches Einkommen haben“, sagt die 27-Jährige.

Mit dieser Haltung steht sie nicht allein. Überall auf Sizilien setzen die Menschen Zeichen gegen das organisierte Verbrechen und für den Rechtsstaat. Bestellt man einen Cappuccino, gibt es stets einen Beleg – und zwar auch als Beweis dafür, dass der Cafébetreiber seine Steuern zahlt. In der Hauptstadt Palermo haben sich mehr als 800 Ladenbesitzer unter dem Namen „Addio Pizzo“ (Adieu Schutzgeld) zusammengetan. Aufkleber an den Türen zu den Bars, wie in der „Antica Focacceria“, machen deutlich, dass sie kein Schutzgeld zahlen.

Ungefährlich ist das nicht, sagt Stadtführerin Maria Denaro. Deshalb zahlen 80 Prozent der Geschäfte eben weiterhin pizzo. „Die meisten Sizilianer haben nichts mit der Mafia zu tun, aber wer ein erfolgreiches Geschäft hat, spürt sie“, sagt Maria. In der Antica Focacceria essen die zehn Teilnehmer der Busreise Mittag. Häufig besteht das aus mehreren Gängen mit Weiß- und Rotwein. Verglichen mit Deutschland muss jedes normale italienische Restaurant dort angesichts dieser Köstlichkeiten einpacken.Eine Spezialität Siziliens ist der Panino con la milza, einen Vorfahr des Hamburgers: Zubereitet mit Milz, aber auch mit der Lunge vom Kalb, wird er manchmal mit Zitrone beträufelt und mit Ricotta bestreut. Zum Nachtisch gibt es wie immer auf dieser Reise Cannoli, gefüllte Teigröllchen. Die Antica Focacceria liegt an der Via Alessandro Paternostro im Stadtteil La Kalsa. Kirche, Brunnen, Wäsche, die an den Balkonen trocknet: Eine Altstadt wie im Bilderbuch.

Palermo ist eine morbide Schönheit mit heruntergekommenen Häusern und dichtem Autoverkehr, der sich durch die Straßen frisst. Als Fußgänger muss man den Mut haben, einfach auf die Straße zu gehen, um sie zu überqueren. Freiwillig hält kein Autofahrer. Und dann die Überraschung: Stehen Touristen in den engen Gassen, um Fotos zu machen, warten die Autofahrer geduld und lassen einen sie zu Ende fotografieren. Palermo ist eben auch die eine Stadt der Widersprüche.Dass die 655.000-Einwohner-Stadt so heruntergekommen ist, hängt auch mit der Mafia zusammen, erklärt Maria. Die 1943 durch Bomben und 1968 durch ein Erdbeben zerstörte Altstadt drohte durch Bauspekulationen der Mafia und korrupte Politiker vollends zerstört zu werden. Die Altstadtbewohner verließen die Gegend, stattdessen entstanden am Stadtrand Neubauviertel, an denen die Mafia verdiente. Seit 1993, nach den Attentaten, erholt sich die Stadt langsam. „Man versucht, Palermo als Anti-Mafia-Hauptstadt zu etablieren“, sagt Maria und führt die Gruppe durch La Kalsa. „Beide, Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, stammen aus diesem Viertel“, erzählt sie.

Die Mafia ist immer dort im Spiel, wo wirtschaftliche Interessen herrschen

Auf der Tour durch Palermo sind die beiden getöteten Cosa-Nostra-Widerstreiter allgegenwärtig. Giovanni Falcone ist der Staatsanwalt, den die Mafia mit einer Autobombe auf der Flughafenautobahn in die Luft gesprengt hat. Mit 500 Kilogramm Sprengstoff wurde Falcones Fahrzeug auf der Flughafenautobahn in die Luft gesprengt. Er und sein Kollege Borsellino waren die Initiatoren des „Maxi-Prozesses“, des Gerichtsverfahrens gegen die Mafia von 1986 und 1987 in Palermo. Von 475 Angeklagten wurden 360 verurteilt. Vor dem Haus von Borsellinos Mutter, wo der Staatsanwalt ermordet wurde, steht ein 170 Jahre alter Baum, der als Mahnmal dient. Schulklassen haben Zettel, Briefe und Zeichnungen angehängt.

Der Bus fährt vorbei am Ätna-Gebirge. Um den Vulkan herum reifen Mandarinen und Pfirsiche, Mandeln und Feigen, Pistazien und Oliven. Der Bus ruckelt durch wunderschöne Landschaften. Wie grün und hügelig die Insel ist, im Frühjahr erinnert sie im Landesinneren an die grünen Hügel Englands erinnert.Obwohl Sizilien viele Asphaltwege hat, sind Die Straßen sind häufig Buckelpisten – wenn die Infrastruktur nicht funktioniert, sagt Reiseführerin Maria, stecke die Mafia dahinter. Sie war und ist immer dort im Spiel, wo wirtschaftliche Interessen herrschen. Waren es zu Beginn im 19. Jahrhundert die Orangen- und Zitronenplantagen und die Landwirtschaft, für die sich die Paten interessierten, übt das Organisierte Verbrechen heute Einfluss aus im Baugewerbe und in der Infrastruktur.

„Sizilien ist nicht nur Mafia“, sagt der 79-Jährige Salvatore. Der Alte versucht, dem Thema die Schwere zu nehmen und philosophiert stattdessen über den blühenden blühenden Ginster, und die Mandelbäume am Straßenranddiebäume. Gern erzählt er von den griechischen Mythen Siziliens. „Ich bin Mafioso“, sagt er lachend. „Meine Waffe ist die Liebe.“ Ach, Salvatore.

Mit dem Kleinbus geht es durch die Mittagssonne nach Savoca. Die Gruppe ist bereit für einen Snack in der Bar Vitelli. Dort wurde in einem rustikalen Steinhaus aus dem 18. Jahrhundert „Der Pate“ tatsächlich gedreht, während Corleone nur Namensgeber war. Szenefotos aus dem Film erzählen vom Filmruhm Savocas. Unter den Bäumen gibt es Bruschetta. Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann: Die eine Hälfte ist mit Tomaten belegt, die andere mit Auberginen. Die Tour ist Studien- und Gourmetreise zugleich. Jeder schlendert für sich durch den Ort. An der Kirche Chiesa Madre (hier heiratet im Film einer der Mafia-Paten) erklingt ein „Ave Maria“ aus Lautsprechern. Italien pur. Mehr geht an diesem Sonntagvormittag nicht.

Anreise: zum Beispiel mit Airberlin (www.airberlin.com) oder Germanwings (www.germanwings.com) mit einem Stopp in Stuttgart nach Catania.

Pauschal: Die achttägige Busreise „Auf den Spuren der Cosa Nostra – Legende und Gegenwart“ startet am Flughafen von Catania und kostet ab 899 Euro pro Person. Im Reisepreis enthalten sind sieben Übernachtungen in Vier-Sterne-Hotels im Doppelzimmer mit Halbpension, Transfers von und zum Flughafen Cataniavom/zum Flughafen Catania, klimatisierter Reisebus, Reiseleitung während der Rundreise und Stadt­führungen. Buchung über www.dertour.de.

Reisetermine 2015: jeweils sonnabends, 4. bis 11. Juli, 29. August bis 5. September, 12. bis 19. September und 26. Oktober bis 10. Oktober.

(Die Reise wurde unterstützt
von Dertour.)